Eines der ersten Interviews mit Bertolt Brecht erschien am 30. Juli 1926 in der „Literarischen Welt“, es war definitiv das erste mit ihm, das seine Ansichten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, und manche seiner Aussagen werden immer noch von der Brecht-Forschung zitiert: „Meine Lyrik“, so sagt Brecht da seinem Interviewer Bernard Guillemin, „hat mehr privaten Charakter. Sie ist mit Banjo und Klavierbegleitung gedacht und bedarf des mimischen Vortrags. Im Drama hingegen gebe ich nicht meine private Stimmung, sondern gleichsam die Stimmung der Welt. Mit anderen Worten: eine objektiv angeschaute Sache.“
Neue Formate der „LW“
Die von Willy Haas 1925 gegründete „Literarische Welt“ („LW“) wurde nicht zuletzt dadurch legendär, dass sie neue Formate einführte, etwa die bis heute beliebte Schriftstellerumfrage. Wortlaut-Interviews waren ebenfalls eine damals noch neue, unbekannte Form, die zu Experimenten einlud. In der Einführung dieses Bands, der zum 125. Geburtstag Brechts am 10. Februar erstmals alle seine Interviews versammelt, wird wiedergegeben, wie man bei Brechts auf die Anfrage der „LW“ reagierte: „Wie interviewt man. Fragen“, notiert Brechts Mitarbeiterin (und Geliebte) Elisabeth Hauptmann.
Brecht denkt sich erst mal selbst mögliche Fragen aus, um die eigenen Antworten zu trainieren: „Was haben Sie gegen den Vorwurf zu erwidern: Sie stammeln!“ Darauf wird retourniert: „Kein Mensch kann doch klarer sein. Meine Sprache ist mehr als deutlich, grammatisch vollkommen intakt + übersichtlich … Bei mir ist alles auf den Gestus gestellt, deshalb muss es ganz deutlich sein, ganz einfach.“
Brecht, der Medienprofi, erkannte das Potenzial dieser neuen journalistischen Form sofort: Gerade die Kürze der Antworten erlaube eine hochwirksame Form der Eigen-PR, die sloganhafte Verkürzung der Thesen, dazu Effekte durch Schlagfertigkeit und Lakonie. Auch die Interviews sind „auf den Gestus gestellt“, auf das Demonstrative, ein Zeigen mit Worten, wie es auch ein Grundprinzip des damals in der Entwicklung begriffenen „epischen Theaters“ ist.
In dem dann veröffentlichten Interview – unter dem Titel „Was arbeiten Sie? / Gespräch mit Bert Brecht“ – klingt es dann auch entsprechend: „Für wen schreiben Sie?“ – „Für jene Gattung Leute, die einzig ihres Spaßes wegen kommen und nicht anstehen, im Theater ihre Hüte aufzubehalten.“
Im Gewand eines fast tennishaften Ballwechsels breitet Brecht, der damals gerade an „Mann ist Mann“ arbeitet, seine Theatertheorie aus: „Aber mit der herrschenden Verschwommenheit muss gebrochen werden – auch mit der monumentalen Verschwommenheit. … Ich bin für das epische Theater! Die Regie muss ganz nüchtern und sachlich die stofflichen Vorgänge herausarbeiten. … Das Gefühl ist Privatsache und borniert. Der Verstand hingegen ist loyal und relativ umfassend.“ Bäm!
Zugleich wusste Brecht sich auch gegenüber seinen Interviewpartnern zu inszenieren, etwa für den Kritiker der „Neuen Leipziger Zeitung“, den er 1927 erst einmal in seine Garage bittet: „Ich sah zu, wie ein Mann in brauner Lederjacke und schief sitzendem Ledermützchen vor einem kleinen Auto kniete und mit großem Eifer technische Revisionen vornahm. Die Motordeckel wurden aufgerissen, Rädchen und Schrauben klirrten zur Erde. Sachkundig hebt Mann in Braun Staubnester aus, bastelt an verzwickten Schaltungen, prüft immer noch einmal den Gang der Maschine und revidiert die Kugellager. Der Dichter Bert Brecht, denn das war der mit Oel und Ruß beschmutzte Mann, ließ sich durch den Besuch nicht stören.“ Ein wirklich guter Einstieg für einen „Tag im Leben von Bert Brecht“.
Und im Verlauf des Gesprächs, in dem Brecht am zeitgenössischen Theater kein gutes Haar lässt, verkündet der ölverschmierte Automechanikerpoet: „Ich glaube, dass die Bühne, die wirklich Zeitausdruck wäre, erst durch die Weltrevolution geschaffen werden wird.“ Man merkt, Brecht hat inzwischen Marxismus studiert.
Tatsächlich Mediengeschichte schrieb dann im folgenden Jahr das live im Rundfunk gesendete „Dreigespräch“ zwischen Brecht, dem Starkritiker Alfred Kerr und dem Intendanten Richard Weichert, in dem erstmals das Prinzip spontaner Polemik und Widerrede im jungen Medium Radio eingeführt wurde, wenngleich auch, darauf bestanden die Behörden, nach einem vorher verabredeten Skript, das freilich immer noch viel Spielraum zur Improvisation ließ: „Weichert: Ein kleine, boshafte Zwischenfrage: sagen Sie, wie viel Leute, glauben Sie, interessieren sich eigentlich für dieses Ihr neues Theater, lieber Brecht.“
Dass es dann doch eine Menge Leute waren, kann man auch diesem großartigen Band ablesen, allein für die späten DDR-Jahre sind drei Dutzend Interviews abgedruckt, darunter eines (allerdings ein inhaltlich eher unspektakuläres), das 1952 für das polnische Magazin „Swiat“ geführt wurde – von einem gewissen Marceli Ranicki.
Bertolt Brecht: „Unsere Hoffnung ist heute die Krise“. Interviews 1926–1965. Hrsg. von Noah Willumsen. Suhrkamp, 760 Seiten, 35 Euro.
Source: welt.de