Mitte Dezember hat Karen Pein die Führung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen übernommen. Die Herausforderungen sind groß: Nach Jahren mit Rekordzahlen im Wohnungsbau sinkt die Bautätigkeit. Mit WELT AM SONNTAG spricht die SPD-Politikerin über radikale Ansätze, um trotz der schwierigen Lage mehr Wohnraum zu schaffen.
WELT AM SONNTAG: Sie haben sich in der Vergangenheit den Ruf erworben, dass Sie sagen, wenn etwas nicht gut läuft. Das ist beim Wohnungsbau der Fall. Wo hakt es genau und warum?
Karen Pein: Wir haben aktuell eine sehr schwierige Lage. Wir haben Lieferengpässe und unterbrochene Lieferketten, also kurz gesagt Materialprobleme. Gründe sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie, aber auch der Krieg in der Ukraine. Es ist in der Öffentlichkeit weniger präsent, aber der Krieg ist tatsächlich auch für die großen Quartiersentwicklungen ein Problem. Ein Beispiel: In der Ukraine sind große Teile der Bitumen-Industrie und wir haben aktuell Schwierigkeiten, Asphalt zu bekommen oder nur zu sehr, sehr teuren Konditionen. Dann haben wir eigentlich schon seit vielen Jahren steigende Baukosten. Hamburg profitiert zwar davon, früh angefangen zu haben, den Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Da haben wir einige Jahre Vorlauf vor anderen Städten. Aber jetzt holen uns die Folgen der steigenden Preise ebenfalls ein und wir müssen sinkende Wohnungsbauzahlen erwarten.
WELT AM SONNTAG: Was kann Politik in dieser Phase tun?
Pein: Wir konzentrieren uns vor allem auch auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau. Hier können wir zum einen mit Förderprogrammen Einfluss nehmen, zum anderen haben wir ein deutliches Missverhältnis in den Zahlen im letzten Jahr gesehen. Wir haben zwar trotz der Widrigkeiten insgesamt unser Ziel an Baugenehmigungen erreicht. 10.377 Baugenehmigungen waren es genau. Die Bewilligungszahlen für geförderte Wohnungen sind jedoch zu niedrig. Es sollten 3000 geförderte Wohnungen genehmigt werden, wir sind jedoch unter 2000 geblieben. Das ist deutlich zu wenig. Deshalb reagieren wir auf die gestiegenen Finanzierungskosten und bieten potenziellen Bauherren eine Gesamtfinanzierung für ein Prozent für 30 Jahre auf die gesamte Laufzeit des Darlehens an. Das ist ein sehr gutes Angebot auf dem derzeitigen Finanzmarkt. Außerdem haben wir die Förderung der Baukosten zum zweiten Mal um zwölf Prozent angehoben. So berechnet kommen wir auf ein wirtschaftlich interessantes Investment, das bei vier bis fünf Prozent Renditeerwartung liegt.
WELT AM SONNTAG: Zusätzlich wollen Sie Sozialwohnungen erhalten, indem Sie Belegungsbindungen verlängern oder ankaufen. Was versprechen Sie sich davon?
Pein: Um auf diesem Weg mehr geförderte Wohnungen im Jahr zu schaffen oder zu erhalten, brauchen wir keine Fachkräfte und es muss auch kein Quadratmeter neu gebaut werden. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, den sinkenden Zahlen bei den geförderten Wohnungen entgegenzuwirken.
Die Entscheidung steht, daran gibt es nichts zu rütteln.
WELT AM SONNTAG: Kritiker werfen der Stadt vor, dass die Schwierigkeiten auch daher kommen, dass sich SPD und Grüne gegenüber zwei Volksinitiativen dazu verpflichtet haben, städtische Grundstücke nicht mehr zu verkaufen, sondern in Erbpacht zu vergeben. Können Sie die Kritik verstehen?
Pein: Ja, durchaus. Erstens ist das ein natürlicher Reflex, weil es sich zunächst anfühlt, als sei etwas weggenommen worden. Vorher konnte man kaufen, jetzt kann man nur noch pachten. Zweitens spielt vermutlich auch die Vergangenheitsbewältigung eine Rolle. In den letzten Jahren gab es immer wieder Altfälle, bei denen es zu Problemen mit der Verlängerung gekommen ist. Das lag unter anderem daran, dass die Bodenwerte gestiegen sind und man sich nicht einig war, zu welchem Wert man die Verträge verlängern sollte. Einige Klärungsprozesse haben sehr lange gedauert. Da ist Ärger aufseiten der Wohnungswirtschaft entstanden.
WELT AM SONNTAG: Das klingt nach Entgegenkommen.
Pein: Die Entscheidung steht, daran gibt es nichts zu rütteln. Wir müssen aber jetzt Rahmenbedingungen schaffen, die für alle Seiten gut sind. Denn wir brauchen die Investitionen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es auch wirtschaftlich sinnhaft ist, auf Erbbaurechtsgrundstücken zu agieren, weil wir wirklich sehr niedrige Erbbaurechtszinsen haben. Es ist nun handwerkliches Geschick, die Verträge so zu gestalten, dass Hindernisse inhaltlicher Art verschwinden. Eine große Fragestellung dabei wird sein, inwieweit in den Verträgen feste Vereinbarungen zu den künftigen Werten der Grundstücke getroffen werden. Da hätte die Wohnungswirtschaft gern Klarheit. Wir aber können nicht seriös sagen, wie die Märkte in 100 Jahren sein werden. Außerdem wäre es falsch, späteren Generationen jegliche Handlungsmöglichkeit zu nehmen. Es geht deshalb jetzt darum, eine Regelung zu finden, die es auch ohne festgeschriebene Grundstückswerte möglich macht, über die 100 Jahre hinaus sozialverträgliche Mieten zu gestalten. Das ist der Wunsch, der uns alle eint.
WELT AM SONNTAG: Bisher ging es der Stadt bei Erbbaurechtsvergaben vor allem darum, sich Spielraum für große Stadtentwicklungsprojekte zu erhalten. Jetzt geht es um den Einfluss auf Mieten. Warum der Sinneswandel?
Pein: Der Impuls kam durch die Mietenentwicklung am Wohnungsmarkt. Hamburg hat nur eine begrenzte Fläche und damit einen begrenzten Handlungsspielraum. Da aber fast 50 Prozent der Fläche der Stadt gehören, ist es wichtig, dort dauerhaften Einfluss zu haben. Bei einem Verkauf von Flächen kann die Stadt zwar einmal Forderungen an den Bauherren stellen. Was auch passiert ist. Aber sie hat eben nur dieses eine Mal Einfluss. Bei der Grundstücksvergabe über Erbbaurecht können wir nach 100 Jahren oder auch unterjährig, wenn sich etwas verändert, mit den Bauherren sprechen. Vielleicht war auch Teil des Impulses, dass Hamburg in den vergangenen Jahren zunehmend auch als Markt für internationale Investments erkannt wurde. Wir haben zum Glück in Hamburg eine gewachsene Investorenschaft und Bestandshalter, die deutlich dazu beitragen, dass wir ein so gutes Mietniveau haben. Das liegt bei durchschnittlich 8,20 Euro pro Quadratmeter. Aber: Teuer wird es vor allem für die Menschen, die sich verändern müssen oder neu eine Wohnung in Hamburg suchen. Dazu beigetragen hat, dass Unternehmen, die von kurzfristigen Renditeerwartungen getrieben sind, in den Markt investiert haben. Deshalb ist es ein politisch wichtiges und richtiges Signal, dass wir über das Erbbaurecht jetzt vor allem Bestandshalter ansprechen.
WELT AM SONNTAG: Jetzt haben wir viel über Wohnen gesprochen. Das ist aber nicht alles, was Sie in Ihrer Behörde bewegt.
Pein: Der Bereich Wohnen ist im Moment für mich dominant. Nichtsdestotrotz begleite ich natürlich alle wichtigen Vorhaben. Wie viele das sind, ist mir nochmal bewusst geworden, als ich vor Amtsantritt einen Vortrag des Oberbaudirektors gehört habe. 40 Minuten lang ist er von Folie zu Folie gesprungen, vom Diebsteich zum Hauptbahnhof über die Magistralen quer durch die Stadt bis hin zu den großen städtebaulichen Themen. Und das war nur das, was meine Behörde bewegt. In der Stadt gibt es ja noch mehr: den Umbau des Verkehrs, das Thema klimagerechte Sanierung und vieles mehr. Wir stehen vor dem größten Stadtumbau seit dem Zweiten Weltkrieg. Das muss man so deutlich aussprechen und das wird auch unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern viel abverlangen. Aber es ist alternativlos. Wir müssen die Stadt auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereiten.
WELT AM SONNTAG: Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Pein: Es ist vor allem der Klimawandel, aber auch der demografische Wandel, also die wachsende Überalterung an die wir die Infrastruktur, den öffentlichen Raum und die Wohngebäude anpassen müssen. Für mich ist das Wichtige an Stadtentwicklung alles vernetzt zu denken. Durch jede Strippe, an der wir ziehen, müssen eigentlich drei gute Effekte auch in anderen Bereichen passieren.
WELT AM SONNTAG: Was wäre ein konkretes Beispiel?
Pein: Wenn wir uns den neuen Notfallfonds für Menschen ansehen, die sich ihre Energiekosten nicht mehr leisten können, dann sollten wir damit auch die Frage verbinden, ob Menschen dabei sind, die eigentlich auf zu viel Fläche leben und das gar nicht wollen. Können wir dann nicht parallel auch ein Angebot schaffen, damit die sich verkleinern können und somit ihre Miet- und Energiekosten wieder selbst stemmen können? Gleichzeitig wird damit eine große Wohnung für eine Familie verfügbar. Ein weiteres Beispiel: Wenn Hamburgs Verkehrsbehörde für ein Projekt die Straße aufbuddeln lässt, dann müssen wir noch intensiver schauen, ob wir dort städtebaulich etwas zum Thema Schwammstadt oder andere Teile einer grün-blauen Infrastruktur beitragen können und ob man anschließend Bäume zur Verschattung pflanzen kann, oder Ähnliches. Wir haben auch schon darüber gesprochen, dass wir als Stadt mehr Geld für die energetische Sanierung von Wohngebäuden ausgeben. Bei den Bauarbeiten könnten wir zeitgleich barrierereduzierte Wohnungen im Bestand schaffen. Wir werden immer mehr Menschen haben, die irgendwann zum Beispiel mit einem Rollator durch ihre Tür kommen müssen. Wir sind gerade mit der Saga zu einem konkreten Projekt im Gespräch.
WELT AM SONNTAG: Was ist geplant?
Pein: Die Saga erhält ein städtisches Grundstück für einen Neubau. Dort sollen die benachbarten Bestandsmieter einziehen und die Saga will im Anschluss das alte Gebäude sanieren. Das ist ein Momentum, um die Mieter zu fragen, was für eine Wohnung sie eigentlich benötigen, also beispielsweise, ob es weiter 80 Quadratmeter sein müssen.
WELT AM SONNTAG: Weil Sie es jetzt zwei Mal angesprochen haben: Was bewegt Sie so daran, wenn Menschen in möglicherweise zu großen Wohnungen leben?
Pein: Es sind stille Reserven in der Wohnfläche. Wir sind aktuell sehr fokussiert auf den Wohnungsneubau und das werden wir auch bleiben. Aber bei sinkenden Zahlen müssen wir uns verstärkt Gedanken darüber machen, wie wir die Menschen, die Wohnraum brauchen, trotzdem versorgen. Es gibt Wohnraumüberhänge. Nur wie können wir dort Potenziale heben? Ich frage mich, ob wir ein Förderprogramm brauchen, also beispielsweise mit Umzugsprämien, mit ganz gezielter Förderung von Neubauprojekten, die Angebote für Menschen schaffen, die sich verkleinern wollen. Das sind nämlich meistens Singles, auch ältere Singles, die in ihrem Quartier bleiben wollen, dort aber keine bezahlbare Wohnung finden. Da könnte man auch über einen von der Stadt finanzierten Lastenausgleich nachdenken. Wenn wir mehr aus bestehendem Wohnraum machen können, dann ist das günstiger als neue Wohnungen zu bauen und wir versiegeln keine Flächen. Das ist keine neue Idee, aber im Moment haben wir einen guten Zeitpunkt, weil die Wechselmotivation aufgrund der stark gestiegenen Betriebskosten groß ist. Es hat etwas mit Würde zu tun, aus eigener Kraft sein Leben und sein Wohnen finanzieren zu können – und wenn das über eine kleinere Wohnung möglich ist, glaube ich, dass es Menschen gibt, die das gerne in Anspruch nehmen würden.
WELT AM SONNTAG: Zuletzt waren Sie Geschäftsführerin der IBA, haben vorwiegend mit Bauprojekten zu tun gehabt, die besonders modern und innovativ waren. Diesen Einfluss merkt man Ihren Ideen an. Wie viel nehmen sie aus ihrer alten Tätigkeit mit?
Pein: Dort war ich im Neubau tätig und zwar auf Flächen wie vom Reißbrett, wo man wirklich neu denken kann. Das kann man nicht über die ganze Stadt ziehen und ich muss mich jetzt mehr als zuvor in den Bestand rein denken und sehen, wie wir den auf die Zukunft ausrichten können. Grundsätzlich denke ich vernetzt und verstehe Stadtentwicklung als Zusammenführung unterschiedlichster Funktionen von Stadt. Verkehr, Grün- und Freiräume, Klimaschutz, Wohnen, Städtebau, alles greift ineinander und muss in Zukunft noch frühzeitiger verknüpft werden. Aber ich bin da sehr optimistisch, dass wir das in Hamburg gemeinsam hinbekommen und das Bestmögliche für die Stadt und ihre Menschen rausholen.
Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein, 49, hat ein Diplom in Städtebau und Stadtplanung der TU Hamburg-Harburg sowie einen Abschluss in Immobilienökonomie. Seit 2006 arbeitete die SPD-Politikerin bei der städtischen Realisierungsgesellschaft zur Internationalen Bauausstellung (IBA Hamburg GmbH). Von 2015 bis zu ihrer Vereidigung als Senatorin am 15. Dezember 2022 war sie die Chefin der IBA.
Source: welt.de