Was wie ein Geständnis beginnt, mündet im krassen Gegenteil

Der Saal Landgerichts München 1 ist am Montag so voll wie seit Beginn des Wirecard-Verfahrens nicht mehr. Zahlreiche Journalisten, Jura-Studenten und andere Beobachter drängen sich in den Zuschauerraum, um den Tag zu erleben, an dem erstmals die zentrale Figur im größten Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte das Wort ergreift: der Angeklagte Markus Braun, ehemaliger Vorstandschef der Wirecard AG.

Braun betritt den unterirdischen Hochsicherheitssaal, wie an allen Prozesstagen zuvor, im dunklen Anzug mit schwarzem Rollkragenpullover darunter. Er geht in kerzengerader Haltung die wenigen Schritte zur Anklagebank, wo er zwischen seinen vier Anwälten Platz nimmt. Er arrangiert die beiden Plastikbecher mit schwarzem Kaffee an seinem Platz neu, klappt den Laptop mit seinen Notizen hoch, fasst sich kurz an die randlose Brille.

Dann beginnt Braun mit einem in emotionalen Worten gehaltenen Statement. Der 18. Juni 2020, also der Tag des Zusammenbruchs der Wirecard AG, sei für ihn bis heute „ein Tag des Schmerzes“. Er empfinde ein tiefes Bedauern für die Aktionäre und Mitarbeiter des Unternehmens. Die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse seien für ihn noch immer „eine dunkle Wand“, sagte Braun in seiner leicht österreichisch eingefärbten Sprechweise und fügt noch einen Satz an, der ein wenig an eine Liedzeile erinnert. Seine Aussage vor Gericht werde für ihn „kein leichter Pfad“.

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Die ersten Worte klingen fast wie der Beginn eines Geständnisses, einer Beichte. Doch in den folgenden Sätzen stellt Braun dann sehr schnell klar, dass er in seinen Augen nichts zu gestehen hat. Keine Bilanzfälschung, keine Unterschlagung, kein Betrug mit einem Schaden in Milliardenhöhe. Er „weise alle Anklagepunkte zurück“, sagt Braun.

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Er habe als Wirecard-Chef keinerlei Kenntnisse von Fälschungen und Unterschlagungen gehabt. „Ich habe mich auch zu keiner Bande zusammengeschlossen“, sagt Braun, wobei er das Wort so ausspricht, als liege ihm allein die Vorstellung fern. Er sei bis zuletzt von korrekt gelaufenen Geschäften und korrekt gefüllten Treuhandkonten ausgegangen. Gefakte Transaktionen, verschwundene Milliarden – welche krummen Dinge auch immer bei der Wirecard liefen, der Vorstandschef will von alledem nichts mitgekriegt haben.

Schon mit diesen Worten hat Braun mehr öffentlich gesagt als in der gesamten Zeit seit dem Zusammenbruch von Wirecard, bei dem Tausende von Anlegern ihr Geld verloren haben. Selbst im Bundestags-Untersuchungsausschuss im Sommer 2021 hat der ehemalige CEO einen auf bizarre Weise wortkargen Auftritt hingelegt.

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Statt aufzuklären, wie sich bei Wirecard Milliardensummen einfach in Luft auflösen konnten, gab er sich seinerseits ratlos. Er „vertraue in die Unabhängigkeit und die Objektivität der Ermittlungsbehörden“, die herausfinden sollten, wohin die „veruntreuten Unternehmensgelder“ verschwanden. Darüber hinaus verriet er den Parlamentariern kaum mehr als sein Geburtsdatum. „Ich verweise auf mein Statement“, sagte er immer wieder.

Im Wirecard-Hauptverfahren vor dem Münchner Landgericht hat Braun bis auf einsilbige Aussagen zur Person sein Schweigen über zwölf Prozesstage fortgesetzt. Umso gesprächiger hat der geständige ehemalige Dubai-Statthalter von Wirecard über Tage minutiös geschildert, wie er mit einer kleinen Führungsriege im Unternehmen systematisch Daten von Online-Transaktionen angeblicher Partner-Unternehmen in Fernost gefälscht habe, um florierende Geschäfte vorzugaukeln und den Börsenkurs hochzutreiben. Der Chef der Bande, so sagte der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mehrmals, sei Markus Braun gewesen.

Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm hat die Aussagen des früheren Mitarbeiters ins teils scharfen Worten als unwahr bezeichnet. Der Kronzeuge sei ein notorischer Lügner, der mit seiner Aussage nicht zur Aufklärung beitragen, sondern sich selbst Vorteile verschaffen wolle. Tatsächlich habe Bellenhaus selbst hohe Millionensummen auf Konten im Ausland beiseitegeschafft. Der Wirecard-Fall – eine Art Bankraub von innen. Und Braun kein Bandenchef, sondern Opfer.

Gutbürgerliche Kindheit als Lehrerkind in Wien

Übers Mikrofon gebeugt, schildert der ehemalige CEO am Montag frei vorgetragen und mit ruhiger klarer Stimme seine Version des Wirecard-Skandals. Während er mit dem Drehstuhl immer wieder nach links und rechts schwenkt und mal Richter Markus Födisch anschaut und dann wieder unbestimmt in Richtung der ihm gegenübersitzenden Staatsanwälte, schlägt Braun ein weiten Bogen. Er erzählt von seiner „behüteten und gutbürgerlichen Kindheit“ in Wien als Sohn einer Lehrerin und eines Volkshochschuldirektors, mit einer jüngeren Schwester. Heute sei er selbst verheiratet und habe eine viereinhalb Jahre alte Tochter, lässt Braun wissen.

Dann führt er das Gericht durch seinen Lebenslauf. Nach dem Abitur das Studium der Wirtschaftsinformatik, dann ein erster Job gleich als Senior-Berater bei KPMG. Und dann sein Eintritt bei Wirecard. Braun beschreibt das damals noch kleine Münchner Unternehmen als Ort, an dem sich „sehr viele talentierte Menschen“ getummelt hätten, aus denen einer herausgeragt habe: Jan Marsalek, damals 20, später von Braun zum Vorstand gemacht, heute per internationalem Haftbefehl wegen Betrugs in Milliardenhöhe gesucht.

Braun spricht vor Gericht noch immer positiv von seiner rechten Hand bei Wirecard. Marsalek habe „überragende kognitive Fähigkeiten“ und ein überdurchschnittliches Technologieverständnis gehabt. „Damals gefühlt ein Glücksfall“, so Braun, der dann ein, zwei Stunden lang detailreich den Aufstieg von Wirecard zum international operierenden Finanzdienstleister und Dax-Unternehmen rekapituliert, als gehe es hier um seine unternehmerische Erfolgsgeschichte, und nicht um ein gigantisches Wirtschaftsverbrechen – und er nicht der Beschuldigte.

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Je länger Braun redet, desto mehr scheint er wieder in seine alte Rolle als Vorstandschef zu schlüpfen. „Sie können mich immer unterbrechen, wenn etwas nicht klar ist“, bietet er generös dem Richter an. Als die Saalkamera plötzlich nicht mehr Brauns Konterfei auf die große eine Leinwand hinterm Richterpult projiziert, sondern unmotiviert durch den Saal schwenkt, sagt Braun lässig: „Von Kameras habe ich mich noch nie irritieren lassen.“

Und auch nicht von Recht und Gesetz, wenn man den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft folgt, die ihn als Bandenchef sieht. Diesem Thema nähert sich der Richter über einen Umweg, in dem er Braun fragt, wer denn im Vorstand von Wirecard das Sagen hatte.

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Hintergrund der Frage: Wie kann einer, der im Unternehmen die Entscheidungen trifft, nicht auch für die Verbrechen verantwortlichen sein, die darin begangen wurden? Braun ist entsprechend auf der Hut und wehrt sich gegen das autoritäre Bild, das Kornzeuge Bellenhaus von ihm gezeichnet hat. „Ich war kein absolutistischer CEO“, sagt Braun und schreibt sich selbst eine „mediative Rolle“ zu, er sei einer gewesen, der in bilateralen Gesprächen Kompromisse gesucht habe.

Der CEO will selbst erst aus Zeitungsartikeln vom Vorwurf erfahren haben, dass Umsätze bei Drittpartnern nicht korrekt dargestellt worden seien. Nach einem sehr konkreten Artikel habe er beschlossen, die – in seinen Augen vermeintlich unberechtigten – Vorwürfe durch eine Sonderprüfung „ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.“ Als Braun über die Prüfung spricht, wirkt er anders als zuvor plötzlich unruhiger, er spricht lauter, bekräftigt die eigenen Worte immer wieder durch Nicken.

Denn tatsächlich erwiesen sich die Vorwürfe dann nicht als falsch. Die Wirklichkeit war nur noch viel schlimmer.

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Source: welt.de

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