Erdbeben in der Türkei: Standhafter Bürgermeister wird zum Helden

Stand: 14.02.2023 22:12 Uhr

Er wurde verspottet und verhöhnt, weil er keine illegalen Bauten zugelassen hat: Bürgermeister Elmasoglu aus der türkischen Stadt Erzin, die mitten im Erdbebengebiet liegt. Dort ist fast niemandem etwas passiert.

Von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul

Ökkeş Elmasoglu ist nach dem Erdbeben eine Art Held geworden. Und zwar deshalb, weil er davor seine Arbeit gemacht hat. Elmasoglu ist Bürgermeister der Stadt Erzin mit rund 42.000 Einwohnern. Erzin liegt im Süden der Türkei zwischen Osmaniye und Iskenderun, also mitten im Erdbebengebiet.

Uwe Lueb ARD-Studio Istanbul

In seiner Stadt ist den Menschen so gut wie nichts passiert. Seine Erklärung dafür im türkischen Fernsehen ist schlicht: “Ich habe keine illegalen Bauten und Bautätigkeiten zugelassen. Manchmal hat man sich über mich geärgert und mich spöttisch gefragt, ob ich der einzige Anständige im Land sein wolle. Ich habe also ein reines Gewissen. Ich habe keine illegalen Bauten zugelassen.”

Illegale Bauten gibt es einige in der Türkei. Die Bauherren machen sich zwar strafbar. Doch vor Wahlen hat man ihnen gerne mal Straffreiheit gewährt. Dabei ist und war ihr Handeln unverantwortlich, sagt Eyüb Muhcu vom Dachverband der Ingenieure und Architekten.

Er steht vor dem Rest eines Hauses in Adiyaman: “Wie wir erfahren haben, handelt es sich bei diesem Gebäude hier um ein vierstöckiges Haus, d.h. es wurden vier Stockwerke geplant und dafür war auch die Statik ausgelegt. Danach hat man – ermutigt durch politisch motivierte Bau-Amnestien – aber noch drei Stockwerke illegal draufgesetzt – und im Grunde Mord begangen.”

Zu weicher Untergrund und glatte Eisenstäbe

Einfach mal ein, zwei oder mehr nicht genehmigte Stockwerke draufbauen – das ist in vielen türkischen Städten gängig. Aber das erklärt die Katastrophe nicht allein. Dazu kommt mancherorts ein zu weicher, nachgiebiger Untergrund. Und die Art, wie gebaut wurde: In Antakya erzählt eine Frau, sie habe zusammen mit den Nachbarn die Trümmer ihrer Häuser nach Stahlträgern durchsucht. Gefunden hätten sie keine.

Mitunter ist aber einfach auch nur mit dem falschen Material gebaut worden, erklärt Ingenieur Muhcu: “Vielerorts sieht man, wie der Beton zerbröckelt, das zeigen unsere Proben vor Ort. Ähnlich verhält es sich mit den verarbeiteten Eisenstäben. Zum Zeitpunkt des Baus dieses Gebäudes wurden nach Vorschrift glatte Eisenstangen eingesetzt. Heute müssen es nach Bauvorschrift geriffelte Eisenstäbe sein, die greifen den Beton besser und machen Säulen widerstandfähiger.”

Haus für Haus wird überprüft

Illegal errichtete Gebäude, Sparen am falschen Ende und Pfusch am Bau gab es auch in Erzin, sagt Bürgermeister Elmasoglu. Doch nicht, ohne dass er die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen hätte. Aber immer wieder habe mancher versucht, die Behörden zu überreden, ein Auge zuzudrücken. Er sei jedoch standhaft geblieben – auch wenn er deswegen angefeindet worden sei: “Auch auf mich sind sie zugekommen, klagten, dass sie sich keine Baugenehmigung leisten könnten. Ich habe immer gesagt ‘tut mir leid’. Deswegen sind in unserer Stadt nicht wenige sauer auf mich.”

Aber auch in Erzin werden jetzt nach und nach alle noch stehenden Gebäude überprüft – so wie im übrigen Erdbebengebiet. Die türkische Baubehörde setzt dafür 1000 Statiker und Prüfer ein. Sie arbeiten nicht auf Antrag, sondern gehen systematisch von Haus zu Haus. In der Stadt von Bürgermeister Elmasoglu haben sie mehr zu tun als woanders, weil hier eben viele Häuser noch stehen.

Source: tagesschau.de

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