„Linksradikale nutzten die Gelegenheit, um ihre Gewaltfantasien an uns auszuleben“

Über das rheinische Braunkohledorf Lützerath wird auch einen Monat nach der Räumung diskutiert. Polizei und Aktivisten werfen sich weiterhin gegenseitig Gewalttätigkeiten vor. Noch immer sind einige Fragen offen. Insgesamt waren 3700 Polizisten im Einsatz. Einer von ihnen schildert anonym seine Eindrücke von der „Weltuntergangs-Stimmung“, die vor Ort herrschte. Und was es für ihn bedeutete, auf den Hass des „Schwarzen Blocks“ zu treffen.

Der Himmel war grau und die Wolken hingen schwer an ihm. Die düstere Stimmung passte zu dem schlammigen Feld vor Lützerath. Obwohl es nieselte, versammelten sich dort vor uns Tausende Demonstranten, die verhindern wollten, dass das Dorf geräumt wird. Viele von ihnen trugen Schwarz, ihre Kapuzen waren tief in die vermummten Gesichter gezogen. Immer wieder versuchten sie, die Polizeiketten zu durchbrechen. Plötzlich flammte hinter aufgespannten Regenschirmen in der Menge rotes Licht auf. Ich fragte meinen Kollegen: „Was machen die da?“ – „Pyro zünden!“, antwortete er knapp. Dann wurden die ersten Kollegen verletzt aus dem Gerangel getragen. Jetzt musste auch meine Einheit vorrücken.

Zwölf Tage war ich in Lützerath im Einsatz und noch immer bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an solche Momente denke. Die meisten Protestierenden, auf die ich während dieser Zeit traf, waren friedlich. Sie sangen und hielten bunt bemalte Plakate hoch. Doch es gab auch Linksradikale, die diese Gelegenheit nutzten, um ihre Gewaltfantasien an uns auszuleben. Eine Szene ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Ein als Mönch verkleideter Aktivist stellt einem Polizisten, der im Schlamm stecken geblieben war, ein Bein, einen anderen Kollegen schubst er um. Die Polizisten versuchen aufzustehen und werden verhöhnt. Selten zuvor habe ich so einen erniedrigenden Umgang mit uns erlebt. Keiner der friedlichen Aktivisten zeigte sich solidarisch mit uns. Sie sahen nur den Feind in uns, nicht den Menschen in Uniform, der schlichtweg seinen Job macht.

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Dieser Einsatz hat mich verändert. Nicht nur, weil ich währenddessen ohne Pause 24-Stunden-Dienst schob, auf ein Privatleben verzichten und im Hotel leben musste. An manchen Tagen, die meist um 6 Uhr morgens begannen, habe ich 14 Stunden lang am Stück meine Uniform getragen. Mit Helm, Maske und Schutzweste bin ich über matschige Wiesen gerannt, habe Barrikaden abgebaut und Demonstranten weggetragen.

Irgendwann war mein Körper regelrecht ausgezehrt. Aber das kann ich wegstecken. Der Einsatz war deshalb etwas Besonderes, weil ich der Meinung bin, dass es fahrlässig war, uns Beamte aus der Alarmhundertschaft unvorbereitet mit dem zu konfrontieren, was dort geschehen sollte. Mit dieser Gewaltspirale, in die wir hineingezogen wurden. Und das könnte Konsequenzen für den Rest meines Berufslebens haben.

„Plötzlich stand ich unvorbereitet vor dem Schwarzen Block“

Dabei träumte ich schon immer davon, Polizist zu werden. Ich stamme aus einer klassischen „Uniform-Familie“, der Beruf liegt mir also in den Genen. Meine aktuelle Stelle konnte ich jedoch nur unter der Bedingung antreten, auch für die Alarmhundertschaft zur Verfügung zu stehen. Bisher war das kein Problem für mich, sondern oft sogar eine willkommene Abwechslung von der Routine im Alltag. Mal war ich bei Fußballspielen oder auf dem G-7-Gipfel unterwegs.

Quelle: pa/dpa/Henning Kaiser

Doch auf die Ausnahmesituation und den „Schwarzen Block“ in Lützerath waren weder ich noch meine Kollegen richtig vorbereitet worden. Bereitschaftspolizisten trainieren fünf Mal pro Woche, wir aus der Alarmhundertschaft nur einmal im Monat – zumindest, wenn alles nach Plan läuft. In den letzten zweieinhalb Jahren fand ein solches Training aber nur vier Mal statt. Dadurch fehlten uns gängige Kommandos und richtige Strategien im Umgang mit Demonstranten – den gewalttätigen. Kommunikation ist die Grundlage für einen gut koordinierten Einsatz.

Gerade in brenzlichen Situationen ist es schwierig, die Kontrolle zu behalten. Uns fehlte allein schon das Vokabular, um schnell und strategisch reagieren zu können. Selbst eine einfache Polizeikette hatten wir seit Monaten nicht mehr geübt. Wenn es vor Ort eskalieren würde, waren wir uns also selbst überlassen.

Statt Steinen hielten sie Bananen in ihren Händen

Schon am ersten Tag, als wir in Vollmontur in Lützerath ausstiegen, mussten wir sofort nach Verlassen des Wagens unsere Helme aufsetzen und die Schutzschilder parat halten. Unser Zugführer rechnete mit allem. Jederzeit, so hieß es, könnten wir mit Pflastersteinen beworfen werden. Ich schaute mich um. Tatsächlich waren schon Steine griffbereit von den Aktivisten pyramidenförmig gestapelt worden.

Die ersten Aktivisten, auf die ich traf, hielten allerdings statt Steinen Bananen in den Händen. Sie saßen auf einem Erdwall vor uns und aßen sie genüsslich auf. Ich konnte mir einen lustigen Kommentar dazu nicht verkneifen. Auf unsere Bitten, von dem Hügel herunterzukommen, reagierten die Demonstranten natürlich trotzdem nicht. Mein Kollege zog also den ersten an den Beinen herunter. Keiner tat sich weh. Und nach ein paar patzigen Sprüchen verließen sie das Gelände. Eigentlich hätte ich noch gerne mit ihnen gesprochen. Ihr Protest war aus meiner Sicht legitim. Für einen Moment wünschte ich mir, ich könnte mich demaskieren.

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Früher war ich mal Mitglied in der „Grünen Jugend“. In einem der besetzten Baumhäuser saß tatsächlich ein alter Bekannter aus dieser Zeit. Aber hier stand ich auf der anderen Seite und als Polizist darf die persönliche Meinung keine Rolle spielen. Innerlich war ich zerrissen. Ich musste friedliche Aktivisten davon überzeugen, aufzugeben oder sie sogar wegtragen, obwohl ich ihre Anliegen selbst sehr gut verstehen kann. Es fühlte sich an, als würde ich mich und meine eigenen Werte verraten. Sinnbildlich standen sich also in Lützerath nicht nur Aktivisten und Polizisten gegenüber, sondern auch meine Haltung gegen meine Berufung. Hier war ich nicht grün, sondern blau.

Diese ersten friedlichen Begegnungen wogen uns jedoch in eine trügerische Sicherheit, wie sich später noch zeigen sollte. Aber in den ersten Tagen musste ich glücklicherweise weder Gewalt einsetzen, noch habe ich selbst welche erfahren. Das Credo für die Räumung war Deeskalation. Teilweise sprachen Polizisten 40 Minuten auf Aktivisten in den Baumhäusern ein, bis diese zu ihnen auf die Hebebühne kamen. Noch nie zuvor hatte ich so einen professionellen Einsatz erlebt.

Quelle: pa/Jochen Tack

Die federführende Polizei Aachen schien eine Menge aus den Ereignissen aus der Räumung des Hambacher Forstes gelernt zu haben. Die größte Herausforderung war damals die hohe Zahl an Demonstranten gewesen, die Tag für Tag dazukamen. Deshalb wurde gleich zu Beginn der Räumung ein Schutzzaun um das Dorf errichtet, der dies verhindern sollte. Zudem wirkte es so, als seien alle verfügbaren Reservisten aus NRW eingezogen worden. In kurzen Pausen traf ich Kollegen wieder, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Es fühlte sich an wie ein großes Klassentreffen. Und dann gab es sogar ein „Kacke-Mobil“. Im „Hambi“ hatten Demonstranten Polizisten mit Kot beworfen, nun konnte man notfalls duschen und sich neu einkleiden. Zum Glück kam es aber nie zum Einsatz. Mit jedem Tag entspannte ich mich mehr, meine Ängste, nicht genug vorbereitet zu sein, legten sich – bis Samstag, den 14. Januar.

Diese Demonstranten waren anders als die, mit denen wir bisher zu tun hatten

Dann nämlich kippte die Stimmung plötzlich. Ein großer Demonstrationszug war angekündigt worden und wir bekamen Verstärkung von der Berliner Bereitschaftspolizei. Unter Kollegen weiß man, dass wenn die kommen, es richtig zur Sache gehen könnte. Und tatsächlich lösten sich schon bald aus dem friedlichen Protestzug erste Gruppen ab und liefen in Richtung des Schutzzaunes, an dem wir standen. Einsatzgruppen rannten ihnen auf die Felder nach. Da erkannten wir, dass diese Demonstranten anders waren als die, mit denen wir bisher zu tun hatten. Die hier waren bewaffnet mit allem, was zur gewalttätigen Eskalation beiträgt. Es waren rund 200 Linksextremisten, die zum „Schwarzen Block“ gezählt werden. In der Ferne zündeten Aktivisten in den letzten besetzten Baumhäusern Pyrotechnik, um auf sich aufmerksam zu machen und den Weg zu zeigen.

Die ersten Kollegen wurden im Gerangel verletzt, also drangen wir vor – und gerieten prompt in jenen Steine-Hagel, der am ersten Tag noch ausgeblieben war. Rot-brauner Nebel von gezündeten Rauchfackeln erschwerten uns die Sicht. Meine Augen brannten. Ohne die Anweisungen der erfahrenen Kollegen aus der Bereitschaftspolizei wären wir maßlos überfordert gewesen. Die Vermummten nutzten nun jede Möglichkeit, um unsere Ketten zu durchbrechen – notfalls rücksichtslos mit Tritten oder Schlägen. Selbst der Einsatz von Wasserwerfern und die Reiterstaffel konnte sie nicht davon abhalten. Uns schlug ein menschenverachtender Hass entgegen.

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Später teilten Aktivisten Videos in den sozialen Medien, wie wir Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzten – ohne jeglichen Kontext. Sie betitelten es als „Polizeigewalt“ und redeten von „friedlich“ Demonstrierenden, die lebensgefährlich dabei verletzt wurden. Das fühlte sich wie ein Schlag ins Gesicht an. Deeskalation war bislang unsere oberste Priorität gewesen. Auch wenn ich nicht behaupten möchte, dass es nicht zu Polizeigewalt gekommen sein könnte, schließlich spiegeln wir den Durchschnitt der Gesellschaft. Aber ich habe sie selbst nicht erlebt.

Quelle: dpa/Federico Gambarini

Mit dem Einbruch der Dunkelheit beruhigte sich die Situation auf dem Feld, einige der Gewalttäter waren festgenommen worden. Wir waren erschöpft und wollten nur noch schlafen. Als meine Kollegen und ich uns auf den Weg zu unserem Einsatzwagen machten, nahmen wir die Helme und Sturmmasken ab. Wie aus dem Nichts stand eine Gruppe Jungen vor uns. Sie zückten ihre Handys und fotografierten uns. „Wir werden euch finden! Das werdet ihr bereuen!“, riefen sie uns zu. Dann rannten sie weg. Ihre hasserfüllten Blicke gehen mir bis heute nach.

Lützerath war für mich ein Einsatz wider Willen, wider meine persönlichen Werte. Und deshalb spiele ich seitdem tatsächlich mit dem Gedanken, mich innerhalb der Polizei versetzen zu lassen, um nicht mehr als Reservist dienen zu müssen. Ich möchte als Mensch gesehen und auch so behandelt werden. Auch dann, wenn ich diesen Job mache.

* Die Identität des Polizisten ist der Redaktion bekannt.

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Source: welt.de

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