Die Adoption von bedrohten Nationen war immer schon eine Königsdisziplin für Intellektuelle. Régis Debray ging 1965 nach Kuba, Susan Sontag reiste 1968 nach Hanoi, und dass Bernard-Henri Lévy sich 2022 in die Ukraine aufmachte, war nur konsequent, denn er hat den Typus des reisenden Engagierten ja zu seinem persönlichen Lebensmodell gemacht.
Der Reporter, der in den Krieg geriet
Im Schlepptau der Denker kommen gern die Stars, Jane Fonda zum Beispiel in Vietnam, jetzt Sean Penn in der Ukraine. Am Wochenende hatte auf der Berlinale der Film „Superpower“ Premiere. Penn fungiert dabei – gemeinsam mit Aaron Kaufman – als Ko-Regisseur, vor allem aber ist er vor der Kamera zu sehen, als rasender Reporter, der sich ein Bild von der Ukraine machen wollte und dabei mitten in einen Krieg geriet.
Wenn ein Land von einer ehemaligen Supermacht oder einer Regionalmacht mit Minderwertigkeitskomplex angegriffen wird, muss es selbst zur Supermacht werden, um nicht unterzugehen. So in etwa muss man sich die Überlegungen hinter dem Titel „Superpower“ wohl vorstellen, wobei es dazu vor dem Anspann dann auch noch eine leicht sentimentale Pointe gibt.
Sean Penn bringt aus seinen Filmen als Schauspieler (für Brian De Palma oder Paul Thomas Anderson) ein Image mit, auf das er auch selbst immer wieder anspielt: ein ewiger „angry young man“, der auch jenseits der 60 Jahre, die er vor einer Weile erreicht hat, einen bestimmten Typus Mann hochhalten möchte, den harten Kerl mit Zigarette, Drink und rauer Stimme.
Sean Penn wollte mehr über die Ukraine wissen
Die Ukraine fiel ihm auf, als sie beim ersten Versuch, Donald Trump seines Präsidentenamts zu entheben, eine Rolle spielte: ein lange Zeit im Schatten lebendes Land, das einen Komiker zu seinem Präsidenten gemacht hatte. Penn wollte mehr wissen, der Medienkonzern Vice, spezialisiert auf Dokus mit einer bewusst persönlichen Perspektive, sorgte für Logistik und Produktion.
Und so kam es, dass Penn im Herbst 2021 nach Mariupol kam, wo schon vor dem 24. Februar 2022 der Krieg ganz nahe war. Und schließlich ergab es sich, dass er an jenem Tag, an dem Russland seinen Versuch startete, die ganze Ukraine unter seine Besatzung zu bekommen, in Kiew war. Ein Meeting mit Präsident Selenskyj war vereinbart, und auch wenn der, während Panzer auf die Hauptstadt zurollten und Fallschirmjäger einen nicht allzu weit entfernten Flughafen zu erobern versuchten, sicher sehr beschäftigt war, nahm er sich doch die Zeit für Sean Penn. Er kam bereits in dem tarnfarbenen T-Shirt, das seinen muskulösen Oberkörper gut betont und das seither zu seinem Markenzeichen wurde. Penn trug etwas Entsprechendes.
Ausschnitt : „Superpower“
Video: critic.de, Bild: EPA
Selenskyj wusste in dem Moment natürlich, dass die Bilder von diesem Treffen nicht schon am nächsten Tag im Fernsehen sein würden, jedenfalls nicht mit der Ausführlichkeit, mit der sie nun in „Superpower“ zu sehen sind. Aber er und sein Team hatten offenkundig auch sofort begriffen, dass es nun darauf ankommen würde, Unterstützung bei den westlichen Mächten zu organisieren. Konkrete Unterstützung mit Waffen, aber auch ideelle Solidarität.
Die Begegnung hatte einen kulturellen Aspekt, denn hier trafen zwei Männlichkeitskulturen aufeinander, die viele Parallelen erkennen ließen. Vor allem aber war sie eine der ersten Gelegenheiten für das Team Selenskyj, Öffentlichkeitsarbeit für die bedrohte Nation zu leisten.
Zwei Erzählweisen treffen aufeinander
Eine der Hoffnungen, die man im Vorfeld auf „Superpower“ richten konnte, war die, dass hier vielleicht jemand ein wenig privilegierten „access“ zu dieser Medienarbeit bekommen hätte, also einen Blick hinter die Kulissen hätte tun können. Aber Sean Penn ist so sehr Teil seiner eigenen Inszenierung, dass in „Superpower“ einfach zwei geschickte Erzählweisen aufeinandertreffen und die Lektüre zwischen den Zeilen, die auch bei solchen Filmen oft noch ergiebig ist, nahezu inhaltsleer bleibt.
Penn verließ Kiew am zweiten Tag des Krieges, machte sich dann aber in Amerika zu einem der ersten Botschafter der Ukraine, inklusive Anrufen in Joe Bidens Büro, damit dort Andrij Yermak, der wichtigste Mitarbeiter Selenskyjs, gehört wurde. Das wäre zwar vermutlich auch ohne Penns Vermittlung der Fall gewesen, ein bisschen Prominenz als Hilfsmittel schadet in der Politik aber selten.
Im Sommer, als die Situation für die Ukraine schon ein bisschen hoffnungsvoller aussah, kehrte Sean Penn zurück. Nun musste er auch an die Front. Wie bei Bernard-Henry Lévy, der sich für „Pourquoi Ukraine?“ (2022) in zahlreichen vergleichbaren Momenten hatte filmen lassen, ist der physische Kontakt mit dem Feind (und sei es nur durch Artillerielärm) der Ausweis, an dem sich das Engagement – und implizit auch die Aufrichtigkeit der dokumentarischen Position – messen lassen will.
„Superpower“ deutet dabei zumindest so viel von seiner eigenen „Einbettung“ („embeddedness“) in die Strukturen der ukrainischen Verteidigung an, um nicht vollständig naiv eine Heldenfunktion vor allem für die eigene Reportercourage zu reklamieren.
Es tauchen auch eine Reihe von interessanten Leuten auf, zum Beispiel Yulia Marushevska, die einmal die notorisch korrupte Hafenbehörde von Odessa reformieren sollte, von der jetzt aber nicht ganz klar wird, warum sie Sprechzeit bekommt.
Aber der hektische Duktus von „Superpower“ lässt ohnehin niemals zu, dass ein Thema so weit vertieft würde, dass man auch wirklich verstehen könnte, worum in der Ukraine tatsächlich gerade gekämpft wird. Nämlich um mehr als nur territoriale Integrität. Der große, medienreflexive Dokumentarfilm über Selenskyi im Krieg kann nur irgendwann aus seiner eigenen Umgebung kommen. Er ist eines der Desiderate, das sich mit den Hoffnungen auf einen gerechten Frieden verbindet. Und er wird, sollte es ihn eines Tages geben, zugleich dann auch ein Indiz dafür sein, ob die Ukraine aus dieser Invasion als Demokratie hervorgeht.
Source: faz.net