Als Profiradsportler in Deutschland hat er Ausdauer bewiesen. Nun sitzt der Berliner Richard Geng als Deputy-Sheriff am Steuer eines Streifenwagens in Kalifornien und patrouilliert in der Nacht.
Von Barbara Munker
Wenn Richard Geng zum Dienst geht, nimmt er jedes Mal von seiner Familie Abschied. “Ich sage immer Tschüss, selbst wenn die Kinder drüben bei der Oma sind, dann fahre ich da vorbei”, sagt der gebürtige Berliner. “Es könnte ja sein, dass ich mal nicht wiederkomme”, fügt er hinzu. Auch jetzt nimmt er seine kleine Tochter (2) und den sechsjährigen Sohn fest in den Arm. Ihre Namen hält der Cop aus Vorsicht unter Verschluss.
Der 37-Jährige ist Deputy-Sheriff im kalifornischen Monterey County. Zu seinem Revier zählen malerische Küstenregionen, aber sein nächtlicher Einsatz im Streifenwagen geht meist durch ländliche Gegenden, ins Hinterland mit Bandenkriminalität. “Drugs, Guns and Gangsters”, das mache den Job für ihn spannend, sagt Geng – doch Drogen, Waffen und Banden sind gefährlich.
Auf Streife mit dem deutschen Cop
Freitagabend, Ende Januar: Geng ist für die nächste Nachtschicht gerüstet. In dem PS-starken Dodge-Streifenwagen ist der deutsche Cop, der inzwischen auch die US-Staatsbürgerschaft hat, allein unterwegs. An der schweren Schutzweste glänzt der Sheriffs-Stern, im Halfter die Glock-Pistole mit einem Magazin für 17 Patronen, im Auto das halbautomatische Colt-Gewehr “und Zusatzmunition, falls es eine größere Schießerei gibt”, zählt Geng auf. Kürzlich war er zum “Hilfssheriff des Monats” gekürt worden, nach dem Fund von eineinhalb Kilogramm Methamphetamin-Rauschgift bei einer Verkehrskontrolle. “Für einen normalen Streifenbullen wie mich ist das eine ordentliche Menge”, sagt Geng mit einem Augenzwinkern.
Im Schritttempo fährt er im Dunkeln durch die Ortschaft Castroville, auch als “Artischocken-Zentrum der Welt” bekannt. Vor einem Eckladen, der Alkohol verkauft, stehen junge Männer. Geng hält nicht an, er wolle aber Präsenz zeigen. Die Region ist Heimat rivalisierender Straßengangs. Sie würden bestimmte Zeichen und Farben verwenden. “Norteños tragen Rot, die Sureños Blau”, erklärt der Polizist. Bei seiner Dienstzeit im Gefängnis von Salinas habe er viel über die berüchtigten Banden gelernt.
Vom Radsport in den Polizeidienst
Vom Sport-Profi in Berlin zum Polizeidienst in den USA – das ist ein ungewöhnlicher Werdegang. Der frühere Profiradsportler war 2009 zum Studium der Sportwissenschaften in den US-Staat Colorado gezogen. Nebenbei arbeitete er als Trainer und Coach, ab 2012 auch wieder mit eigener Firma in Berlin. 2015 machte Geng in Radsportkreisen Schlagzeilen, als er den Mont Ventoux, eine berüchtigte Bergetappe bei der Tour de France, gleich neunmal innerhalb von 24 Stunden befuhr. Bei dem Kraftakt legte er über 375 Kilometer zurück. Da war Geng bereits mit einer Kalifornierin verheiratet, die er beim Studium in Colorado kennengelernt hatte.
Im Herbst 2015, als das erste Kind unterwegs war, zogen sie in ihre Heimatstadt Salinas in die Nähe zu ihren Eltern. Dort startete er die neue Karriere im Polizeidienst. Sie lebe hier in ständiger Sorge um ihren Mann, räumt die 34-Jährige mit Blick auf Gangs und Waffengewalt ein. In Berlin habe sie nicht einmal nachts allein in der U-Bahn Angst gehabt, meint die zweifache Mutter, die selbst im Monterey Bay Aquarium des Küstenortes Monterey arbeitet.
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Gefahr von “Ghost Guns”
Für das gemeinsame Familienleben bleibt wenig Zeit. Geng schiebt über Nacht 12-Stunden-Schichten, mitunter sogar 16 Stunden am Stück. Im Sheriffs-Büro mangelt es an Personal, doch der Berliner fühlt sich für die Aufgabe berufen – trotz der Gefahren. Kalifornien habe im Vergleich zu anderen US-Staaten sogar “super strenge” Waffenauflagen, dennoch sei es leicht, Waffen zu beschaffen. “Ghost Guns”, selbst zusammengebaute Schusswaffen ohne Seriennummern, teils mit 3D-Druckern hergestellt, seien ein Problem, klagt Geng. Jugendliche würden sich diese Waffen selbst preiswert zusammenbasteln. Seit zwei Jahren macht Geng im Streifenwagen Dienst, doch bisher habe er “zum Glück” noch keine größere Schießerei erlebt. Ein Vorfall von versuchtem Mord, bei dem ein Ehemann seine Frau und Kinder mit der Waffe bedrohte, war bisher sein gefährlichster Einsatz. Nur knapp sei er dabei ums Feuern herumgekommen.
Blaulicht und Sirenen
Doch die ständige Anspannung ist bei den nächtlichen Einsätzen zu spüren. Mit Blaulicht und Sirenen folgt Geng einem Truck, der viel zu schnell durch eine Ortschaft rast. In einer dunklen Seitenstraße hält der Wagen an. Geng richtet grelle Scheinwerfer auf das Fahrzeug. Er läuft versteckt hinten um den Streifenwagen herum und geht von rechts auf das Auto zu. Sollte der Fahrer plötzlich herausspringen, dann sei der Streifenwagen für ihn quasi ein Schutzschild, erklärt Geng seine Taktik. Diesmal geht alles gut. Keine Drogen oder Alkohol, keine Waffe im Spiel – der Raser kommt mit einer Verwarnung davon.
“Der größte Schutz ist einfach, vernünftig mit Leuten umzugehen”, sagt Geng. Unterdessen erschüttern in den USA immer wieder Fälle von Polizeibrutalität, wie jüngst in Memphis (Tennessee), wo der Schwarze Tyre Nichols bei einer Verkehrskontrolle brutal zusammengeschlagen worden war und später an seinen Verletzungen starb. Die Behörden veröffentlichten ein Polizeivideo, das fünf Beamte beim Schlagen von Nichols zeigt, dessen Tod zu einer Anklage führte.
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Bodycam zum Eigenschutz
Geng trägt bei seinen Einsätzen bisher keine Bodycam, doch das Sheriffsbüro wolle die Beamten noch in diesem Jahr damit ausrüsten. Sie würden bereits “unheimlich viel Training” rund um das Thema Gewaltanwendungen erhalten. Etwa seien bestimmte Würgegriffe verboten worden. Besonders bei Menschen, die etwa wegen mentaler Störungen Befehlen nicht folgen können, sei Rücksicht geboten, sagt Geng.
Seine Geduld wird noch in der Nacht auf die Probe gestellt. Ein obdachloser Mann, der im Drogenrausch auf der Straße taumelt, wird früh um 3 Uhr in Gewahrsam genommen. Ein weiterer Streifenwagen rückt an. Der Mann windet sich, die Handschellen sind nur schwer anzulegen. “William, hör auf damit”, spricht Geng mit ruhiger Stimme auf den verwahrlosten Mann ein. Der schlägt im Methamphetamin-Rausch mehrmals mit dem Kopf ans Auto.
Auch in ruhigen Nächten viel los
Auf der Motorhaube breitet Geng die wenigen Habseligkeiten des Mannes aus: ein Feuerzeug, Folie mit Drogenresten, Kleingeld, Papierfetzen und Plastikmüll. Schon mehrmals hat der Obdachlose gegen Bewährungsauflagen verstoßen, wieder landet er zur Ausnüchterung im Gefängnis. Doch erst geht es in die Notfallaufnahme eines Krankenhauses, das ist Vorschrift. William torkelt, Geng greift ihm stützend unter die Arme. Es ist früh um 6 Uhr, als der Cop den Fall an die Kollegen im Gefängnis übergibt.
Mehr als 200 Kilometer legt Geng bei jeder Schicht in seinem weitläufigen Revier zurück. Eine Handvoll Verkehrskontrollen, zwei Festnahmen, die Zwangseinweisung einer jungen Frau in die Psychiatrie – dies war eine relativ ruhige Nacht, zieht der Berliner Bilanz. Fünf Stunden, in denen viel passieren kann, liegen noch vor ihm.
Source: stern.de