Nadja, so hieß sie, als noch nicht viele Mädchen Nadja hießen, Nadja, nur der Vorname, das klang nicht wie ein kumpelhaftes Du, schon eher nach der Anerkennung ihrer Herrschaft, weil man die Königinnen beim Vornamen nennt. Nadja Tiller, ihr voller Name, war kein Pseudonym, auch wenn er wie ein Versprechen klang: Er blieb gut haften im Gedächtnis und war sehr leicht, ja fast genussvoll auszusprechen auch für italienische, französische und amerikanische Filmproduzenten.
Wie es kam, dass sie dann doch nicht die Königin des italienischen Autorenfilms wurde, darüber gibt es widersprüchliche Geschichten. Manche sagen, ihr Agent sei zu dumm und zu verklemmt gewesen, ein gutes Drehbuch als solches zu erkennen. Manche sagen, Nadja Tiller habe private Gründe gehabt, die Angebote abzulehnen. Federico Fellini hatte eine Rolle in „La dolce vita“ für sie, Michelangelo Antonioni wollte sie in „La notte“ haben, Luchino Visconti in „Rocco e i suoi fratelli“. Das war, nachdem „Das Mädchen Rosemarie“ bei den Filmfestspielen in Venedig gelaufen war.
Später wurde dieser Film über die ambitionierte Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt zu Nadja Tillers Markenzeichen, zu ihrer Erkennungsmelodie, zum besten Beleg dafür, dass sie dem deutschen Film immer das gab, was der von einer Frau verlangte. Und zugleich dementierte sie mit ihrer Präsenz, ihrer erotischen und intellektuellen Energie dessen Muffigkeit, Autoritätshörigkeit und Konfliktscheue.
Aber damals, 1958, als der Film in Venedig gezeigt wurde und die italienischen Filmautoren sich in dessen Hauptdarstellerin verliebten, damals protestierte die Bundesrepublik Deutschland ganz offiziell gegen diesen Film, der die deutsche Obrigkeit durch den Dreck zog.
Es kann gut sein, dass beide, Nadja Tiller und ihr Agent, damals fürchteten, dass, wenn sie sich einmal einließe auf so eigensinnige Filmer wie Antonioni, Fellini, Visconti, sie dem deutschen Film und vor allem dem deutschen Publikum verloren gehen würde, so wie das, fast zur selben Zeit, mit Romy Schneider geschah. Es gab ja internationale Angebote, gediegeneres Starkino von Robert Siodmak und Julien Duvivier, Terence Young und Christian-Jaque, in dem sie sich behaupten durfte neben Jean Marais oder Jean Gabin; oder auch, in „The Poppy is also a Flower“, zwischen Rita Hayworth und Angie Dickinson. Und in Roberto Rossellinis „Anima nera“ spielte sie schon wieder die sogenannte Edelhure – ein inzwischen fast vergessenes Rollenfach, eine Drehbuchphantasie aus der Zeit, da man eine solche Frau, die damenhaft und zugleich von unwiderlegbarer Sinnlichkeit war, kaum anders einhegen konnte in einen gutbürgerlichen Plot.
Es zeugt womöglich eher von der Größe Nadja Tillers als nur von ihrer Kompromissbereitschaft, dass sie Rolf Thiele künstlerisch immer treu blieb, dem Regisseur, der sie gewissermaßen entdeckt hatte fürs Bildungs- und Qualitätskino der Nachkriegszeit. Und mit dem sie, außer dem „Mädchen Rosemarie“, auch „Lulu“ drehte, „Tonio Kröger“, literarisch gut abgesicherte Stoffe für ein Publikum, das in den Filmen vor allem wiedersehen wollte, was es ohnehin zu kennen glaubte.
Nadja Tiller war sich aber immer zu fein dafür, dieses Publikum zu verachten. Und als der sogenannte junge deutsche Film den alten verdrängte und – was ein schwerer Fehler war – mit Nadja Tiller nichts anzufangen wusste: Da ließ sie sich eben aufs Fernsehen ein und schenkte noch der bravsten Serie schon durch ihre pure Anwesenheit jene Ahnung von Weltläufigkeit und Verruchtheit, die den Drehbüchern fehlte.
Nadja Tiller, im selben Jahr geboren wie Grace Kelly und Audrey Hepburn, 1929, in Wien, verkörperte immer die Hoffnung des deutschen Kinos auf mehr Welt, mehr Geist, mehr Eleganz. Und löste es ein für die Dauer ihrer Präsenz. An diesem Dienstag ist sie gestorben. Sie wurde 93 Jahre alt. Das deutsche Publikum darf ihr dankbar sein.
Source: faz.net