Mutmaßliche Brandstiftung: “Wo waren die alle in den letzten Wochen?”

In Berlin stirbt eine syrische Frau nach einem Brand. Endlich kümmern sich auch die Behörden verstärkt um den Fall. Doch ihre Familie fühlt sich alleingelassen.

Der Brand ist schon fast vier Wochen her und trotzdem riecht es im Treppenhaus eines Gebäudes in Französisch Buchholz im Berliner Norden immer noch nach Rauch. Hinter der schwarz verkohlten Tür im zweiten Stock auf der rechten Seite lebt die syrische Familie A., die jetzt nur noch aus sieben Menschen besteht, einem Vater und sechs minderjährigen Kindern. Die 43-jährige Mutter Yazi A.* ist zwei Wochen nach dem Brand auf der Intensivstation der Berliner Charité gestorben.

Man muss klopfen, weil die Klingel nicht funktioniert. Mehrere Jungs stehen im Flur, sie bitten in das Wohnzimmer, auf dem Boden liegen viele Schuhe. Drei Tage nach der Beerdigung von Yazi A. sitzen ihre Kinder und der Vater am Montagabend hier im Kreis, weitere Leute auf schwarzen Ledersofas und Matratzen, vor ihnen leere Pappbecher mit Resten von Kaffee. Sie lassen alles über sich ergehen: Den ganzen Tag über seien schon Pressevertreter vorbeigekommen, immer wieder habe es an der Tür geklopft. “Bis gestern hat sich niemand für uns interessiert”, sagt der älteste Sohn Hani, er ist 17. Und jetzt? “Bringt doch nichts”, sagt er. “Meine Mutter ist schon tot. Wo waren die alle in den letzten drei Wochen?” Hani spricht, ohne lauter zu werden, fast ausdruckslos, ein bisschen so, als wäre es zu anstrengend, die Stimme zu erheben.

Ein Haus, in dem Geflüchtete wohnen, hat gebrannt. Eine Frau, die beim Brand verletzt wurde, ist später gestorben. Und nicht nur die Hinterbliebenen haben viele Fragen: War es Brandstiftung? Aus rassistischen Motiven? Warum meldete die Polizei den Tod der Frau erst zwei Wochen später und nicht direkt am 10. Februar, als sie starb? Und: Wer ist zuständig für die syrische Familie, die um ihre Mutter trauert?

Schwarze Wände, verkohlte Türen

Der Brand ereignete sich am 25. Januar gegen 17.30 Uhr. 29 Bewohner wurden von Einsatzkräften evakuiert, 15 konnten sich selbst aus dem Haus retten. Zwei Menschen erlitten Rauchgasvergiftungen. Am darauffolgenden Tag schrieb die Polizei in einer Meldung: “Das Haus ist in Anbetracht der starken Brandschäden zunächst unbewohnbar.” Die Familie kam vorübergehend im Ankunftszentrum Tegel, einer Notunterkunft vor allem für ukrainische Geflüchtete, unter.

Das weiß-gräuliche Mehrfamilienhaus steht an einer unscheinbaren Straßenecke. Von vorne sieht es ganz normal aus, der Schaden ist nicht zu erkennen. Erst ein Haufen mit Mülltüten vor dem Hintereingang lässt erahnen, was hier passiert ist. Die Tür steht offen: Die Wände im Treppenhaus sind schwarz und die Haustüren verkohlt, grelles Baustellenlicht erleuchtet den Flur, weil das reguläre Licht noch immer nicht funktioniert. Die Fenster sind mit Spanplatten verrammelt, die Kabel des Elektrokastens hängen lose in der Luft. 

Wenn die drei Mädchen der Familie morgens durch den Hausflur zur Grundschule gingen, würden sie sagen: “Hier ist unsere Mutter gestorben.” So hat es der Familienvater dem Grünenpolitiker Jian Omar erzählt. Omar ist Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus und stammt aus demselben Ort in Syrien wie die Familie A. Er sitzt am Montagabend im Wohnzimmer neben dem Vater auf einer der Matratzen. Über einen Tweet habe er von dem Brand mitbekommen und sich die Lage anschauen wollen. Er sei der erste Politiker, der seit dem Brand mit der Familie gesprochen habe. “Ich bin schockiert über das Handeln einiger staatlicher Strukturen”, sagt Omar. “Wie kann es sein, dass eine traumatisierte Familie mit sechs minderjährigen Kindern nach so einem schweren Brand keine angemessene Versorgung und Betreuung erhalten hat?”

Polizei ermittelt wegen Brandstiftung mit Todesfolge

Am Montagnachmittag hatte die Polizei Berlin gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin mitgeteilt, dass sie nun wegen Brandstiftung mit Todesfolge ermittelt. Im Zusammenhang damit werde ein Todesermittlungsverfahren durchgeführt, um die genaue Todesursache von Yazi A. festzustellen. Bislang lägen keine Anhaltspunkte für eine politische Tatmotivation vor. Die Polizei stehe aber im engen Austausch mit dem Polizeilichen Staatsschutz, der für die Bekämpfung von politisch motivierter Kriminalität zuständig ist.

Auf eine Nachfrage von ZEIT ONLINE, weshalb der Tod von Yazi A. erst zehn Tage später öffentlich gemacht wurde, hat die Polizei bisher nicht geantwortet.

Hani, der älteste Sohn, erzählt, dass die Mutter – nachdem die Familie Feuer gerochen hatte – als erste die Tür zum Treppenhaus geöffnet hatte. Sie sei hingefallen. “Wir konnten sie im Qualm nicht finden und sind von Tür zu Tür weiter zurückgewichen”, sagt er. Minutenlang habe sie dort gelegen, bevor sie evakuiert werden konnte. Sie wurde erst in ein Krankenhaus in Friedrichshain gebracht, und als ihr Zustand sich verschlechterte, wurde sie auf die Intensivstation der Charité verlegt. 14 Tage nach dem Brand ist sie gestorben.

ZEIT ONLINE liegt die Sterbeurkunde sowie die Bestattungsgenehmigung vor. Darauf steht als Todesursache Multiorganversagen. Die Mutter hatte Asthma, die Familie geht davon aus, dass sie an den Brandfolgen gestorben ist. Auf die Frage, ob Multiorganversagen die Folge einer Rauchvergiftung sein kann, sagt ein Notfallmediziner gegenüber ZEIT ONLINE, dass Multiorganversagen für eine schwere Erkrankung spreche, aber die Folge von vielem sein könne. Es ist also nicht auszuschließen, dass Yazi A. an den Folgen des Brandes starb. Eine genaue Beurteilung sei aus der Ferne aber nicht möglich, sagt der Notfallmediziner. Die Polizei prüft derzeit noch die genaue Todesursache.

Anfangs scheint keine Behörde zuständig

Das Haus, in dem es brannte, gehört der Einrichtung Tetris, einem Wohnungsunternehmen, das hier sogenannte Wohnungsnotfälle unterbringt. Hier leben nicht nur Geflüchtete, sondern auch andere Familien, die eine Wohnung brauchen. Auf der Website von Tetris steht, sie arbeiteten eng mit Jobcentern und Sozialbehörden zusammen. Sie stellten “möblierten und angemessenen Wohnraum auf Zeit zur Verfügung”. Tetris ist dabei nur zuständig für die Wohnung, nicht für die Betreuung.

Nach dem Brand war die Familie für zehn Tage im Ankunftszentrum Tegel untergebracht. Dann sei ihnen morgens vom Sicherheitsdienst gesagt worden, dass sie um 14 Uhr die Unterkunft verlassen müssten, berichtet der Vater, Jian Omar übersetzt. Wohin sie gehen sollten, sei ihnen nicht gesagt worden. Sie hätten bei dem Hausmeister ihrer Wohnung angerufen, weil der Arabisch kann, und gefragt, ob sie wieder zurückkommen können. Sie hätten keinen anderen Ausweg gewusst. Der Hausmeister habe gesagt, sie könnten zurück.

Am Telefon sagt ein Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, sie seien nicht für die Familie zuständig, das sei Sache des Bezirksamtes Pankow. Mit der Unterbringung in Tegel hätten sie nur kurzfristig ausgeholfen. “Amtshilfe” nenne sich das. Ein Mitarbeiter des Bezirksamtes Pankow bestätigt, dass sie von dem Fall wüssten. Eine weitere Nachfrage, ob sie für die Familie auch zuständig seien, lässt das Amt zunächst unbeantwortet. Am Mittwoch heißt es dann, dass der Familie von der Sozialen Wohnhilfe Anfang Februar eine alternative Unterbringung angeboten worden sei: eine Gemeinschaftsunterkunft. Andere Wohnungen seien im Bezirk Pankow gerade nicht verfügbar. Das sei von der Familie abgelehnt worden. Außerdem seien nun unter anderem das Integrationsbüro des Bezirksamtes Pankow und das Jugendamt eingebunden worden.

Dort leben, wo die Mutter starb

Das Treppenhaus wurde notdürftig ausgebessert, man sieht und riecht den Brand aber noch überall. Seit einer Woche sei nichts mehr gemacht worden, sagt der älteste Sohn. Hani sieht müde aus, aber kümmert sich wie selbstverständlich um die Besucherinnen als derjenige, der am besten Deutsch spricht. 2015 sei er allein nach Deutschland gekommen, erzählt er, damals war er gerade zehn Jahre alt. Drei Jahre später konnte seine Familie ihm folgen. Jetzt haben sie als anerkannte Flüchtlinge eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Seit 2018 habe die Familie in dieser Wohnung in Französisch Buchholz gelebt, aber jetzt sei es kein Zuhause mehr, sagt Hani.

Die Stimmung im Wohnzimmer der Familie A. ist bedrückt, wie der Rauchgestank hängt die Trauer schwer in der Luft. “Wie sollen wir hier leben, wo uns alles an den Tod unserer Mutter erinnert?”, sagt Hani. Er sitzt auf einem der schwarzen Ledersofas. Die habe der Vermieter geliefert, berichtet er. Genauso wie die Matratzen. Der Grünenabgeordnete Omar sagt: “Sie hatten am Anfang nur sechs Matratzen, aber sie sind sieben Menschen.”

Dann klopft es energisch an der Tür, draußen ist es schon längst dunkel. Zwei Frauen kommen herein. Sie stellen sich vor, die eine arbeitet für das Willkommensnetzwerk Pankow hilft, die andere ist eine Psychologin vom Sozialverband Internationaler Bund. Die resolute Frau von Pankow hilft kümmert sich eigentlich um eine andere Familie im Haus, hat aber von dem Tod von Yazi A. mitbekommen. Gerade habe sie unten noch einen von der Presse weggeschickt, berichtet sie. Die Psychologin sagt, dass sie ab jetzt die Familie unterstützen werde – therapeutisch, aber auch bei organisatorischen Fragen. Einer der jüngeren Söhne kommt herein, verteilt still Coca-Cola-Dosen und süßen Kuchen auf Plastiktellern, nur aus einem anderen Zimmer ertönt hin und wieder das Gekreische seiner kleinen Schwestern.

Am nächsten Tag fährt der Grünenpolitiker Jian Omar wieder nach Französisch Buchholz. Er sagt, er sei jetzt eine Art Vertrauensperson für die Familie A. Er hat eine Kommunikationsberaterin dazugeholt und sucht einen Anwalt. Sie sollen die Familie unterstützen, weil er nicht der Einzige ist, der sich jetzt für Familie A interessiert: Auch die Presse und die Polizei sind am Dienstag wieder da, sogar das Jugendamt klopft an der Tür. Einer von der B.Z. möchte ein Foto der Mutter veröffentlichen, erst nach Omars Einschreiten spricht sich der 17-jährige Sohn dagegen aus.

Die Polizei befragt an diesem Dienstag erstmals die anderen Bewohner des Hauses, vier Wochen nach dem Brand und zwölf Tage nach dem Tod von Yazi A.

*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt. Um sie und ihre Familie zu schützen, nennen wir ihn nicht. 

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