Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Weltgemeinschaft ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine zu einem klaren Signal für ein Ende des Angriffskriegs aufgefordert. „Heute muss sich jeder von uns entscheiden: Mit dem Unterdrücker isoliert dastehen – oder für den Frieden zusammenstehen“, sagte Baerbock am Donnerstag bei ihrer Rede in der UN-Vollversammlung in New York. Baerbock sprach auf Bitten der Ukraine als letzte reguläre Rednerin vor Abstimmung über eine Resolution. Das Votum wird auch als globaler Stimmungstest zu Russlands Angriffskrieg im Nachbarland gesehen.
Der Plan für einen Frieden sei in der UN-Charta angelegt, sagte Baerbock weiter: „Jeder Einzelne von uns hier hat heute die Gelegenheit, zu diesem Friedensplan beizutragen. Indem Sie dem Aggressor sagen, dass er aufhören muss.“ Aus der Abstimmung über die von der Ukraine vorgelegte Resolution müsse deutlich werden, „dass es kein Frieden ist, wenn ein Aggressor seinem Opfer sagt, dass es einfach aufgeben soll“. Und dass es kein Frieden sei, wenn ein Aggressor für seine „rücksichtslose Gewalt“ belohnt werde.
Die Resolution in der UN-Vollversammlung enthält die Forderung nach Frieden und dem Rückzug der russischen Streitkräfte. Der Entwurf bekräftigt eine Reihe zuvor bereits beschlossener Positionen des Gremiums, etwa das zu wahrende Prinzip der territorialen Integrität der Ukraine. Kiew und seine Unterstützer wollen damit an ähnliche Abstimmungsergebnisse des vergangenen Jahres mit mehr als 140 Ja-Stimmen anknüpfen. Das soll auch dem Eindruck entgegenwirken, es gebe in Teilen der Welt eine Kriegsmüdigkeit und bröckelnden Rückhalt für Kiew.
Vor einem Jahr stimmten 141 Staaten gegen Russland
Im März vergangenen Jahres, kurz nach Kriegsbeginn, hatte die Versammlung der 193 Mitgliedstaaten Russlands Invasion mit einer historischen Mehrheit von 141 Stimmen zurückgewiesen – so viele Stimmen waren in dem Gremium noch nie zusammengekommen. Im Oktober verurteilten dann sogar 143 Nationen die illegalen Annexionen Russlands in der Ukraine. Auch Brasilien, die Türkei und Saudi-Arabien stimmten dafür – nur vier andere Länder standen an Moskaus Seite. Mit China und Indien enthielten sich jedoch zwei mächtige Staaten, in denen etwa 2,8 Milliarden Menschen leben. Auch eine Reihe afrikanischer Staaten wie Südafrika enthielten sich.
Kritik an deutschen und westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine wies Baerbock am Donnerstag zurück. Die Bundesregierung würde Zeit und Geld wesentlich lieber in Bildung, soziale Gerechtigkeit und den Kampf gegen die Klimakrise stecken, sagte sie. Man wolle diesen Krieg nicht und habe ihn sich nicht ausgesucht. Dennoch gelte: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine.“ Das Leid durch den Konflikt – Entführungen, Vergewaltigungen und Folter – würde dann weitergehen, so Baerbock. Und die weltweit „klaffenden Wunden“ durch Hunger, Inflation und Energieknappheit könnten nicht heilen.
Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja hatte am Mittwoch Deutschland und andere westliche Staaten wegen ihrer Waffenlieferungen kritisiert und ihnen ähnliche Motive wie im Zweiten Weltkrieg vorgeworfen. „Dies ist ein Krieg, der, wie es auch vor 80 Jahren der Fall war, einen verräterischen und mächtigen Feind involviert, der unser Land übernehmen und uns unterwerfen will“, sagte Nebensja. Chinas UN-Vertreter Dai Bing sagte am Donnerstag in New York, dass Waffenlieferungen keinen Frieden schafften, sondern den Krieg nur anheizen würden. Er stellte dabei nicht den mit Spannung erwarteten Pekinger Friedensplan für die Ukraine vor, mahnte aber eine Beruhigung des Konflikts an.
Hinter den UN-Kulissen war in den vergangenen Monaten diskutiert worden, wie substanziell eine Resolution zum Jahrestag der Invasion sein könne. UN-Kreisen zufolge hatte die Ukraine an Resolutionen gearbeitet, die ein Kriegsverbrechertribunal umreißen, sowie an einem Text, der einen Zehn-Punkte-Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in ein UN-Dokument überführen würde. Beide Ideen wurden für die am Donnerstag geplante Abstimmung letztlich aufgegeben.
In dem nun vorliegenden Text tauchen eher vage Formulierungen zum Ende des Krieges auf. Das Erreichen eines umfassenden Friedens, der notwendig sei, würde „einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit leisten“, heißt es darin. Im Weiteren wird ein vollständiger Austausch von Kriegsgefangenen verlangt und die Notwendigkeit betont, dass Verantwortliche für die schwersten Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.
Source: faz.net