CO2-Lager : Deckel drauf

CO2-Lager : Deckel drauf
Kohlendioxid in der Erde zu verstauen könnte helfen, das Klima zu retten. Wirtschaftsminister Robert Habeck will es, die grüne Fraktion ist skeptisch. Wie sicher ist die Technik? Ein Ortsbesuch bei Deutschlands einzigem CO₂-Lager 

Über seinem Triumph hängt der Geruch von Erbrochenem. Er wabert aus einer Biogasanlage. Vorbei an einem Windrad, das vor sich hin schaufelt. Vorbei an ein paar Sonnenkollektoren, die in den schmutzig grauen Himmel starren. Und weiter ins Brandenburger Niemandsland. Michael Kühn steht im Nieselregen und ist zufrieden. “Ein schönes Beispiel, wie man so ein Gelände nachnutzen kann.” Er war länger nicht mehr hier. Weil seine Arbeit getan ist, auf den Äckern bei Ketzin, 40 Kilometer westlich von Berlin.

“Ein Blick ins Nichts”, so nennt Kühn diesen Ort. Aber genau darum geht es. Dass nichts passiert, hier, wo 67.271 Tonnen Kohlendioxid lagern. Wissenschaftler des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) haben sie ins Erdreich gepresst, zwischen 2008 und 2013. Es war das erste Mal, dass CO₂ auf dem europäischen Festland unterirdisch verstaut wurde. Ein klimaschädliches Gas, weggesperrt, bevor es den Treibhauseffekt befeuert. Für die Wissenschaft ein Pilotprojekt. Für die Menschheit eine Hoffnung. Der Geowissenschaftler Michael Kühn leitete das Forscherteam. Er deutet auf einen Flachbau am Eingang des Geländes. “Das war das Informationszentrum, da hing eine Weltkarte.” Jeder Besucher pikste eine Nadel in sein Heimatland. Die Karte war voll, Ketzin weltberühmt. Und ein paar Jahre später vergessen.

Denn das, worauf die einen hoffen, fürchten andere: Carbon Capture and Storage (CCS), so heißt die Technologie offiziell. Viele Umweltschützer sahen in ihr einen Versuch, Kohlekraftwerke zu retten. Als “CO₂-Endlager” und “tickende Zeitbombe” bezeichneten Umweltorganisationen wie Greenpeace die geplanten Lager. Anwohner protestierten, Bürgerinitiativen sammelten Unterschriften. Am Ende wurden alle Projekte eingestellt, bis auf das in Ketzin. Seit 2012 ist CCS durch das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz praktisch verboten. Damals ein besonders prominenter Gegner der Technik: der Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck.

Jener Robert Habeck, dessen Wirtschaftsministerium kurz vor Weihnachten einen Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz veröffentlicht hat, so wie alle vier Jahre. Noch nie klang das Papier so CCS-begeistert. Der Grund: In Deutschland würden 2045 noch 34 bis 73 Millionen Tonnen CO₂ anfallen, obwohl das Land dann klimaneutral sein müsse. Deshalb, so der Bericht, solle die Bundesregierung “die Ermöglichung der CO₂-Speicherung in Deutschland inkl. unter dem Meeresboden” prüfen. Im Laufe dieses Jahres soll es eine Carbon-Management-Strategie für den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur geben. Die Risiken der Technologie? Laut Bericht überschaubar.

Hat sich also die CCS-Technik geändert? Oder Robert Habeck? Und wenn Letzteres der Fall ist, haben sich die Grünen mitgeändert? Was zur eigentlichen Frage führt: Wie sieht der Klimaschutz der Zukunft aus?

“Lieber CO₂ im Boden als in der Atmosphäre”, so fasst Robert Habeck seine Haltung heute zusammen. Man brauche CCS, weil die Zeit für den Klimaschutz knapp werde – und weil einfach nicht alle Emissionen eingespart werden können. Fünf Prozent des gesamten Ausstoßes an CO₂ lassen sich nicht vermeiden, schätzen Wissenschaftler, sie fallen vor allem in der Industrie an, zum Beispiel in Zementwerken. Unterstützung bekommt der Minister durch aktuelle Studien, die CCS als unverzichtbar für den Klimaschutz ansehen. Das prominenteste Beispiel ist der Weltklimabericht, er fordert, 700 Milliarden Tonnen CO₂ bis zum Jahr 2100 einzulagern, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mehr zu Habecks Hoffnungen auf CCS lässt sich nicht erfahren. Statt eines Interviewtermins schickt die Pressestelle des Wirtschaftsministeriums eine Zusammenfassung des Evaluierungsberichts. Vielleicht hat die Zurückhaltung auch damit zu tun, dass die neue Haltung des Ministers in seiner eigenen Partei nicht gern gesehen wird.

Auch Julia Verlinden kann nichts dazu sagen. Nur seufzen. So leise, dass nicht sicher ist, ob das als Kommentar gelten kann. Was durchaus relevant ist, denn Verlinden ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag und Expertin für Energiethemen. Teilt sie die Meinung, dass CO₂ im Boden besser ist als in der Luft? “Noch besser wäre es, Kohle, Öl und Gas im Boden zu lassen.” Vielleicht werde man im Laufe des Jahres mal über die Carbon-Management-Strategie reden. “Aber dass es da 2023 zu Gesetzesinitiativen kommt, sehe ich nicht.” Die Grünen-Fraktion habe andere Prioritäten.

Verlinden bezweifelt auch, dass CCS für die letzten fünf Emissionsprozente alternativlos ist, selbst in der Zementindustrie. Sie erzählt von Zementrecycling, Bauen mit Holz und neuen Zementsorten, die weniger CO₂brauchen. So viele Ideen, aber alle reden nur über CCS. Wieso? “Vielleicht weil das sexy wirkt, nach Innovation klingt, nach einer großen Maschine aus Stahl.”

Sexy, aber fatal

Bei CCS wird Kohlendioxid in tiefe Gesteinsschichten gepresst. Unter hohem Druck ist es flüssig.
 Mit der Zeit wird es teilweise zu Kalzit, festem Gestein.

Quelle: Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ © ZEIT-Grafik/​Anne Gerdes

Wenn Julia Verlinden recht hat, dann stünde CCS in einer Reihe mit Kernfusion und Atomkraft. Als eine Technik, die vorgibt, ein menschengemachtes Problem zu lösen, ohne dem Menschen etwas abzuverlangen, die jedoch zugleich ihre eigenen Risiken mit sich bringt. Sexy, aber fatal.

Eine Kombination, die so gar nicht zu Ketzin passt. Michael Kühn geht ein paar Schritte durch den Regen. Vor einem Berg aus gehäckseltem Mais zeigt er auf den Boden. Im Schlamm: ein Gullydeckel. Hier wurde das Kohlendioxid verpresst. “Jetzt sind in der ehemaligen Bohrung 800 Meter Beton.” Aufgefüllt nach Projektende. Die Forscher haben vier weitere Löcher in den Boden gebohrt, unter anderem um zu messen, wie schnell sich das CO₂ verteilt.

Michael Kühn redet darüber wie der Professor, der er auch ist. “In dieser Tiefe sind Druck und Temperatur so hoch, dass Kohlendioxid flüssig ist.” Deshalb wird Kohlendioxid am besten in saline Aquifere gepresst, in Sandsteinschichten also, die Salzwasser führen. Das CO₂ verdrängt das Wasser aus den Poren des Gesteins und breitet sich im Untergrund aus. Für die ersten 50 Meter brauchte es in Ketzin drei Wochen. Dann wurde es langsamer, die nächste Bohrung, 112 Meter weiter, erreichte das CO₂ erst nach neun Monaten. “Und bei der letzten Bohrung in die Speicherschicht haben wir Kalzit gefunden. An einer Stelle, wo das CO₂ über Jahre war”, sagt Kühn. Mineralisiertes Kohlendioxid, festes Gestein. “So hat man das CO₂ am liebsten.”

In Ketzin wechseln sich Sandsteinschichten mit Tonsteinschichten ab, die für Flüssigkeiten kaum zu durchdringen sind. “Ein Multibarrierensystem”, sagt Michael Kühn. Noch so etwas, was der Geochemiker liebt. Solche Formationen kommen vor allem in flachen Sedimentbecken vor, von denen Deutschland einige hat. 400 Standorte für CCS haben die Behörden ausgemacht, zehn Milliarden Tonnen CO₂ hätten dort Platz, mehr als 13-mal so viel, wie Deutschland 2021 ausgestoßen hat. Und welcher ist der ideale Standort? “Die Geologie entscheidet”, sagt Michael Kühn.

Bis 2017 haben sie in Ketzin das Kohlendioxid überwacht, dann gaben sie das Gelände dem ursprünglichen Eigentümer zurück. Die Forschung an CCS ist abgeschlossen. “Wenn die politische Entscheidung fällt, kann es losgehen”, sagt Michael Kühn. “Es kostet halt Geld. Das muss man wollen.” Die Geologie entscheidet. Aber nicht allein.

Nicht nur in Deutschland hat sich bei CCS in den vergangenen zehn Jahren wenig getan. Der Evaluierungsbericht des Wirtschaftsministeriums listet lediglich 30 kommerzielle CCS-Projekte weltweit auf. Die Kapazität der Anlagen liegt bei 42,6 Millionen Tonnen – das sind gerade mal 0,1 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes. Die CCS-Befürworter hoffen, dass sich das gerade ändert. So will Norwegen ab 2024 im großen Stil Kohlendioxid unter dem Meeresboden verstauen. Dänemark erlaubte Anfang Februar die Verpressung in der Nordsee. Ähnliches planen die Häfen von Rotterdam, Antwerpen und Gent.

Biogasanlage Ketzin

Nicht gewandelt hat sich die Haltung der Menschen in CCS-Regionen. Gefragt, welche Klimaschutz-Maßnahmen sie unterstützen, nennen sie die CO₂-Verpressung seit Jahren im Mittelfeld. Hinter erneuerbaren Energien, vor Atomkraft und Hochspannungsleitungen. Zuletzt bei einer Studie in Spanien und Frankreich, wo zudem Aufforstung, Energieeffizienz und ein sparsamerer Lebensstil bevorzugt wurden.

Wenn es nach Greenpeace geht, ist das genau richtig. Karsten Smid, gelernter Ingenieur und Klimaexperte bei der Umweltorganisation, sagt: “Nach vier Jahren Kontrolle zu behaupten, dass dieses Endlager für 10.000 Jahre dicht bleibt, halte ich für gewagt.” Die Verpressung könne Erdbeben oder Haarrisse verursachen, die sich im Lauf der Zeit weiten. So könne Kohlendioxid austreten oder jenes salzhaltige Wasser, das vom CO₂ verdrängt wurde. “Ein Liter kann 1000 Liter Trinkwasser schädigen.”

Die Technik als letztes Mittel

Gulli bei der Biogasanlage Ketzin

Dass die Wissenschaftler des GFZ die Technik für sicher erklären, ist Smid egal. “Wie unabhängig sind die? All diese Projekte wurden zusammen mit der Industrie gemacht. RWE und Vattenfall haben auch die Forschungsfragen beeinflusst.” Und der Evaluierungsbericht des Wirtschaftsministeriums? “Wissenschaftlich unsauber.” Im Zweifel für die Industrie. Für ein Wirtschaftsmodell, das von fossilen Energien lebt. So sieht Smid das.

Dass CCS zum Freifahrtschein für die Industrie werden könnte, fürchten aber auch andere Umweltorganisationen, selbst jene, die die Technik als letztes Mittel akzeptieren, wie der WWF. Denn seit 2005 müssen die Konzerne für ihre CO₂-Abgase Zertifikate erwerben. Je näher das Ziel der Klimaneutralität rückt, desto teurer werden diese Papiere. Und wenn das Verpressen billiger ist, haben Unternehmen keinen Anreiz, ihre Emissionen zu senken.

Karsten Smid ist sicher, dass es ohnehin nicht zu CCS in Deutschland kommen wird. Weil es länger dauere, die nötige Infrastruktur zu bauen, als die Emissionen zu vermeiden – auch jene, die als unvermeidbar gelten. “Wir werden die Scheinlösung CCS nicht brauchen, weil wir gute Alternativen haben.”

Ein Satz, der stark klingt. Stärker, als er ist. Denn die CCS-Gegner haben dasselbe Problem wie die Befürworter. Auch die Alternativen sind nicht ohne Risiko zu haben: Wer kann garantieren, dass sie ausreichend schnell ausreichend viel CO₂einsparen, sodass nichts verpresst werden muss? Vielleicht muss die CCS-Technik nicht daran gemessen werden, ob sie hundertprozentige Sicherheit für zehntausend Jahre bietet – sondern ob sie mehr Sicherheit bietet, als die Politik in den nächsten 20 Jahren fürs CO₂-Sparen geben kann.

In Ketzin ist die Wette entschieden. Für die Technik. Oder wie es Michael Kühn ausdrückt: “Die Ängste vor CCS sind mit Blick auf unser Ergebnis nicht nachvollziehbar.” Dann geht er das Ergebnis durch, Risiko um Risiko. Erdbeben: Die Forscher haben in Ketzin die Vibrationen von Windrädern registriert, sogar ein Beben auf der anderen Seite der Welt. Aber nie ein Beben, das durch das Verpressen von Kohlendioxid ausgelöst wurde. Leckagen, aus denen CO₂ entweicht: Nie auszuschließen, aber die Mengen wären so gering, dass sie kaum messbar wären. “Wir haben Abschätzungsrechnungen gemacht. Wenn aus einer Schicht CO₂ entweicht, fließen maximal zehn Prozent in die nächsthöhere Schicht, von denen wiederum nur zehn Prozent die nächste Barriere überwinden. Das ist halt Physik.” Auch das Risiko für versalzenes Trinkwasser sei sehr gering.

Für diese Erkenntnisse haben die Forscher Wasser-, Gas- und Gesteinsproben genommen, Druck und Temperatur gemessen, seismische Wellen und Strom durch den Untergrund geschickt. Ohne die Beteiligung der Industrie sei ein so technisches Projekt nicht umsetzbar, so sehen sie das beim GFZ. Doch eins ist Michael Kühn wichtig: “Wir waren nie für oder gegen CCS. Ketzin war ein wissenschaftliches, technisches Projekt. Wir messen was, und entweder es funktioniert oder nicht.”

In Ketzin hat es funktioniert. Auch mit den Bewohnern. Es habe viel Austausch gegeben, erzählt Michael Kühn, sogar Tage der offenen Tür. Mit Grillfest. Ohne Protest. Er stampft kurz auf den Gullydeckel. “Wer CCS machen will, kann bei uns am GFZ lernen, wie es geht.” Oder hier. Im Nichts.

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