Bundesernährungsminister Cem Özdemir gab sich streitlustig: „Geld damit zu verdienen, dass man die Gesundheit unserer Kinder ruiniert, halte ich für keinen guten Weg“, sagte er am Montag. Kurzfristig hatte der Grünen-Politiker zur Vorstellung seines Plans für Werbeverbote für Süßes, Fettes und Salziges eingeladen. Sein lange angekündigte Ziel: Kinder vor Werbung für ungesunde Lebensmittel schützen.
Der Umfang des geplanten Gesetzes geht dabei noch über die Regeln in Großbritannien hinaus, das als erstes europäisches Land solche Werbung verbietet. So will Özdemir Fernsehwerbung für Lebensmittel, die nicht Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen, zwischen sechs und 23 Uhr ganz verbieten. Auch Kinder-Werbung für ungesunde Lebensmittel in Zeitschriften, dem Internet, sozialen Medien und sogar in Influencer-Videos soll verboten sein. Allerdings, so Özdemir, sei sein Vorstoß noch nicht in der Ampel-Koalition abgestimmt.
So bahnt sich über das Gesetzesvorhaben ein Koalitionsstreit an. „Pauschale Verbote von Werbung, die die Kinder regelrecht abschirmen sollen, übergehen die wahren Kernprobleme von ungesunder Ernährung und sind nur maximal die zweitbeste Lösung. Für eine solche Politik gibt es keine Mehrheit“, sagte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad WELT. Sie forderte stattdessen mehr Ernährungscoaches an Schulen, Seminare zur Medienkompetenz für Kinder und Eltern sowie mehr Engagement von Produzenten und Supermärkten.
Das Thema ist für beide Koalitionspartner aufgeladen: Während die Grünen schon lange Werbeeinschränkungen fordern, sehen Berliner Industrie-Lobbyisten aus Markenindustrie und Werbewirtschaft bereits seit Jahren die Liberalen als Bollwerk gegen solche Einschränkungen. Schon im Kampf gegen Werbeverbote für Tabak-Verdampfer hatten die Verbände auf Unterstützung der Liberalen gehofft, die damals allerdings in der Opposition verharrten.
FDP-Politikerin Konrad bemängelt nun die von Özdemir gewählten Kriterien. „Bei der Einstufung von Lebensmitteln in gesund und ungesund sind die WHO-Grenzwerte aus gutem Grunde in der Praxis nicht umsetzbar und haben deshalb nicht den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden. Diese erweisen sich nämlich als weltfremd, denn so dürfte noch nicht mal mehr ein Glas Milch, ein frisches Rosinenbrötchen oder bestimmte Obstsäfte beworben werden.“ Sie forderte, intelligentere und vernünftigere Ansätze zu wählen, die die Wertschätzung vieler landwirtschaftlicher Produkte nicht negierten.
„Das halte ich aus“, sagt Özdemir
Özdemir nahm solche Kritik am Montag bereits vorweg. Die WHO-Kriterien seinen international anerkannt, sagte er bei der Vorstellung seines Plans. „Ich bin alles andere als ein Verbotsfanatiker“, behauptete er. Er plane kein allgemeines Werbeverbot für Chips und Schokolade. Stattdessen gehe es darum, Kinder zu schützen und Eltern zu entlasten. „Mir ist völlig klar, dass ich mit Gegenwind rechnen muss – das halte ich aus“, sagte Özdemir.
Erst vor wenigen Wochen war ein anderer Vorstoß Özdemirs am Widerstand in der Koalition gescheitert: Nach WELT-Informationen verschwand die von Özdemir wiederholt vorgeschlagene Mehrwertsteuer-Senkung für pflanzliche Lebensmittel in der Ressortabstimmung mit dem FDP-geführten Finanzministerium aus dem Eckpunktepapier für die Ernährungsstrategie der Regierung. Das Papier hatte das Landwirtschaftsministerium erarbeitet.
Diesmal stößt Özdemir auch auf den erwartbaren Widerstand aus der Industrie. Die WHO-Kriterien seien so streng, dass 70 bis 80 Prozent der Lebensmittel nicht mehr für Kinder beworben werden dürften, warnen die Lobbyisten. Es handle sich um ein fast komplettes Werbeverbot, wenn Fernsehwerbung auf die Nacht beschränkt sei, meinte etwa der Lebensmittelverband Deutschland.
Zudem sei die Aussage, die Industrie ruiniere die Gesundheit der Kinder, falsch. „Eine solche bösartige Aussage, die eine ganze Branche diffamiert, die über fünf Millionen Erwerbstätige beschäftigt und täglich die Bevölkerung versorgt, ist eines Bundesministers nicht würdig. Dies stellt Cem Özdemir zudem ein erschreckendes Zeugnis über seine Einstellung zu Grundwerten und Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft aus“, kritisierte Verbandsgeschäftsführer Christoph Minhoff.
Der Werbeverbad ZAW warnte vor Folgen des geplanten Werbeverbots im Sport-Umfeld: „Die untaugliche Verbotspolitik nimmt in Kauf, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb, darin eingeschlossen den Markterfolg von Innovationen, auszuschalten.“
Die Verbraucher-Lobby Foodwatch hingegen begrüßte Özdemirs Pläne. „Jetzt kommt es darauf an, dass das Gesetz innerhalb der Ampel-Koalition – insbesondere vom Koalitionspartner FDP – nicht verwässert wird und der Kinderschutz gegen die Interessen der Werbewirtschaft und der Junkfood-Industrie durchgesetzt wird“, sagte Foodwatch-Campaignerin Luise Molling.
Auf das Gegenteil hofft die oppositionelle Unionsfraktion. Sie positioniert sich gegen das Vorhaben. Ernährungspolitikerin Christina Stumpp (CDU) warnte, auch Lebensmittel wie Tomatenketchup, abgepackte Brotwaren oder eine Vielzahl von Milchprodukten dürften gemäß Özdemirs Plan bei abendlichen Familiensendungen oder Sportübertragungen nicht mehr beworben werden. Der Minister habe sich damit Maximalforderungen angeschlossen.
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Source: welt.de