Es war der 15. Februar 2022 als der renommierte Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum ersten Mal wegen uneidlicher Falschaussage im Hamburger Cum-Ex-Skandal bei der Staatsanwaltschaft der Hansestadt anzeigte. Ermittlungen wollen die Hamburger Strafverfolgungsbehörden bis heute nicht aufnehmen.
Erst am Montag war bekannt geworden, dass die Generalstaatsanwaltschaft eine Beschwerde Strates gegen die bisherigen Entscheidungen der ihr dienstrechtlich untergeordneten Stellen der Hamburger Justiz abgelehnt hat. Strate hat darauf mit großem Unverständnis reagiert – und hat aufgrund des Termins der Veröffentlichung einen ganz bestimmten Verdacht.
Strate hat Scholz angezeigt, da sie dieser im Finanzausschuss des Bundestages und im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft unterschiedliche Angaben hinsichtlich seines Erinnerungsvermögens gemacht haben soll. Dabei geht es um Treffen von Scholz mit den Gesellschaftern der in den „Cum-Ex“-Skandal verwickelten Warburg Bank in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister 2016 und 2017.
Laut Strate geht aus inzwischen öffentlich gemachten Protokollen des Bundestags hervor, dass sich Scholz bei Befragungen im März und Juli 2020 im Finanzausschuss noch an Inhalte eines Treffens erinnern konnte. Im April 2021 hatte Scholz dann bei seiner ersten Vernehmung vor dem Hamburger PUA aber ausgesagt, sich überhaupt nicht mehr an das Treffen erinnern zu können.
Die Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, es gebe keinen Anfangsverdacht darauf, dass Scholz vor dem Hamburger PUA falsch ausgesagt haben könnte. Die Protokolle enthielten keine Hinweise auf eine „später bewusst wahrheitswidrig behauptete Erinnerungslosigkeit“. Mit der am Montag bekanntgemachten Entscheidung aus dem Februar bestätigte sie einen gleichlautenden Bescheid der Staatsanwaltschaft vom Dezember vergangenen Jahres, in dem diese von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Scholz abgesehen hatte.
„Selten hat sich die Leitung einer Strafverfolgungsbehörde so pflichtvergessen gezeigt wie in diesem Falle“, kommentierte Strate die am Montag öffentlich gewordene Entscheidung. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg verstehe „sich weiterhin als Schutz- und Trutzwall der Stadtregierung“, schreibt Strate auf der Webseite seiner Kanzlei.
Auch David Stoop, Vertreter der Linksfraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Cum-Ex der Hamburgischen Bürgerschaft zeigte sich am Montag sehr verwundert über die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft. „Hamburgs Staatsanwaltschaft zeigt weiterhin wenig Aufklärungswillen“, sagte Stoop.
Vor allem einen Teil der Begründung hält er für „erstaunlich“. Es sei demnach möglich, dass die Aussage des Kanzlers vor dem Finanzausschuss des Bundestages unzutreffend gewesen sei. Dies wäre – anders als eine Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss, für den Kriterien ähnlich einem Gerichtsprozess gelten – nicht strafbar. „Die Möglichkeit, dass die Aussage im Bundestag korrekt und die spätere Aussage im Untersuchungsausschuss nicht der Wahrheit entsprach, schließt die Generalstaatsanwaltschaft aus meiner Sicht jedoch viel zu vorschnell aus“, bemerkt Stoop. Fest stehe für ihn: Die Aussagen, die Scholz in Hamburg und in Berlin getroffen hat, widersprächen sich. „Wir werden deshalb im Untersuchungsausschuss umso mehr auf Aufklärung drängen.“
Für den 14. April hat der PUA die ersten von 38 Zeugen geladen, die zu Scholz‘ Aussagen in Berlin Stellung nehmen sollen. Eine Woche später sollen die übrigen 19 ehemaligen Mitglieder des Finanzausschusses vor dem Hamburger PUA aussagen. Die Daten für die neuen Zeugenvernehmungen waren am Wochenende bekannt geworden.
Für Strate drängt sich daher ein Verdacht auf: Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Montag zu veröffentlichen und damit „dem ehemaligen Bürgermeister dieser Stadt jeden Gedächtnisschwund zuzubilligen, stellt sich der Sache nach auch als Versuch dar, auf die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die ersten Zeugen zu den Aussagen des ehemaligen Bürgermeisters vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages geladen hat, unmittelbar Einfluss zu nehmen.“
Der Hamburger Ausschuss soll eine mögliche Einflussnahme führender SPD-Politiker zugunsten der Warburg Bank aufklären. Nach den ersten Treffen von Scholz mit den Bankern im Rathaus hatte die Hamburger Finanzverwaltung im Dezember 2016 eine Rückforderung von 47 Millionen Euro wegen zu Unrecht erstatteter Kapitalertragssteuern an die Bank doch nicht erhoben. Eine zweite Forderung über weitere 43 Millionen Euro war Ende 2017 erst kurz vor der Verjährung auf Weisung des Bundesfinanzministeriums erhoben worden.
Scholz und andere Zeugen im Ausschuss, darunter sein damaliger Finanzsenator und heutiger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), haben den Verdacht einer politischen Einflussnahme stets zurückgewiesen.
Bei „Cum-Ex“-Geschäften wurden Aktienpakete von mehreren Beteiligten rund um den Dividendenstichtag mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch hin und her verschoben. In der Folge erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand so ein Milliardenschaden.
Source: welt.de