Der Oppositionskandidat für die kommende Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei steht fest: Das Oppositionsbündnis aus sechs Parteien stellte Kemal Kılıçdaroğlu als Gegenkandidaten zum amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor. Das kündigte der Vorsitzende der oppositionellen Saadet-Partei, Temel Karamollaoğlu, in Ankara an.
“Unser größtes Ziel ist es, die Türkei zu Wohlstand, Frieden und Freude zu bringen”, sagte der 74-jährige Kılıçdaroğlu vor jubelnden Anhängern in Ankara. Er versprach, das Land im Falle eines Wahlsieges gegen Erdoğan “auf der Grundlage von Konsultationen und Kompromissen zu führen”. “Recht und Gerechtigkeit werden sich durchsetzen”, fügte er hinzu.
Bruch mit der İYİ
Erst vor wenigen Tagen hatte die rechtsgerichtete Partei İYİ das Oppositionsbündnis verlassen. Parteichefin Meral Akşener hatte mitgeteilt, dass die İYİ Kılıçdaroğlu nicht als Kandidaten akzeptieren könne und die Allianz daher verlasse. Besser geeignet wären aus Sicht der İYİ der Istanbuler Bürgermeister, Ekrem İmamoğlu, oder Mansur Yavaş, Bürgermeister der Hauptstadt Ankara. Beide Politiker gehören wie Kılıçdaroğlu der CHP an und hätten Umfragen zufolge sehr gute Chancen, Erdoğan zu schlagen.
İmamoğlu war jedoch im Dezember mit einem Politikverbot belegt worden. Wird dies rechtskräftig, darf er vorerst kein politisches Amt mehr ausüben. Yavaş wiederum hat einen nationalistischen Hintergrund, der kurdische Wähler abschrecken könnte. Die beiden Bürgermeister hatten am Wochenende mitgeteilt, dass sie die Kandidatur ihres Parteichefs unterstützen würden. Mittlerweile hat sich die İYİ der Allianz jedoch wieder angeschlossen.
“Wir wären eliminiert worden, wenn wir uns gespalten hätten”, sagte Kılıçdaroğlu und direkt warb um weitere Unterstützer: “Die Tür des Nationalbündnisses steht allen sperrangelweit offen, die unseren gemeinsamen Traum der Türkei teilen.”
Viele Unterstützer der Opposition werfen Kılıçdaroğlu mangelndes Charisma vor. Er hält dagegen, die Türken hätten genug von Erdoğan und dessen Führungsstil. Außerdem wird kritisiert, dass Kılıçdaroğlu seit fast 13 Jahren an der Spitze der Opposition stehe und die CHP unter seiner Führung noch keine Wahl gegen Erdoğan gewinnen konnte. Die prokurdische Linkspartei HDP, die noch keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hat, steht seiner Kandidatur wohlwollend gegenüber.
Opposition will Rechtsstaatlichkeit stärken
Kılıçdaroğlu stammt aus der ostanatolischen Provinz Tunceli (Kurdisch: Dêrsim) und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an. Er ist Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft und Verfechter eines nationalistischen Kurses beim Thema Flüchtlinge.
Im Falle eines Wahlsieges hatte das Oppositionsbündnis anderem angekündigt, das Präsidialsystem wieder in ein parlamentarisches System überführen, den Rechtsstaat und die Pressefreiheit stärken und die Macht des Präsidenten beschneiden zu wollen. Zu dem Bündnis gehören neben der größten CHP und der İYİ auch zwei Abspaltungen der AKP Erdoğans: die Deva-Partei von Ali Babacan und die Gelecek-Partei, geführt von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu.
Erdoğans islamisch-konservative AKP tritt im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP und der kleinen nationalistisch-religiösen BBP zur Wahl an. Ein Großteil der Medien steht unter der Kontrolle der Regierung, die Justiz gilt als politisiert. Die Wahlen des Parlaments und des Präsidenten in der Türkei hätten regulär im Juni abgehalten werden sollen. Erdoğan
hatte aber bereits vor der Erdbebenkatastrophe vor einigen Wochen angekündigt, sie auf den 14. Mai vorziehen zu wollen.