Wehrtechnische Dienststelle: Tüftler und Tester im Dienste der Armee

Südlich der alten Römerstadt Trier liegt hinter den Weinbergen am Aveler Bach ein streng geheimes Terrain der Bundeswehr. Eine schmale Straße führt entlang der winterkahlen Rebstöcke und endet vor einem schwer gesicherten Tor. Es ist der Zugang in die abgeschirmte Welt der „Wehrtechnischen Dienststelle 41“. Rund 400 Fachleute arbeiten dort an streng vertraulicher Militärtechnik für die Bundeswehr von morgen. Verteilt auf dem riesigen Gelände finden sich Hallen und Labore, Prüfstände und Fahrbahnen, die nur mit besonderen Zugangsberechtigungen und -codes betreten werden können.

Die meisten Zivilisten und Soldaten, die hier arbeiten, sind Ingenieure und Techniker oder Handwerker. In allen schlagen die Herzen von Tüftlern, Testern und haargenauen Vermessern. Was ihnen hier unter die Fittiche kommt, wird tief durchleuchtet und auf das Extremste erprobt. Ziel der Arbeit ist es, der Bundeswehr brauchbares und haltbares Material zu liefern. Was hier an schweren Rüstungsgütern getestet wird, muss sich unter Extrembedingungen im Eis oder in der Wüste, im Gebirge und im Schlamm bewähren, auf Tausenden von Kilometern über viele Monate. Viele große Rüstungsprojekte werden in Trier über Jahre begleitet und getestet. Was hier durchfällt, muss in der Industrie verbessert werden. Auf Biegen und Brechen.

In der Bundeswehr gibt es sechs solcher Wehrtechnischer Dienststellen (WTD). Sie haben unterschiedliche Aufgaben. In Eckernförde etwa geht es um Schiffe, in Manching um Luftfahrzeuge. Im alpinen Oberjettenberg werden unter anderem „nichtletale Wirkmittel“ getestet, also Wirkstoffe, die zwar kampfunfähig machen, aber Gegner nicht töten. Erforscht wird auch die „Nukleare Blastwirkung“, also die Wirkung einer Atomwaffenexplosion. In Trier ist man für alles zuständig, was in den Streitkräften rollt und rasselt, Geländewagen, Laster und Panzer aller Art. Neben der Projektbegleitung für neue Fahrzeuge obliegt den Technikern hier auch die Forschung an unbemannten Fahrzeugen oder der aufwendige Betrieb und Schutz intelligenter Bordnetze. In einem kleinen Forschungsbereich tüfteln Experten daran, wie man durch Kraft-Wärme-Kopplung den Energiebedarf eines Feldlagers halbieren kann. Aufs Jahr gerechnet könnten dabei in einem Lager für 300 Soldaten alleine sieben Millionen Liter Diesel eingespart werden.

Mischung aus Techniker und Bürokrat

Der Chef der Einrichtung mit dem unscheinbaren Kürzel „WTD 41“ ist Jürgen Simon, Anfang 60. Der Mann ist, wie viele hier, eine Mischung aus begeistertem Techniker und akribischem Bürokraten. Nach dem Wehrdienst hat Simon Maschinenbau studiert und dann im Beschaffungswesen der Streitkräfte seine Lebensaufgabe gefunden. Zeitweise war er im Koblenzer Rüstungsamt Leiter der Abteilung „Kampf“. Deren Name ist Programm. Aber im Rahmen irgendeiner mittelmäßig strukturierten Strukturreform musste Simon seinen Platz für einen General räumen. Das Heer wollte unbedingt einen Uniformierten auf dem Kampfposten. Nun führt er seit ein paar Jahren in Trier sein eigenes Reich.

Jürgen Simon: Direktor der Wehrtechnischen Dienststelle für landgebundene Fahrzeugsysteme, Pionier- und Truppentechnik : Bild: Frank Röth

Simons wichtigstes Projekt, jedenfalls nach Gewicht und Durchschlagskraft, war die Panzerhaubitze 2000, ein mächtiges Geschütz auf Kettenantrieb, das seit Mitte des Jahres in einigen Exem­plaren den ukrainischen Widerstand gegen den russischen Überfall stärkt. Ohne Simon stünde die Haubitze jetzt nicht im Dienst der Freiheit, das steht fest – auch wenn er das selbst so nicht sagen würde.

Ein paar Hundert Meter von seinem schmucklosen Büro entfernt dreht sich an diesem Vormittag in einer Zelthalle ein tonnenschwerer Geländewagen in der Luft um seine eigene Achse. Das Fahrzeug ist auf einem rotierenden Träger montiert, den Überschlag- und Rettungssimulator. Die millionenteure Anlage kann Unfälle und Möglichkeiten der Rettung und Bergung nachstellen. Was passiert beispielsweise, wenn ein gepanzertes Fahrzeug auf die Seite fällt? Wie bekommt man die schweren Türen auf und, falls überhaupt, womit? Die Erprobung, die hier unter möglichst realitätsnahen Bedingungen stattfindet, wird später darüber entscheiden, ob verletzte Soldaten geborgen werden können oder nicht.

Das „WTD 41“-Zeichen auf dem Gebäude des Multiaxialen Prüfstands : Bild: Frank Röth

Die Halle hat noch eine Besonderheit: Während der moderne Simulator als millionenschwere Einzelanfertigung zu beeindrucken vermag, verschaffen die drumherum wabernden weißen Zeltplanen und die Raumtemperatur von etwa zehn Grad einen Eindruck von den Bundeswehr-Kalamitäten: Die feste Halle für den Simulator ist seit Jahren in Planung und Bauvorbereitung, kommt aber frühestens im kommenden Jahr.

Immerhin ist es dort möglich, trotzdem Fahrzeuge zu testen. Ganz anders die Lage auf einem riesigen Prüfstand für schwere Radfahrzeuge am anderen Ende des WTD-Geländes: Dort könnten realitätsnah monatelange Fahrten tonnenschwerer Militärfahrzeuge durch unwegsames Gelände erprobt werden. Die gewaltige Anlage, ein Schmuckstück deutscher Ingenieurskunst, hat etwa 36 Millionen Euro gekostet und wurde nach mehrjähriger Bauzeit 2021 für ihre Schwerstarbeit zertifiziert. Drumherum hat allerdings ein privates Unternehmen eine ruhmlose Halle errichtet, die den Ansprüchen der landeseigenen Bauverwaltung nicht genügte. Deshalb steht alles still. Die ganze Anlage darf aus Sicherheitsgründen nur ausnahmsweise betreten werden, während die Garantiezeit allmählich verrinnt – Bundeswehr 2023.

Fälle wie diesen haben Simon und seine Projektleiter noch allerlei auf Lager, und es treibt sie zur Verzweiflung, dass bürokratische Hürden und Fehlplanungen ihre praktische Arbeit behindern oder gar zerstören. In einer anderen Halle etwa könnten und sollten auf sechs Motorprüfständen die Antriebe von schweren Kettenfahrzeugen erprobt werden. Auf einer der Testanlagen wird gerade die militärische Eignung von modernem F-34-Flugturbinenkraftstoff für bestimmte Panzermotoren getestet. Doch die anderen fünf Prüfstände stehen seit Ende 2019 still. Begründung: In der älteren Wandbeschichtung wurde eine erhöhte Asbestbelastung gefunden. Für die fällige Sanierung fehlt es allerdings an externen Firmen und Kapazitäten bei der zuständigen Landesbauverwaltung, einer eigenständigen Landesoberbehörde.

Sind die Prüfer Teil des Problems?

Solche föderalen Hemmnisse blockieren die Arbeit derer, die in der gewaltigen Bürokratie des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr mit seinen etwa 11.000 Mitarbeitern jetzt für Druck und Dampf bei der Wiederaufstellung einer kampfstarken Truppe sorgen sollten. Manche meinen allerdings, dass auch die Wehrtechnischen Dienststellen oft zu pingelig und vor allem viel zu lange an jedem militärischen Einzelteil herumlaborieren und den Betrieb aufhalten. „Trier fährt alles kaputt“, heiße es, sagt Simon, scheint sich dafür aber keineswegs zu schämen.

Dass man in Trier nicht nur innovatives Testzentrum für die militärischen Geräte von morgen ist, sondern auch TÜV hoch drei, mag stimmen. Manchmal gehen die Konflikte zwischen Hersteller und Prüfern fast ins Persönliche. So zerstritten sich vor einiger Zeit etwa die Firma Heckler & Koch und die Kleinwaffen-Prüfer einer Wehrtechnischen Dienststelle in Meppen über das Sturmgewehr G 36 derart, dass jahrelang vor Gericht ums Recht­haben gekämpft wurde. Mit Erfolg für den Hersteller der Waffe, der sich von den Prüfern in Meppen geradezu verfolgt fühlte. Doch der Dauerkonflikt schwelt weiter.

In Trier halten die Projektleiter in den Weinbergen zahlreiche Beispiele für die Bedeutung ihrer Arbeit bereit, die eben auch darin besteht, bei den Produkten der wehrtechnischen Industrie das Taugliche vom Schrott zu trennen. So habe die Panzerschnellbrücke eines Brückenlegepanzers nicht die geforderten 10.000 Überfahrten durchgehalten, sondern sei bei Überfahrt Nummer 153 gebrochen. Das Projekt wurde eingestellt.

Gebrochene Achsen und Rahmen nach wenigen Tausend Kilometern auf der Teststrecke, eingefrorene und funktionslose Federbeine bei minus 15 Grad oder auch ein einknickendes Stützrad eines Generator-Anhängers sind übliche Mängel für die Prüfer, die für manche Testreihe ins polare Klima reisen, für andere in die Wüste. Aus Kleinigkeiten können schwere Mängel im Kampf werden, schlimmstenfalls der vermeidbare Tod im Duell mit einem Gegner.

Das gilt selbst für Kettenfahrzeuge wie den Kampfpanzer Leopard 2. Der ist zwar tausendfach bewährt, wird aber über die Jahre und Baureihen immer schwerer. Anfangs wog der Leopard etwa 55 Tonnen. Was das Kampfgewicht von annähernd 70 Tonnen der aktuellen Baureihe für das gesamte Laufwerk des Panzers bedeutet, wo Verbesserungen und Verstärkungen nötig sind, das ergründen und fordern die Ingenieure der WTD 41.

Die Techniker arbeiten dabei nicht nach Gefühl oder Vorlieben, sondern folgen einem großen Plan, wie Jörg Meinunger, der Leiter des „Geschäftsfeldes 310“ erläutert. Er befasst sich unter anderem mit den Radfahrzeugen der Bundeswehr. Schon der bloße Anblick seiner Ablaufdiagramme verheißt maximalen Zeitaufwand bei einer Vielzahl von Beteiligten und diversen zivilen und militärischen Normen, die es zu beachten gilt. Das beschränkt sich nicht nur auf deutsche und europäische Vorschriften, sondern geht über die Verteidigungsgeräte-Norm (VG) bis hin zu Standardisierungsübereinkommen der NATO. Die müssen ebenso akribisch eingehalten werden wie eventuelle amerikanische Prüfnormen. Ein Leopard-Panzer, der bis zu 720 Liter Treibstoff auf 100 Kilometer im Gelände verbraucht, soll im Falle eines Falles schließlich auch bei einem Versorger der US-Streitkräfte tanken können. Nur wenn alle Beteiligten sich auf gemeinsame Passformen verständigen, kann ein Verteidigungsbündnis von 30 Staaten erfolgreich kooperieren.

Der Preis dafür ist eine ungeheure Planungs- und Erprobungsbürokratie, die offenbar dort besonders lähmt, wo in den vergangenen 70 Jahren viel theoretisiert wurde und, glücklicherweise, wenig gekämpft werden musste. Andererseits sprechen viele Ergebnisse für die Prüfer: Das Material der Bundeswehr hat weltweit einen exzellenten Ruf, die Fahrzeuge der deutschen Streitkräfte gelten als solide und durchdacht, es gibt vergleichsweise wenige Unfälle, weniger Tote und Verletzte.

Für alle Fälle: Ein Eagle 5 wird in Trier auf die Probe gestellt. : Bild: Frank Röth

Für ihre Arbeit kann die Dienststelle modernste Technik nutzen und entwickeln. Etwa Drucker für dreidimensionale Ersatzteile. Bei der detaillierten Innenraumgestaltung für ein Rettungsfahrzeug der Sanitätstruppe simuliert ein Computer passgenau jedes medizinische Einzelteil, das in das Fahrzeug passen soll. Fürs Grobe ist man ein paar Hallen weiter auf dem Prüfstand für Container zuständig. Die tonnenschweren Behälter werden auf einen Simulator gepackt, dem die Wegstrecke ins Bundeswehr-Camp in Mali mit allen Unebenheiten einprogrammiert ist. Mit Rütteln und Schütteln auf dem Teststand kann man ziemlich genau ausprobieren, was auf welche Weise in den Containern transportiert werden kann. Eine Detailarbeit, die aber möglicherweise Bruch und Scherben erspart.

Andererseits zeigt der aktuelle Schützenpanzer Puma, wie umfangreiche Planung, jahrelange Erprobung und Nachweisführung, Millionen Prüfdaten bei der Wehrtechnischen Dienststelle dennoch zu einem halb fertigen und überempfindlichen Fahrzeug führen, das sich seit Jahren gegen die praktische Nutzung durch die Panzergrenadiere sträubt. Seit 2015 sind die etwa 350 Kettenfahrzeuge mit einem Stückpreis von 17 Millionen Euro in der Truppe. Trotz mehrjähriger Prüfdurchläufe, die schließlich zur Zertifizierung führten, bleiben gravierende Probleme mit der Elektronik, der Software, den Sichtmöglichkeiten für die Fahrer, dem Gewicht und sogar mit Luken, durch die es bei starkem Regen tropfte.

Einstellungssache: Richtig programmiert fährt der Eagle 5 von ganz alleine. : Bild: Frank Röth

Die heutigen Puma der Bundeswehr werden erst nach kostspieligen Fortentwicklungen und frühestens Ende des Jahres einen Konstruktionsstand erreicht haben, bei dem sie nach NATO-Maßstäben kriegstauglich sind. Der Preis des ohnehin teuersten Schützenpanzers der Welt wird dann um weitere sechs bis acht Millionen Euro pro Exemplar gestiegen sein.

Jede Neukonfiguration muss in Trier getestet werden, darunter auf den zahlreichen Erprobungsbahnen, wo die Panzer Tausende Kilometer durch Schlamm, Sand und Schotter geschickt werden. Dafür unterhält die Dienststelle allerlei Außenplätze und eine sogenannte „synthetische Erprobungsbahn“ von mehreren Kilometern, auf der verschiedene Straßenoberflächen und Schräglagen befahren werden können. Es gibt ein „variables Waschbrett“, eine sogenannte „Verwindungsbahn“ und den berüchtigten „Belgisch-Block“, der eine Kopfsteinpflasterstraße in schlimmstem Zustand darstellt.

Peter F. ist dort der technische Beamte, der die Probefahrten auf der Strecke überwacht. Von den Sechzigerjahren an mussten stets Soldaten die Fahrzeuge 40.000 Kilometer über die Pisten steuern. Damals wurden sie zehn Stunden am Tag gerüttelt und geschüttelt. Nach heutigen Arbeitsnormen dürften sie kaum eine Stunde pro Tag fahren. Deshalb helfen seit ein paar Jahren Fahrroboter, die etwa das vorgeführte Geländefahrzeug Eagle 5 millimetergenau lenken, schalten und bremsen. Die Roboter seien „die einzigen Mitarbeiter, die immer machen, was sie sollen“, sagt der Beamte schelmisch. Man sollte ja nicht denken, dass man an den geheimen Prüfanlagen der Streitkräfte keinen Humor hat.

Source: faz.net

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