Wahlen in der Türkei: Anti-Erdogan-Opposition einigt sich auf Kandidaten – doch für eine wichtige Verbündete ist er nicht besser als die “Malaria”

Wahlen in der Türkei Anti-Erdogan-Opposition einigt sich auf Kandidaten – doch für eine wichtige Verbündete ist er nicht besser als die “Malaria”

Die türkische Opposition zieht mit Kemal Kilicdaroglu, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP, in die Wahl am 14. Mai

© Bradley Secker / DPA

Nach langem Ringen hat sich die türkische Opposition auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, der bei der Wahl im Mai als Herausforderer von Präsident Erdogan antritt. Pikant: Eine wichtige Verbündete vergleicht ihn mit einer ansteckenden Krankheit.

Offiziell ist die Wahl in der Türkei erst für den 14. Mai angesetzt. Doch bereits in den vergangenen Tagen schien es so, als wollte sich die Opposition selbst aus dem Rennen nehmen. Grund dafür ist ein spektakuläres Hin und Her bei der Wahl eines geeigneten Kandidaten aus den Reihen des oppositionellen Sechserbündnisses, zu dem sich ein großer Teil der Erdogan-Gegner zusammengeschlossen hat.

Dem sogenannten “Sechsertisch” wurden gute Chancen eingeräumt, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative AKP nach mehr als 20 Jahren von der Macht zu verdrängen. Monatelang schien die Front geeint, der unter anderem die größte Oppositionspartei CHP und die nationalkonservative Iyi-Partei angehörten. Vergangenen Donnerstag einigte man sich endlich auf einen gemeinsamen Spitzenkandidaten, dessen Name heute verkündet werden sollte. Politische Beobachter waren sich einig, dass es auf den CHP-Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu herauslaufen würde.

Am Freitag dann der Paukenschlag: Die Iyi-Vorsitzende Meral Aksener erklärte, dass ihre Partei eine Kandidatur Kilicdaroglus nicht mittragen werde. Stattdessen brachte sie die Namen von zwei Parteikollegen Kilicdaroglus ins Gespräch: den beliebten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu oder den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas. Beiden räumte sie bessere Gewinnchancen ein als dem als wenig charismatisch charakterisierten Kilicdaroglu. Wörtlich nannte Aksener die Entscheidung zwischen Erdogan und Kilicdaroglu als eine Wahl “zwischen Tod und Malaria”.

Präsident Erdogan reibt sich die Hände

Die Aufregung war gewaltig. Nicht nur, dass Aksener quasi zum Putsch in einer anderen Partei aufgerufen hatte. Viel größer war die Enttäuschung, dass die türkische Opposition scheinbar wieder eine Gelegenheit verstreichen ließ, um den ungeliebten, im Stile eines Sonnenkönigs regierenden Erdogan tatsächlich mit einem geeinten Auftreten herauszufordern. Kein Wunder, dass der Amtsinhaber sein Glück kaum fassen konnte. “Sie kamen, sie sprachen, sie zerstreuten sich”, kommentierte Erdogan hämisch das Zerwürfnis seiner Konkurrenten.

Doch am Montagmittag sah die Welt in der Türkei schon wieder anders aus. Als sich die verbliebenen fünf Parteien wie angekündigt zu Gesprächen über die endgültige Bekanntgabe des Oppositionskandidaten trafen, war Iyi-Vorsitzende Meral Aksener plötzlich doch wieder mit dabei und das Sechserbündnis wieder vereint. Nach ihren Angaben habe man sich auf einen Kompromiss geeinigt: Kilicdaroglu soll wie geplant als Kandidat aufgestellt werden, die beiden beliebten Bürgermeister würden im Falle eines Wahlsieges als Vizepräsidenten ernannt werden.

Am Abend kam dann tatsächlich die Bestätigung: Der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu tritt als offizieller Erdogan-Herausforderer des Sechserbündnisses bei der Präsidentschaftswahl am 14. Mai an.

Es bleibt schwer einzuschätzen, wie sich das wenig vertrauenerweckende Hick-Hack der letzten Tage auf die Wahlchancen der Opposition auswirken könnte. Das Bild einer geeinten Anti-Erdogan-Front der Opposition hat mit Akseners Irrlichtern jedenfalls deutliche Risse bekommen. Auch der Kandidat Kilicdaroglu ist nicht unbedingt ein Menschenfänger. Er steht seit fast 13 Jahren an der Spitze der Opposition, doch unter seiner Führung konnte seine Partei noch keine Wahl gegen Erdogan gewinnen.

Erdogans Popularität in der Türkei bröckelt

Andererseits scheint Präsident Erdogan angeschlagen. Seine Popularität bröckelt – erst recht seit dem verheerenden Erdbeben vor einem Monat, bei dem mehr als 45.000 Menschen in der Türkei ihr Leben verloren hatten. Betroffene geben Erdogans Regierung eine Mitschuld für die vielen Toten, weil sie es über Jahre versäumt hatte, die Gebäude erdbebensicher zu machen und offenbar jahrelang Pfusch am Bau toleriert hatte. Erdogan selbst blieb in den ersten Tagen nach dem Beben weitgehend unsichtbar.

Und da ist außerdem die desaströse wirtschaftliche Lage der Türkei, insbesondere die hohe Inflation von 50 Prozent, die den frisch erlangten Wohlstand angestammter AKP-Anhänger aufzufressen droht.

Mehrere Umfragen weisen Erdogans AKP mit Werten von um die 30 Prozent zwar nach wie vor als stärkste Partei aus, die mit der ultranationalistischen MHP wie gewohnt ein Bündnis bildet (“Volksallianz”). Doch für eine gemeinsame regierungsfähige Mehrheit reicht es für den Block nicht. Der oppositionelle “Sechsertisch” ist auf Augenhöhe, liegt bei manchen Instituten sogar vorn.

Eine entscheidende Rolle dürfte zudem die pro-kurdische HDP spielen, die seit Jahren von Erdogans Regierung kriminalisiert wird und von vielen als politischer Arm der PKK gilt. Ihr Vorsitzender Selahattin Demirtas sitzt im Gefängnis. Sie hatte ursprünglich angekündigt, bei der Präsidentschaftswahl einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Könnte darauf allerdings nun nach der Bekanntgabe von Kilicdaroglus Kandidatur verzichten.

Was insofern von Bedeutung ist, dass die Wahl des Präsidenten nach dem gleichen Modus abläuft, wie man es etwa auch aus Frankreich kennt. Wenn es in der ersten Runde am 14. Mai keinem Kandidaten gelingt, eine absolute Mehrheit zu erringen, kommt es 14 Tage später zu einer Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten.

Aller Voraussicht nach dürften das dann Erdogan und Kilicdaroglu sein.

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt, Die Welt, mit DPA

Source: stern.de

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