Eine Würdigung der Bank in diesen gesundheitsbesessenen Zeiten? Wird doch von morgens bis abends gewarnt, wie ungesund das Büro-Sitzen sei. Aber darum soll es hier nicht gehen. Sondern um das Platznehmen in der Stadt, zu dem der nahende Frühling bald wieder einladen wird. Also um städtische Sitzmöbel in Parks, auf Plätzen, in Grünanlagen, Brachen oder Straßen.
Um das, was Stadtentwickler und Soziologen „Stadtmobiliar“ nennen und damit die Einrichtung jener Sphäre meinen, die man betritt, wenn man die eigenen vier Wände verlässt: den öffentlichen Raum. Denn wo Menschen innehalten können, sich setzen, um sich auszuruhen, zu schauen, zu sinnieren und eventuell mit anderen ins Gespräch zu kommen, da erst wird die Stadt zur Stadt, wie Menschen sie lieben.
Mitte des 19. Jahrhunderts jedenfalls, als die ersten öffentlichen Bänke in Europas Parks auftauchten, waren sie vor allem dem Bürgertum vorbehalten, das es sich leisten konnte, tagsüber zu flanieren. Édouard Manet malte solch ein wohlhabendes Paar 1879: Eine junge Frau sitzt entspannt auf einer Parkbank, ein Arm hängt lässig über der Rückenlehne, hinter der ihr Mann steht. Das war auch Theodor Fontanes Welt: „Ich bin immer, auch im Leben, für Ruhepunkte. Parks ohne Bänke können mir gestohlen bleiben.“
Die modernen Städte mögen heute im walter-benjaminschen Sinne nicht mehr ein Ort der flanierenden Schaulust, der Lektüre der Straßen und Orte sein. Beschrieben werden sie eher als Unorte der Schnelligkeit und des Lärms, des extremen Autoverkehrs und kalter Kommerzialisierung.
Während aber die Megalopolen in Asien eher den Charakter einer Ansammlung von Gebäuden ohne innere und äußere Verbindung haben, besitzen die europäischen Städte noch ihren Kern, jene gewachsene Struktur, die einer der weltweit renommiertesten Stadtplaner, der Däne Jan Gehl, rühmt.
Er nennt fünf- bis sechsstöckige Wohnhäuser, Boulevards, Plätze, Parks und Bäume als idealen Lebensraum für den Homo sapiens. Gehl hat den Times Square zu einer autofreien Piazza umgebaut, hat in arabischen Ländern gearbeitet, in Grönland, Moskau und China, aber stets ist ihm dieser Homo sapiens begegnet. Es geht um die Relation zu unserem Körper, die Art und Geschwindigkeit, in der wir uns bewegen, einfach um unsere Sinne. Eben das „menschliche Maß“.
Und zum menschlichen Maß gehört definitiv die Sitzbank. Sie ist ein kostenloses Angebot, inmitten von einem großen Ganzen Platz zu nehmen. Wer sie benutzt, also besitzt, ist in gewisser Weise ein nutzloser Genießer, was auch schon subversive Züge hat. Im Sehen und Beobachten hat er die Welt als Bühne vor sich. Wenn Bänke erzählen könnten, was sich alles auf ihnen abspielt!
Viele entdeckten ihren Wert wieder, als zu Beginn der Corona-Pandemie das Sitzen auf ihnen verboten war. Ein grotesker Anblick: gesperrte Bänke! Es ist daher nicht vermessen, in Bänken ein Sinnbild des Egalitären zu sehen. Es sitzen alle mit gleichem Recht darauf. Eine Bank ist für alle da.
Romantische Orte für Liebende
Bänke sind auch romantische Orte, wo Liebende sich treffen und ihre Namen verewigen. Oder sie können Orte der Erkenntnis sein, wie etwa bei „Forrest Gump“, der sein Leben auf einer Bank sitzend erzählt. Liebesromane spielen auf einer Bank oder Liebesgeschichten wie Woody Allens „Manhattan“. Auch Kriminalromane haben gerne eine Bank als Cover.
Bänke, besonders in dunklen Parks, sind ideale Orte der Drogenkriminalität, siehe die TV-Serie „Breaking Bad“. Wobei nun langsam der Bereich des Düsteren touchiert wird. Die Sitzbank der Gründerzeit hatte ihre Unschuld spätestens dann verloren, als auf ihr stand: „Nur für Arier“.
Die erkennbaren Folgen der Witterung, aber auch enormer Vandalismus führten in jüngster Zeit dazu, dass aus der bequemen Holzbank mit Rückenlehne ein Beton- oder Steinquader wurde. Oder gar, in der Nähe von Bahnhöfen und an Bushaltestellen, ein unbequemer, unterteilter Schalensitz aus Plastik oder kaltem Metall. Kritiker sehen darin den Versuch, konsumfreies Sitzen zu verunmöglichen, die Menschen am Rasten zu hindern und sie stattdessen in die umliegenden Geschäfte und Cafés zu zwingen. Zudem sind Obdachlosigkeit und Clusterbildung von sozialen Problemgruppen wie Alkoholikern oder Drogensüchtigen eine Bedrohung der Anlagen.
Stadtplaner und Architekten haben daher in den vergangenen Jahrzehnten eine „defensive Architektur“ gefördert, denn Obdachlose sollen nicht mehr auf den öffentlichen Bänken schlafen können. Dagegen protestierte der Street-Art-Künstler Banksy. Eine Wand zeigte 2019 kurz vor Weihnachten ein Rentier, das statt eines Schlittens samt Geschenken eine Sitzbank mit einem Obdachlosen zog. Das Problem (oder das Beruhigende) ist, dass Regulierung und Zonierung nur begrenzt funktionieren, denn spontane Zusammenkünfte gehören genau zu dem, was Stadt und Öffentlichkeit ausmachen, im Positiven wie im Negativen.
Doch immer gibt es auch Gegenbewegungen gegen Zerfall, Zerstörung und stadtplanerische Fantasielosigkeit. Nicht nur haben sich Firmen wie Green Systems, Resorti oder CO33 auf die Produktion unverrottbarer städtischer Sitzmöbel spezialisiert, sie innovieren mit Stadtplanern und Architekten auch die Art der Designs. Neu sind spektakuläre Module aus Sitzen, Tischen und integrierten Pflanzen in allen erdenklichen Variationen, Farben und Materialien. Bei dieser jüngsten Generation von Straßenmöbeln verschwimmen die Grenzen zwischen Funktionalität und Kunst. Und Kunst hat Städten noch nie geschadet.
Man experimentiert also munter weiter, auch wenn die guten, alten Holzbänke in Parks oder auf Friedhöfen verrotten mögen. Städte sind eben lernende Wesen. Etwa Wolfenbüttel, das sich mit den Bürgern auf mobile Holzbänke einigte, die für Sommerfeste oder den Weihnachtsmarkt aufgestellt werden. Im Winter werden sie eingelagert. In vielen Metropolen gibt es mittlerweile Bänke mit Solarflächen und Ladestationen für Mobiltelefone und Laptops.
Städte ohne Bänke sind eigentlich keine Städte. Bänke geben den Räumen Struktur und Orientierung und Geborgenheit. Man muss nur die Augen schließen und an all die schönen Plätze denken: den Gendarmenmarkt in Berlin, den Wiener Rathausgarten mit seinen schlangenförmig aufgereihten Holzbänken, all die kleinen Gärtchen in Paris und London.
Einen festen Etat haben sie nicht
Wenn Städte und Kommunen lahm werden, weil sie mit Kosten argumentieren (einen festen Etat für Sitzmöbel haben sie in der Regel nicht), dann treten die Bürger und Bürgerinnen auf den Plan: Rettet die Bank! Hilfe, Bankenkrise! So haben sich in vielen Quartieren und Stadtteilen Privatinitiativen gebildet, die mit Bezirks-, Bau- und Stadtgrünämtern kämpfen. Meist widmet man Autostellplätze in mobile Sitzecken mit urban gardening um, wie dies in New York 2005 mit dem „Parking Day“ begann.
In Hamburg fordert eine Initiative alle 500 Meter eine Bank. In Halle (Saale) haben Kunststudenten Sitzmöbel für die Stadt entworfen. Vielleicht sollte man neben der Volkszählung auch weltweit eine Bankenzählung in Metropolen starten? Die Sitzbankdichte wäre durchaus ein Indikator für urbanes Glück. Dann würde man erfahren, dass allein im New Yorker Central Park 9000 Bänke stehen, im Berliner Tiergarten ganze 600.
Viele halten sie für so selbstverständlich, dass sie sich gar nicht damit beschäftigen wollen. Bänke fallen aber nicht vom Himmel, sie sind menschengemacht und -gewollt. Wenn Sie also wieder einmal an einer vorbeigehen: Machen Sie Halt, nehmen Sie doch Platz. Sie werden es nicht bereuen.
Source: welt.de