Im ersten Jahr des russischen Angriffskrieges sind sechzehn Millionen Menschen aus der Ukraine und Moldau in die Europäische Union eingereist. Elf Millionen davon kehrten wieder in ihre Heimat zurück, während fast vier Millionen einen Antrag auf vorübergehenden Schutz in der EU stellten. Knapp eine Million Menschen bekamen Visa und Aufenthaltsgenehmigungen in anderen Staaten wie den USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich.
Das geht aus einer Zwischenbilanz der EU-Kommission hervor. Sie benennt auch Defizite bei der Umsetzung der Richtlinie zum temporären Schutz, die eine Woche nach Kriegsausbruch erstmals aktiviert worden war.
Die Mehrzahl der Kriegsvertriebenen sind Frauen (47 Prozent) und Kinder (34 Prozent). Zwei von drei Kindern sind jünger als 13 Jahre. Der Schutzstatus wird pauschal verliehen, eine individuelle Prüfung ist nicht erforderlich. Dadurch werden die Asylsysteme der Mitgliedstaaten entlastet. Zudem können die Betroffenen ihr Aufenthaltsland selbst wählen. Rund die Hälfte lebt in Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik, Italien und Spanien. Gemessen an der Bevölkerungszahl haben Estland, Polen und die Tschechische Republik die meisten Menschen aufgenommen. Ein Teil der Kosten wird aus dem EU-Haushalt bestritten.
Defizite sieht die EU-Kommission beim Zugang zum Bildungssystem. Am Anfang des Schuljahrs hätten nur eine halbe Million ukrainischer Kinder eine Schule in ihrem Aufenthaltsland besucht, heißt es in dem Bericht. Insgesamt bekamen jedoch etwa 1,3 Millionen Kinder Schutz zugesprochen. Der Vizepräsident der Kommission Margaritis Schinas verwies erläuternd darauf, dass man nicht wisse, wie viele Kinder am Online-Unterricht in ukrainischen Schulen teilnehmen. Das Land verfügt über ein weitgehend digitalisiertes Schulwesen.
Sehr unterschiedlich ist der Zugang zu Sozialleistungen. Während eine beträchtliche Zahl von Mitgliedstaaten Vertriebene wie eigene Bürger behandeln, werden sie in anderen wie Asylbewerber eingestuft. In den Arbeitsmarkt sind bisher mehr als 1,1 Million Vertriebene integriert. Mindestens 400.000 Personen wurden als arbeitssuchend registriert. Der Schutzstatus gilt derzeit bis März 2024.
Die EU-Kommission zeigte sich dazu bereit, eine Verlängerung um ein weiteres Jahr zu beantragen, falls dies notwendig werde. Zugleich drang sie darauf, dass die Mitgliedstaaten einen „reibungslosen Übergang zu alternativen Aufenthaltsstatuten“ gewährleisten, etwa durch die Verlängerung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen.
Source: faz.net