Nach der zweitgrößten Bankeninsolvenz in der Geschichte der USA rufen Investoren nach Staatshilfe, um ein Ausufern der Krise auf weitere Finanzinstitute und Start-up-Unternehmen zu verhindern. Die Notenbankgouverneure der Federal Reserve kommen am Montag zu einer Sondersitzung zusammen, um die Lage zu analysieren und Liquiditätshilfen für Bankkunden und fragile Finanzinstitute zu diskutieren. Präsident Joe Biden beriet sich mit dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom, ohne dass Einzelheiten bekannt wurden. Auch in London soll es Krisensitzungen geben.
Die kollabierte Silicon Valley Bank (SVB) war am Freitag von der staatlichen Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) übernommen worden und öffnet unter neuem Namen am heutigen Montag die Tore, um versicherten Kunden Zugang zu ihren Konten zu geben. Versichert sind aber nur Guthaben bis zu 250.000 Dollar. Rund 94 Prozent der Kundenkonten fallen nicht unter den staatlichen Versicherungsschutz. Nach Angaben der amerikanischen National Venture Capital Association sind 37.000 kleine Unternehmen betroffen.
Furcht vor dramatischen Folgen
In der Start-up-Szene ist Panik ausgebrochen. Viele SVB-Kunden sind Gründungsunternehmen, die nun fürchten, ihre Löhne und Projekte nicht zahlen zu können. Finanzinvestor Mark Cuban erinnerte daran, dass Kunden ihre Konten bei der SVB als Voraussetzung für eine Kreditgewährung halten. Die bis vor Kurzem weitgehend unbekannte Bank spielte eine zentrale Rolle in der Kreditfinanzierung junger Unternehmen.
Generell befürchten Gründer und Investoren dramatische Folgen für die Start-up-Szene in Amerika und anderen Ländern. Gary Tan, Chef des einflussreichen Wagnis- und Wachstumsfinanzierers Y Combinator, warnte eindringlich davor, dass die „Googles und Facebooks von morgen“ ausgelöscht würden, sollte keine schnelle Lösung gefunden werden.
Neben Mark Cuban forderte auch der bekannte Hedgefonds-Manager Bill Ackman, dass die FDIC sämtliche Guthaben absichert und diese Entscheidung verkündet, bevor in Asien die Finanzmärkte öffnen. Sowohl Cuban als auch Ackman bestätigen, dass sie in kleinem Umfang an Unternehmen beteiligt sind, die ihrerseits Guthaben bei der SVB haben. Beide fürchten nach eigenen Angaben einen Flächenbrand.
Liquiditätshilfe für britische Start-ups
Die Angst vor einer Ausbreitung der Krise hat auch England, Kanada, China, Israel und andere Länder erreicht. In England haben mehr als 200 Unternehmensgründer Finanzminister Jeremy Hunt in einem Brandbrief zum Einschreiten aufgefordert. Die britische Tochtergesellschaft der SVB ist seit diesem Wochenende insolvent. Der Verlust der Guthaben habe das Potential, die englische Gründerbranche 20 Jahre zurückzuwerfen, zahlreiche Firmen seien über Nacht zahlungsunfähig, heißt es in dem Schreiben.
Die Regierung in London arbeitet nach Angaben des Finanzministeriums an einer Liquiditätshilfe für britische Start-ups. Eine Stützung der Bank schloss man aus. SVB hat auch eine Filiale in Deutschland, deren Bedeutung aber offenbar hinter der britischen Tochtergesellschaft zurückbleibt.
Unter erheblichem Druck stehen nun kleinere Banken. Die Sorge ist, dass sie ein vergleichbares Zinsrisiko in ihren Büchern haben. Die SVB hatte sich im großen Stil mit niedrigverzinsten Staatsanleihen und staatlich abgesicherten Hypothekenanleihen eingedeckt, die nach den jüngsten Zinserhöhungen der Fed deutlich an Wert einbüßten. Verluste in Milliardenhöhe materialisierten sich, als die Bank Anleihen verkaufte, um ihre Liquidität zu sichern.
Die FDIC leitete die Untersuchungen von Banken ein, die im Verdacht stehen, ein fragiles Portfolio zu managen. Nach Informationen der Finanznachrichtenagentur Bloomberg arbeiten Fed und FDIC gemeinsam an einem Finanzvehikel, das unversicherte Kontoinhaber stützen soll. Die Fed kommentierte entsprechende Spekulationen auf Anfrage nicht.
Die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen präzisierte in einem Fernsehinterview, dass Banken nicht mit einer Hilfe rechnen könnten: Der Staat sei in der Finanzkrise Investoren und Anteilseignern von systemrelevanten Großbanken zur Seite gesprungen. Die seitdem eingeleiteten Reformen würden jedoch bedeuten, dass ein solcher Schritt nicht wiederholt werde. „Aber wir sorgen uns um die Einleger und konzentrieren uns darauf, deren Bedürfnisse zu erfüllen“, sagte Yellen.
Sorge vor einem „Bank run“
Die Art und Weise, wie die US-Regierung die SVB-Krise managt, dürfte Auswirkungen auf Bankkunden haben, die Guthaben in kleineren Banken mit geringeren Kapitalauflagen haben. Rund ein Drittel der amerikanischen Guthaben liegen bei solchen Instituten. Knapp die Hälfte davon sei unversichert, schätzen Fachleute.
Sollten die SVB-Kunden Teile ihrer Guthaben verlieren, könnte das einen Sturm („Bank Run“) auslösen, warnen Finanzfachleute. Dass ein solcher Zusammenbruch sehr schnell kommen kann, zeigte die SVB: Binnen eines Tages hatten Kunden 42 Milliarden Dollar abgezogen, bevor die kalifornische Aufsicht das Institut dichtmachte.
Verschiedene Wagnis-Finanziers, darunter der Milliardär Peter Thiel und seine Founders Fund, hatten ihr Geld vom Institut abgezogen und ihre Portfoliounternehmen aufgefordert, ihnen zu folgen. Der Milliardär, Tesla-Chef und Twitter-Eigentümer Elon Musk liebäugelte mit der Idee, die Bank zu kaufen, wie er er am Freitag über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete.
Die nach einer langen Phase expansiver Geldpolitik eingeleitete Zinswende der Fed zeigt Folgewirkungen: Technologieaktien, Kryptowährungen und Immobilienfonds geraten unter Druck. Viele Bankinstitute halten eigentlich sichere Staatsanleihen, die allerdings aufgrund des neuen Zinsumfeldes nur mit Verlusten zu verkaufen sind. Finanzinvestor Nassim Taleb, Autor des Buches „Schwarzer Schwan“, machte sich auf Twitter unterdessen über seine Kollegen lustig, die eine Staatsintervention erflehten: „Alle sind libertär, bis sie von hohen Zinsen getroffen werden.“
Source: faz.net