Fragen und Antworten Wahlrechtsreform: So will die Ampel den aufgeblähten Bundestag verkleinern
Der Bundestag wird seit Jahren größer und teurer, deshalb wäre eine Wahlrechtsreform dringend nötig. Von der Ampel-Koalition kommt nun ein neuer Vorschlag. Die Krux: Abgeordnete könnten für ihre eigene Abschaffung stimmen.
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“Wahlsystemfragen sind immer auch Machtfragen”, sagt Jörg Siegmund dem stern. Siegmund ist Referent an der Akademie für politische Bildung in Tutzing und unter anderem zuständig für Demokratie- und Wahlforschung. Fachleute wie er beobachten die Pläne der Ampel-Koalition, das Wahlrecht in Deutschland zu reformieren. Das wäre nötig, denn der Bundestag wird seit Jahren immer größer, und damit auch teurer und träger. Von ursprünglich 598 Sitzen, sind im Moment 736 Abgeordnete im Bundestag, mit einer nahezu offenen Grenze nach oben. Deshalb plant die Ampel-Koalition eine Reform, mit der viele Sitze einfach wegfallen würden. Allerdings nicht so viele wie im Januar noch angedacht.
So wird der Bundestag gewählt
Mit der Erststimme werden die Verteterinnen und Vertreter aus den 299 Wahlkreisen gewählt. Die Gewählten erhalten ein Direktmandat für den Bundestag. Die Zweitstimme der Wählerinnen und Wähler bestimmt den Anteil der Sitze, den die Parteien im Bundestag erhalten. Hat beispielsweise die SPD 30 Prozent der Zweitstimmen erhalten, bekommt sie auch 30 Prozent der Sitze im Bundestag. Die übrigen Kandidatinnen und Kandidaten, die ins Parlament einziehen, kommen von der Landesliste der Parteien.
Dass der Bundestag seit Jahren immer größer wird, liegt daran, dass Parteien Überhang- und Ausgleichsmandate erhalten. Wenn eine Partei beispielsweise durch die Erststimme mehr Sitze erhält, als ihr durch die Zweitstimme zustehen, dürfen die gewählten Kandidatinnen und Kandidaten trotzdem einziehen. Dafür erhalten andere Parteien Ausgleichsmandate, damit das Verhältnis gewahrt wird.
Wahlrechtsreform: Was plant die Ampel-Koalition?
Die Ampel-Parteien wollen die Zweitstimme zum Maß aller Dinge machen, die Bundestagssitze sollen begrenzt werden. Im Januar war eine Begrenzung von 598 Sitzen angedacht, nun ist von 630 Sitzen die Rede. Überhang- und Ausgleichsmandate würden wegfallen.
Außerdem könnte die sogenannte Grundmandatsklausel wegfallen. Eine Partei zieht in den Bundestag ein, wenn sie mehr als fünf Prozent der Stimmen erhält (Fünf-Prozent-Klausel) oder mindestens drei Direktmandate (Grundmandatsklausel), wie im Fall der Partei Die Linke. Diese zog 2021 trotz eines Ergebnisses von 4,9 Prozent in den Bundestag ein.
Auch plant die Ampel laut dem Entwurf Namensänderungen. Die Zweitstimme könnte zukünftig “Hauptstimme” heißen, die Erststimme “Wahlkreisstimme”.
Was ist die Kritik an der Wahlrechtsreform?
Gegen einen ersten Entwurf im Januar begehrte vor allem die Union auf, Abgeordnete sprachen sogar von organisierter Wahlfälschung. Denn von der aktuellen Regelung profitiert die Union, besonders die CSU holt in Bayern viele Direktmandate. Auf die müsste die Union verzichten.
Trotzdem ist der Vorwurf der Verfälschung übertrieben, sagt Wahlrechtsexperte Jörg Siegmund dem stern, denn alle Parteien verlieren Sitze: “Die Reform hat zum Ziel, die Größe des Bundestags zu reduzieren. Sie will aber nach wie vor wahren, dass alle Parteien entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil im Bundestag vertreten sind. Das heißt, alle Parteien müssen proportional Mandate abgeben.”
Warum 630 Sitze?
Durch die weggefallenen Überhang- und Ausgleichsmandate bestünde potenziell die Gefahr, dass Wahlkreise verwaist bleiben – also keine direkte Vertretung im Bundestag haben. Das könnte beispielsweise Bayern betreffen, durch die vielen Direktmandate der CSU. Im aktuellen Bundestag von 2021 konnte die CSU 45 Mandate erzielen. Laut Zweitstimmen-Verhältnis standen ihr allerdings nur 34 zu, deshalb bekam sie 11 Überhangmandate, fasst der “BR” zusammen. Auf diese 11 Mandate müsste die CSU verzichten. Mit der Reform würden diese 11 gewählten Kandidatinnen und Kandidaten nicht in den Bundestag ziehen, die von den insgesamt 45 das schwächste Ergebnis hatten.
Damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass möglichst viele Wahlkreise eine direkte Vertretung im Bundestag haben, könnten die ursprünglich angedachten 598 Sitze nun auf 630 erhöht werden. Im Januar hatten einzelne Abgeordnete nach stern-Informationen die Zahl 650 in den Raum geworfen, 630 könnten ein Kompromiss sein, den vielleicht auch die Unionsfraktion mittragen könnte.
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Wie geht es weiter?
Am Freitag soll bereits über die Reform abgestimmt werden, berichten mehrere Medien übereinstimmend. Für die Änderung des Wahlrechts reicht eine einfache Mehrheit, die Ampel-Koalition könnte auch ohne die Union das Gesetz beschließen. Noch im Januar hatte die Unionsfraktion angekündigt, gegen den ersten Entwurf zu klagen, dieser wurde jetzt aber überarbeitet.
Die geplante Reform könnte Millionen einsparen. Für 2023 veranschlagt das Finanzministerium Kosten für den Bundestag in Höhe von 1,14 Milliarden Euro, für Diäten, Büros, Reisen, etc. Zuletzt hatte der Bundestag 2016 eine vergleichbare Größe von 631 Abgeordneten, damals kalkulierte das Finanzministerium mit rund 857 Millionen Euro.
Quellen: Bundeswahlleiter, “BR“, Bundestag, “ZDF“
Source: stern.de