Französische Regierung verabschiedet Rentenreform ohne finale Abstimmung

 

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat in letzter Minute eine Abstimmung über die Rentenreform in der Nationalversammlung abgesagt. Am Donnerstag rief er eine Viertelstunde vor dem Beginn der Abstimmungsdebatte eine Kabinettssitzung im Elysée-Palast ein. Bei der Eilsitzung wurde beschlossen, auf Verfassungsartikel 49 zurückzugreifen und die parlamentarische Debatte ohne Abstimmung zu beenden. Marine Le Pen kritisierte daraufhin ein „komplettes Scheitern“  der Regierung und verlangte den Rücktritt der Premierministerin: „Elisabeth Borne kann nicht an ihrem Posten bleiben“. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Mathilde Panot, sagte, der Gesetzentwurf über die Rentenreform habe „keinerlei Legitimität“. Der Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, äußerte, der Präsident habe die soziale Demokratie missachtet und sei gescheitert.

Premierministerin Elisabeth Borne wurde bei der Sitzungseröffnung mit Pfiffen, Gegröle und dem Gesang der Marseillaise von den Abgeordneten empfangen. Die Parlamentspräsidentin musste aufgrund des Durcheinanders die Sitzung suspendieren. Die Opposition kann nun innerhalb von 24 Stunden einen Misstrauensantrag stellen. Voraussichtlich am Montag kommt es dann zur Vertrauensabstimmung. 

Der Entscheidung für den Verfassungsartikel waren turbulente Stunden vorangegangen. Vier Mal innerhalb von 24 Stunden berief Macron Krisensitzungen im Elysée-Palast ein. Grund für die Panik: ein Teil der konservativen Republikaner (LR) verweigerte dem Reformprojekt die Zustimmung, obwohl Premierministerin Elisabeth Borne weitgehend auf die Forderungen der früheren Präsidentenpartei eingegangen war. Der LR-Parteivorsitzende Eric Ciotti hatte zur Unterstützung der Rentenreform aufgerufen. Doch weder er noch der Fraktionsvorsitzende Olivier Marleix konnten dafür garantieren, dass alle 61 Abgeordneten ihm Gefolgschaft leisten. 

Die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre bis 2030 stößt auf großen Widerstand. Die Gewerkschaften haben angekündigt, dass sie ihm Fall der „Verfassungskeule“ des Artikels 49 ihre Proteste fortsetzen würden. In Paris, Nantes, Le Havre, Antibes und anderen Städten stapelt sich der Müll, weil die Müllabfuhr seit Tagen streikt. Vor der Nationalversammlung kam es zu spontanen Protesten. Eine unangemeldete Protestkundgebung auf dem Platz der Concorde wurde von Ordnungshütern verhindert. 

Premierministerin Borne hat verlauten lassen, sie sei bereit, als „Sicherung“ für den Präsidenten geopfert zu werden. Es ist unklar, ob die Regierung die Vertrauensabstimmung übersteht. Erstmals könnten alle Oppositionsparteien zusammen für einen Misstrauensantrag des liberalen Abgeordneten Charles de Courson stimmen, der die Rentenreform ablehnt. Bislang war das Rassemblement National um die Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen immer ausgegrenzt worden. Am Donnerstagvormittag hatte der Senat mit 193 zu 114 Stimmen für die Rentenreform gestimmt. 

 Am Mittwochabend hatte Macron bei einer Krisensitzung im Elysée-Palast alle Optionen mit seinen Vertrauten, Premierministerin Elisabeth Borne, Arbeitsminister Olivier Dussopt, Haushaltsminister Gabriel Attal, Parlamentsminister Franck Riester und Regierungssprecher Olivier Véran durchgespielt. Sollte sich am Donnerstagnachmittag abzeichnen, dass republikanische Abgeordnete wankelmütig werden, dann wolle er keine offene Abstimmung wagen, hieß es hinterher. Die Premierministerin würde dann auf Verfassungsartikel 49 zurückgreifen. 

Ebenfalls am Mittwochabend hatte Macron letzte Absprachen im Elysée-Palast getroffen, um Stimmen für die Rentenreform zu organisieren. Wie „Le Parisien“ berichtet, hat er sogar den korsischen Regionalratspräsidenten Gilles Simeoni anrufen lassen. Simeoni will mehr Autonomie für Korsika und ist eigentlich wütend auf Macron, weil dieser sich Zeit lässt und die versprochene Kompetenzübertragung größtenteils aussitzt. 

Republikanische Abgeordnete berichteten davon, dass sie ähnlich umworben wurden. Bei einem klingelte das Mobiltelefon, in der Leitung war Finanzminister Bruno Le Maire. Der Minister soll ihm versprochen haben, Investitionsprojekte in seinem Wahlkreis mit besonderem Wohlwollen zu prüfen, sollte er für die Rentenreform stimmen. Auch Parlamentsminister Franck Riester soll viel Zeit am Telefon verbracht haben. Die Regierung sei ein Call Center geworden, hieß es im Radio.

Source: faz.net

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