OVG Münster: NRW verliert Berufung zu Corona-Soforthilfe

Stand: 17.03.2023 19:18 Uhr

Das Oberverwaltungsgericht hat heute in drei Musterverfahren zur Corona-Hilfe für Kleinunternehmer geurteilt. Das Land wollte von vielen Geld zurück – hat nun aber die Berufung verloren.

Von Philip Raillon

An diesem Freitaghaben hunderte Kleinunternehmer und Soloselbständige nach Münster geschaut: Das Oberverwaltungsgericht hat über die Corona-Soforthilfen verhandelt. “Das ist ein wichtiges Urteil, auf das bundesweit viele Menschen warten“, sagte Reiner Hermann, Sprecher der Interessengemeinschaft Soforthilfe im Vorfeld. Nun ist das Urteil da. Die Bescheide, um die es bei den drei Verfahren ging, wurden aufgehoben. Sie waren rechtswidrig.

Auswirkungen hat das Urteil aber nur für die 1.600 Verfahren in erster Instanz – wenn das Land die Bescheide dort nicht sowieso selbst zurücknimmt und neuberechnet. Die rund 225.000 Empfänger, die nicht geklagt haben, müssen die Fördersummen zumindest zum Teil zurückzahlen.

Oberverwaltungsgericht Münster Bild: dpa/Guido Kirchner

Und darum ging es vor dem OVG: Im Frühjahr 2020 hatte die Landesregierung das größte Hilfsprogramm der Landesgeschichte aufgelegt. Innerhalb weniger Tage sind etwa 4,5 Milliarden Euro an über 430.000 Kleinunternehmer und Soloselbständige überwiesen worden. “So schnell und unkompliziert wie möglich”, war damals das Ziel. Die meisten bekamen jeweils 9.000 Euro, manche auch 15.000 oder 25.000 Euro.

Land forderte am Ende oft Geld zurück

Als einziges Bundesland hatte NRW die Fördersumme pauschal ausgezahlt und nicht erst den erwarteten Bedarf geprüft. Das geschah später, nachträglich. Dafür forderten die Bezirksregierungen die Betroffenen auf, den tatsächlichen Bedarf mitzuteilen. Daraufhin wurden sogenannte Schlussbescheide verschickt – finale Abrechnungen, oft mit Rückforderungen.

Das Land stützte sich bei der finalen Abrechnung auf das tatsächliche, wirtschaftliche Minus – den sogenannten Liquiditätsengpass. Wenn ein Unternehmer zwar wegen der Kontaktbeschränkungen weniger Einnahmen hatte, aber auch Ausgaben einsparte, wurde dies zusammengerechnet. 

Erste Instanz hat Klägern Recht gegeben

Das Ergebnis: Zehntausende von ihnen sollten mehrere tausend Euro zurück an die Landeskasse zahlen. Dagegen haben viele geklagt – aktuell seien noch rund 1.600 Klagen anhängig, so das Ministerium. Das Oberverwaltungsgericht entscheidet nun in drei Musterverfahren.

In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Klägern Recht gegeben. Die Argumentation: Als das Land das Geld im Frühjahr 2020 auszahlte, hatte es die Bedingungen schon festgelegt. Die Förderung sei von den Umsatzeinbußen abhängig gemacht worden, nicht vom Liquiditätsengpass.

OVG-Urteil wohl bundesweit relevant

Auf den Liquiditätsengpass, also den tatsächlichen Verlust, habe sich das Land erst später bei der Rückforderung berufen. Da habe es die Förderbedingungen aber nicht mehr einfach ändern können, so das Verwaltungsgericht. Die Schlussrechnungen seien daher rechtswidrig und damit auch die Rückforderungen, so die Düsseldorfer Richter.

Das Urteil ist zwar nur für die Fälle in NRW wegweisend, dürfte aber auch für das gesamte Bundesgebiet ein wichtiger Fingerzeig sein. In anderen Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, zeichnen sich ebenfalls Klagewellen ab.

Wer nicht geklagt hat, soll in jedem Fall zahlen müsen

Für große Ernüchterung hatte kurz vor der OVG-Verhandlung eine Pressemitteilung der Landesregierung gesorgt. Die Schlussrechnungen, gegen die keine Klagen eingereicht wurden, wolle das Land nicht mehr anrühren, so ein Kabinettsbeschluss von Dienstag dieser Woche.

Das heißt: Rund 225.000 Betroffene sollen zumindest einen Teil der Fördersummen zurückzahlen. Und zwar ganz egal, ob das OVG die Berechnungsgrundlage am Freitag für rechtswidrig befindet oder nicht. Für diese Betroffenen bedeutet das, dass sie das Geld wohl tatsächlich zurückzahlen müssen. Ihre Schlussbescheide sind mittlerweile bestandskräftig.

Mona Neubaur (Grüne) Bild: Rolf Vennenbernd / dpa

Das sei aber keine unfaire Härte, heißt es aus dem Ministerium. “Nach Abschluss des Rückmeldeverfahrens durch den Schlussbescheid hätte jeder Antragstellende die Möglichkeit gehabt, Klage gegen die Entscheidung der Bezirksregierung zu erheben und diese durch die Verwaltungsgerichte überprüfen zu lassen”, teilt Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) mit.

Ankündigung sorgt für Unmut bei Betroffenen

Manche Kleinunternehmer und Soloselbständige haben auf diese Nachricht mit Wut und Ärger reagiert, heißt es von der Interessengemeinschaft. Für einen zuständigen Branchenverband, den Bundesverband der Freien Berufe, ist das ein fatales Signal.

Viele Selbständige hätten sich in der Pandemie ungerecht behandelt gefühlt, heißt es vom Verband. Dies verstärke sich “durch eine teils regide Rückforderungspraxis der Behörden ohne Augenmaß”, so Hauptgeschäftsführer Peter Klotzki.

Über dieses Thema berichten wir am 17.03.2023 auch in den Hörfunknachrichten, unter anderem bei WDR5.

Source: tagesschau.de

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