Zu den interessantesten unter den zahllosen Büchern über Sigmund Freud zählt „Tribute to Freud“ der amerikanischen Schriftstellerin „H.D.“, Hilda Doolittle, die 1933 nach Wien ging, um sich einer Psychoanalyse zu unterziehen. In Momentaufnahmen beschreibt Doolittle darin ihre Sitzungen bei Freud und den gemeinsamen Austausch über Kunst und Literatur. Immer wieder richtet sie, ebenfalls eine Bewunderin der antiken Kunst, ihren Blick dabei auf Freuds Antiquitätensammlung. Wie ein „Kurator in einem Museum“ sei Freud in seinem Arbeitszimmer gewesen, umgeben von einer „unbezahlbaren Sammlung griechischer, ägyptischer und chinesischer Schätze“.
Der Bedeutung dieser Sammlung für die Entwicklung der Psychoanalyse widmet sich jetzt eine Ausstellung im Londoner Freud Museum. „Freud’s Antiquity: Object, Idea, Desire“ – exzellent kuratiert von den Altphilologen Miriam Leonard, Daniel Orrells und Richard Armstrong – zeigt anhand vielfältiger Exponate, wie sehr Freuds Werke von den Figuren, Mythen und Gegenständen der antiken Welt geprägt wurden. Wie im Katalog beschrieben wird, geht es dabei um die Spannung zwischen der Materialität der antiken Gegenstände und der Phantasien, mit denen diese aufgeladen wurden. Die Ausstellung ermöglicht viele neue Sichtweisen auf Freuds Werk, das einerseits in seiner spezifischen Besonderheit betrachtet wird, andererseits aber auch als Beispiel jener Antike-Begeisterung erscheint, die man bei so vielen europäischen Intellektuellen aus Freuds Epoche findet.
Von Beginn an hat dieser die Psychoanalyse immer wieder mit archäologischen Ausgrabungen verglichen. In dem Vortrag „Zur Ätiologie der Hysterie“, den Freud 1896 in Wien hielt, erklärte er, man könne sich hysterische Symptome vorstellen als eine Art „Trümmerfeld mit Mauerresten, Bruchstücken von Säulen, von Tafeln mit verwischten und unlesbaren Schriftzeichen“. Die Aufgabe der Psychoanalyse sah er darin, die fragmentarischen Erinnerungen seiner Patienten zu entziffern und dabei jene verdrängten Gefühle und unterbewussten Wünsche freizulegen, die in seiner Sicht Neurosen produzierten.
Ausschließlich auf die ferne Vergangenheit fokussiert
Anhand ganz unterschiedlicher Exponate kann man in der Ausstellung die Wechselbeziehung zwischen Freuds Gegenständen und der Entwicklung seiner Theorien nachvollziehen. Das Gradiva-Relief etwa, das Freud sich anfertigen ließ, war inspiriert durch seine Lektüre von Wilhelm Jensens Roman „Gradiva: Ein pompejanisches Phantasiestück“, über den Freud dann wiederum 1907 den Essay „Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘“ schrieb. Neben diversen griechischen Vasen und Sphingen kann man zudem auch Kuriositäten wie beispielsweise die phallischen Amulette sehen, die Freud bei einem Besuch in Pompeji erworben hat.
Besonders deutlich wird das Paradox, dass der Wissenschaftler, dessen Ideen die Moderne so weitreichend geprägt haben, als Sammler ausschließlich auf die ferne Vergangenheit fokussiert war. Freuds notorisches Desinteresse an den künstlerischen und literarischen Avantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts hat viele frustriert, allen voran die Surrealisten, die Freuds „Die Traumdeutung“ verehrten, jedoch keine Gegenliebe erfuhren. Wie auf Fotos zu sehen ist, war man in Freuds Arbeitszimmer in der Wiener Berggasse 19 nahezu ausschließlich von altertümlichen Artefakten umgeben. Seine Überzeugung, dass menschliche Handlungen und Gefühle von längst vergessen geglaubten Erfahrungen bestimmt würden, verdeutlichte Freud dabei im metaphorischen Sinn durch die dekorative Ausgestaltung seines Behandlungsraums.
Sehen kann man in der Londoner Ausstellung auch den Schwarz-Weiß-Druck des Gemäldes „Ödipus und die Sphinx“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres, der über Freuds berühmter Couch hing. Ödipus, jener tragische Held, der in Sophokles’ Drama König Ödipus seinen Vater Laios tötet und seine Mutter Iokaste heiratet, diente Freud als Illustration seiner Theorie, dass kleine Jungen unterbewusst sexuelles Begehren für ihre Mutter empfänden und daher ihren Vater als Konkurrenz sähen. Obwohl der Ödipuskomplex als Theorie schon bei Freuds Zeitgenossen höchst umstritten war, ist kaum ein Begriff bis heute so sehr mit der Psychoanalyse verbunden. Wie die Historikerin Élisabeth Roudinesco in ihrer Freud-Biographie schreibt, wurde der mythische König Ödipus bei Freud zum „Archetyp des modernen Neurotikers“.
Dass Freuds etwa 2500 Gegenstände umfassende Sammlung erhalten ist, verdankt sich auch der französischen Psychoanalytikerin Marie Bonaparte, einer engen Weggefährtinnen Freuds. Nachdem die Nationalsozialisten im März 1938 in Österreich einmarschiert waren, nutzte Bonaparte nicht nur ihr Vermögen und ihre diplomatischen Kontakte, um die Flucht Freuds und seiner Familie nach London zu ermöglichen. Sie verpackte auch zusammen mit Freuds Tochter Anna die Antiquitäten für die Ausfuhr.
Da das Freud Museum nur begrenzt Platz für Sonderausstellungen hat, ist die Zahl der Exponate relativ überschaubar. Angesichts der Größe und Vielfalt von Freuds Sammlung hätte man sich gewünscht, dass noch mehr Gegenstände gezeigt und zu seinem Werk in Bezug gesetzt worden wären. Fündig wird man dafür auf der Website des Museums, wo es nicht nur hervorragende Videos und Podcasts zu der Schau gibt, sondern auch einen digitalen Katalog mit mehr Informationen zu ausgewählten Objekten.
Trotz des bescheidenen Platzangebots kann man sich dennoch keinen besseren Ort für die Ausstellung vorstellen als das Freud Museum, das ja ohnehin voll mit Regalen und Vitrinen ist, in denen Skulpturen und Vasen aus Freuds Sammlung stehen. So wird anschaulich, dass eine Sammlung antiker Gegenstände sehr viel über Freud und die Entwicklung der modernen Psychoanalyse erzählen kann.
Freud’s Antiquity: Object, Idea, Desire. Freud Museum, London; bis zum 16. Juli. Der Katalog kostet 20 Pfund.
Source: faz.net