Nur drei Jahre war es ruhig rund um die Nord LB. Die Landesbank in Hannover musste 2019 mit 3,6 Milliarden Euro gestützt werden, 2,3 Milliarden Euro kamen vom Bundesland Niedersachsen, 0,2 Milliarden von Sachsen-Anhalt, 1,1 Milliarden bundesweit aus der Sparkassengruppe, die mit zwei neuen Trägergesellschaften einstieg. Eigentümer und Vorstand verständigten sich auf eine radikale Schrumpfung der Bank, die durch Schiffsfinanzierungen in Schieflage geraten war. Im März 2020 teilte die Nord LB begleitend zu ihrem Vorsteuerverlust aus dem Geschäftsjahr 2019 mit: „Die Bilanzsumme soll bis 2024 auf rund 95 Milliarden Euro absinken.“ Heute ist davon in Hannover fast keine Rede mehr.
Wenn die Nord LB an diesem Freitag ihre Geschäftszahlen für 2022 vorlegt, wird der neu von der Hypo-Vereinsbank auf den Vorstandsvorsitz geholte Jörg Frischholz über ein ungefähr verdoppeltes Neugeschäft in seinem ersten Jahr berichten. Auch wenn sie bis Ende Dezember wieder unter 120 Milliarden Euro gefallen sein dürfte – die Bilanzsumme war nach neun Monaten bereits von 115 auf 120 Milliarden Euro gestiegen und hat sich damit tendenziell entfernt vom alten Zielwert von 95 Milliarden Euro für 2024. Niedersachsens Finanzminister Gerald Heere (Grüne) findet die Expansion gut. Der mit Eintritt der Grünen in die Landesregierung im November 2022 auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord LB agierende Heere hält „eine dynamische Neugeschäftsentwicklung und Wachstum in ausgewählten Geschäftsbereichen für notwendig“, damit sie zu einer nachhaltig ertragreichen Bank werden könne. Schon Heeres Vorgänger von der CDU und auch Niedersachsens Sparkassen halten die Nord LB für ein gutes Vehikel, um etwa den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt zu finanzieren.
Was Heere an Erfahrung mit bringt
Mit ihrem Kreditwachstum gerade für grüne Projekte kommt die Nord LB allerdings vielen anderen Banken ins Gehege, die Margen sind in dem wettbewerbsintensiven Geschäft nicht hoch. Damit stellt sich umso mehr die Frage nach den Risiken. Und nach der Kompetenz des Aufsichtsrats, der den Vorstand kontrollieren soll. Seit November ist der 43 Jahre alte Heere Vorsitzender. Der Grünen-Politiker ist Politologe mit Magister-Abschluss und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften in Braunschweig, bevor er 2013 Landtagsabgeordneter wurde. 2019 bis 2021 leitete er das Büro des Finanzsenators der Hansestadt Bremen. Reicht das an Vorwissen, um eine als systemrelevant geltende Bank wie die Nord LB zuverlässig kontrollieren zu können? Was erwartet die gerade im Einzelfall stets verschwiegene Bankenaufsicht?
Für die Eigner der Nord LB ist die Sache klar. Sie haben in der Satzung bewusst verankert, dass das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem Finanzminister Niedersachsens zu besetzen sei. Die beiden größeren Landesbanken LBBW und Bayern LB haben andere Konsequenzen aus der Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 gezogen. Nach dem früheren Bankchef Gerd Häusler sitzt seit 2018 in der Bayern LB der finanzkrisenerprobte frühere Aareal-Bank-Chef Wolf Schumacher dem Aufsichtsrat vor. Und in der LBBW löste 2015 der langjährige L-Bank-Chef Christian Brand den Wirtschaftsprüfer Hans Wagener ab. Die Zeit, in der Politiker und Sparkassen-Funktionäre wie einst bei der großen, aber 2012 kollabierten West LB die Vorstände kontrollierten, ist in diesen beiden Landesbanken zumindest auf dem Aufsichtsratsvorsitz also schon länger vorbei.
Das Beispiel Helaba
In der Helaba steht seit Anfang 2022 der frühere Landrat und heutige Sparkassenpräsident von Hessen-Thüringen, Stefan Reuß, dem Verwaltungsrat vor. Von der F.A.Z. nach seiner Vorbereitung für den Helaba-Verwaltungsratsvorsitz gefragt, berichtet der Sparkassenverband Hessen-Thüringen, der 52 Jahre alte Reuß habe seine bestehenden Kenntnisse als diplomierter Wirtschaftspädagoge, langjähriger Verwaltungsratsvorsitzender einer Sparkasse und Gremiumsmitglied der Helaba seit 2007 ab Sommer 2021 weitgehend selbst bestimmt, aber in Abstimmung mit der Europäischen Bankenaufsicht der EZB zunächst abgerundet. Die EZB habe dann aufgrund seiner umfangreichen Kenntnisse im besten Einvernehmen zugestimmt, dass Reuß ab 2022 den Verwaltungsratsvorsitz übernimmt. Man habe sich aber zur Auffrischung und Vertiefung seiner Kenntnisse auf sechs Themenschwerpunkte verständigt. Dafür habe Reuß bis Ende Mai 2022 mehrere Veranstaltungen absolviert.
Im Fall von Heere gibt Niedersachsens Finanzministerium auf die Frage nach Vorkenntnissen für den Aufsichtsratsvorsitz der Nord LB diese Auskunft: „Minister Heere ist sich der großen Verantwortung bewusst, die mit der Übernahme des Vorsitzes des Aufsichtsrats der Nord LB einhergeht.“ Um die damit einhergehenden Erwartungen erfüllen zu können, sei Heere „gegenüber gegebenenfalls notwendigen Fortbildungen aufgeschlossen“. Der Minister weise viel Erfahrung in politischen Spitzenämtern auf. Seine Pressestelle betont, Heere sei nicht nur Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Landtag und damit qua Amts regelmäßig mit den Themen der Nord LB betraut gewesen. Heere habe auch in der Finanzverwaltung gearbeitet. „Er ist mit den für die Nord LB wesentlichen gesetzlichen Regelungen vertraut.“
Viktoria Kickinger hat 2016 mit Directors Academy ein Lernportal für die Aus- und Weiterbildung von Aufsichtsräten gegründet. Sie kennt sich aus mit den Anforderungen der deutschen Finanzaufsicht Bafin und der europäischen Bankenaufsicht der EZB an Chefkontrolleure von Großbanken. Kickinger vermutet mit Blick auf seinen Lebenslauf, dass Heere vor Antritt als Nord-LB-Aufsichtsratschef etwa 25 Prozent der Anforderungen als Vorwissen mitbrachte. Dass der Politikwissenschaftler im Nebenfach Informatik studiert und von 2019 bis 2021 das Büro des Bremer Finanzsenators geleitet hat, zeigt ihr einen gewissen „Zahlenbezug“. „Minister Heere bringt mehr mit als andere Politiker.“ Kickinger ist sich aber auch sicher: „Die Bankenaufsicht wird Minister Heere detailliert vorschreiben, wo er Nachholbedarf hat. Das wird für ihn in etwa drei Monaten erlernbar sein, aber es werden etliche Nächte und Wochenenden dafür erforderlich sein“, prognostiziert sie. „Gerade die Bafin ist streng.“ Kickinger hält es für richtig, wenn die Bankenaufsicht eine Frist von sechs Monaten setzt, innerhalb der Kontrolleure die Anforderungen erfüllen müssen. „Aufsichts- und Verwaltungsräte von Banken müssen professioneller werden, um die Risiken in den Bilanzen wirklich erfassen und die Vorstände kontrollieren zu können.“
Auf die Frage, ob und wenn ja welchen Nachholbedarf die Europäische Bankenaufsicht der EZB bei Heere festgestellt habe, teilt das niedersächsische Finanzministerium mit, das übliche Gespräch zur Beurteilung seiner fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit sei im Februar 2023 geführt worden. Die EZB werde nach Abschluss der Überprüfung einen förmlichen Beschluss erlassen. „Bislang gab es von Seiten der EZB keine Hinweise darauf, dass der Minister den Anforderungen nicht entspräche“, schreibt das Finanzministerium auf Anfrage der F.A.Z.
Source: faz.net