Wolfgang Kubicki: Der FDP-Mann für die Attacken

Wenn Wolfgang Kubicki irgendwo auftritt, wo nor­male Leute sind, kriegt er immer diesen einen Satz zu hören. „Bleib so, wie du bist!“ So erzählt Kubicki es selbst, und daraus kann man verschiedene Schlüsse ziehen. Einerseits könnte man es als einen Beleg für Kubickis Eitelkeit sehen, andererseits als Beweis dafür, dass es Kubicki egal ist, was irgendwer als Beleg für irgendwas sieht.

Er sagt, was er sagen will. Und das wiederum ist eine Eigenschaft, die ihm die Sympathie vieler Leute und den Ärger vieler anderer eingebracht hat.

Wolfgang Kubicki ist jetzt 71 und seit mehr als fünfzig Jahren Mitglied der FDP. Aber er war für seine Partei noch nie so wichtig wie jetzt. Denn während die FDP in der Ampelkoalition Kompromisse mit SPD und Grünen machen muss, spricht Kubicki ganz so, als regierte sie allein. Vor ein paar Wochen ließ er wissen, die „Zeit des Appeasements“ sei vorbei, und der „Robert“, also Bundeswirtschafts­minister Habeck von den Grünen, könne sich „gehackt legen“.

Das war am Abend der Berlinwahl, die FDP war aus dem Parlament geflogen. Viele mutmaßten: weil sie in der Ampel so schwach erscheint. Fünf Landtagswahlen in Folge waren nun schon schlecht für sie ausgegangen, und während Parteifreunde sich mal wieder mühten, das Ergebnis schönzureden, sagte Kubicki, er sei so was von sauer, jetzt helfe erst mal nur noch Alkohol.

Er verteidigt, wie andere angreifen

Dabei sieht Kubicki die Lage der FDP ziemlich nüchtern. Und er hält sie keineswegs für aussichtslos. Das Wichtigste: Er findet es richtig, dass sie mit Grünen und SPD zusammenarbeitet. Das Problem ist seiner Überzeugung nach nicht, dass die FDP in der Ampel regiert, sondern, welche Rolle sie darin spielt. Er sieht sie an die Wand gedrückt von den Grünen. Thema egal, Verbrennermotor, Atomkraft, feministische Außenpolitik, Haushaltsverhandlungen. Und klar: Wer an die Wand gedrückt wird, ist damit beschäftigt, von der Wand wegzukommen, und bewegt sich nicht frei und lässig im Raum.

Dort wirbelt solange Kubicki herum. Fordern die Grünen, neue Schienen schneller zu bauen als neue Straßen, droht Kubicki, dann könnten die Grünen neue Stromleitungen vergessen. Attackieren Grüne und Sozialdemokraten die FDP-Minister Volker Wissing und Marco Buschmann, geht Kubicki seinerseits zur Attacke über: Die Angriffe seien „nicht nur ziemlich billig, sondern außerordentlich dumm“. Kubicki verteidigt so, wie andere angreifen, und wenn er angreift, dann ohne Rücksicht. Vor ein paar Tagen verglich er Wirtschaftsminister Habeck mit Putin – die beiden hätten denselben Freiheitsbegriff.

Die Entrüstung war groß, bis in die Spitzen der Koalition hinein. Kubicki sprach zwar wenig später von einer „Entgleisung“ und entschuldigte sich bei Habeck. Doch viele kaufen ihm die Entschuldigung nicht ab. Denn dafür, dass Kubicki nicht entgleisen will, entgleist er ziemlich oft. So schlug er im Sommer vergangenen Jahres vor, die Ostseepipeline Nord Stream 2 zu öffnen. Auf diesem Wege sollte Gas nach Deutschland kommen, mitten im Krieg, Putin hin oder her. Das war bloß der neueste in einer Reihe von Kubicki-Vorstößen, die einen großzügigeren Umgang mit Russland forderten. Parteichef Christian Lindner ließ mitteilen, er halte den Vorschlag für „abwegig“. Das war noch diplomatisch ausgedrückt. Kubicki selbst erzählt gern verständnisvoll wie ein geduldiger Vater davon, wenn „der Christian“ wieder – freilich nur kurzzeitig – böse mit ihm gewesen sei.

Lindner schätzt Kubicki

Wer der FDP ohnehin fernsteht, könnte meinen, sie wäre ohne Kubicki besser dran. Wer braucht schon eine Allzweckwaffe, die gefährlich querschießt? In der FDP sieht man es allerdings anders. Und das gilt auch für jene, die feingeistiger auftreten als Kubicki. Lindner zum Beispiel. Er machte Kubicki zum Vize-Parteichef, als er selbst an die Macht kam. Das war 2013. Die FDP war gerade aus dem Bundestag geflogen, und der junge Lindner wollte sie zusammen mit dem Urgestein Kubicki wieder aufbauen. In seinem Buch „Schattenjahre“ schreibt er, Kubicki gehöre zwar einer anderen Generation an und habe ein anderes Temperament. Aber sie verbinde „Abenteuerlust, Freude am Leben und am politischen Meinungsstreit“. Gemeinsame Urlaube auf Mallorca und Sylt, Ehefrauen mit dabei, stärkten die Verbindung.

Kubicki und Lindner : Bild: dpa

Lindner und Kubicki verabredeten, dass keiner den anderen öffentlich angreifen würde. So halten sie es bis heute. Und bis heute duldet Lindner Kubicki nicht nur, sondern schätzt ihn. An der Parteispitze ist man sicher: Kubicki ist eine Marke, die in wichtigen Situationen immer wieder Leute an die FDP gebunden hat, die sonst weggewesen wären. Vielleicht sogar Richtung AfD. In der Parteizentrale sind sie froh, dass jemand aus ihren Reihen formuliert, was die FDP-Minister niemals sagen könnten – oder wollten. Wenn Kubicki, der prominenter ist als mancher Minister, es dann gesagt hat, können sie den Koalitionspartnern schulterzuckend entgegenhalten: Sorry, Ricarda, sorry, Saskia, ist halt der Wolfgang.

Aber als Hofnarr gilt der unter seinen Leuten aber nicht. Wenn man hineinhört in die Bundestagsfraktion, reden alle respektvoll, viele anerkennend über Kubicki. Eine Abgeordnete sagt, er sei Regierung und Opposition in einem. Das klingt nicht spöttisch, sondern fast bewundernd. Ein Abgeordneter sagt, wenn die Fraktion die Erde sei, sei Kubicki der Mond – kein eigener Planet, aber mächtig, mit Einfluss auf Ebbe und Flut, Hell und Dunkel. Einige betonen, dass Kubicki Parlamentarier aus Leidenschaft sei. Keiner von denen, die den Job nur als Zwischenstation auf der Karriereleiter sähen. Andere verweisen darauf, dass ihr Parteifreund als Anwalt sehr viel Geld verdiene. Der mache die Arbeit im Bundestag nicht, weil er sonst nichts könne. Sein Erfolg mache ihn unabhängig. Und das merke man ihm an.

Junge Abgeordnete beschreiben Kubicki als einen Mentor. Ältere heben hervor, dass er nicht gegen den eigenen Laden schieße, anders als zum Beispiel der Kollege Frank Schäffler. Der sagte im Herbst etwa, dass die Ampel „wie ein Mühlstein“ um den Hals der FDP hänge – nach dem Motto: Schnell weg damit! Kubicki beriet seine Fraktion beim Thema Wahlrechtsreform und wies aus Sicht des Juristen auf Dinge hin, die seiner Ansicht nach noch nicht gelungen waren.

Bundestagsvizepräsident Kubicki leitet eine Sitzung des Bundestags im September 2022 : Bild: dpa

Und schließlich füllt Kubicki noch ein Amt aus, in dem er Glanz auf die FDP wirft. Er ist Bundestagsvizepräsident und macht diese Arbeit souverän. Der Parlamentspräsident Kubicki leitet Sitzungen nicht querulantisch, sondern ernsthaft und unparteiisch. Ordnungsrufe verteilt er an AfD-Politiker genauso wie an SPD-Leute, wenn sie, wie im Januar Dietmar Nietan, die AfD-Politiker als „Nazis“ schmähen. Und an den richtigen Stellen erlaubt er sich schon mal Humor. Auf Youtube sind seine Sprüche in „Best of Wolfgang Kubicki“-Videos zusammengeschnitten, als wären es die Pointen eines Comedian. Die Zuschauer kommentieren begeistert: „Der nimmt einfach jeden auseinander, zu genial“, oder: „Einer der wenigen authentischen Politiker, bei dem ich zumindest das Gefühl habe, dass er mir keinen Bullshit verkauft“.

Tatsächlich stillt Kubicki ein Bedürfnis vieler Deutscher nach offenen Worten in der Politik. Die Grenze zur Enthemmung ist allerdings fließend. So bekannte Kubicki mitten in der Pandemie, dass er während des Lockdowns die Coronaregeln missachtet habe und „selbstverständlich“ in widerrechtlich geöffnete Kneipen gegangen sei. Ein schlechtes Gewissen habe er nicht gehabt. Das unterscheidet Kubicki von anderen Politikern, die auch schon mal zugeben, Regeln übertreten zu haben, etwa durch zu schnelles Fahren, sich aber zerknirscht zeigen. Logisch: Wenn einer, der Gesetze macht, gewillt ist, diese zu ignorieren, stellt sich die Frage, warum andere sie beachten sollten. Doch gerade Kubickis Unbeirrbarkeit kommt bei seiner Fangemeinde gut an.

Schrille und wohlgesetzte Töne

Kürzlich gelang es auch mal einem anderen FDP-Abgeordneten, die zu bedienen. Es war der Außenpolitiker Frank Müller-Rosentritt, ein umgänglicher Sachse, der öffentlich allerdings bisher kaum Aufsehen erregte. Das änderte sich, als er die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, mitgerissen von einem Twittersturm, als den „letzten Abschaum“ beschimpfte. Eine Art Kubicki-Moment: Die Wortwahl trug ihm viel Kritik ein – und eine Welle der Begeisterung, von der er noch Tage später mit leuchtenden Augen erzählte.

Er beschrieb, wie ihm Bürger für die offenen Worte dankten, ob an der Tankstelle in Chemnitz oder im Lionsclub, wo er vor Anwälten, Bankern und Zahnärzten auftrat. Müller-Rosentritt hat den Eindruck, dass man als Politiker ohne wichtiges Amt überhaupt erst gehört werde, wenn man eine gewisse Aufmerksamkeitsschwelle überschreite. Und oft sorgt nicht die klügste Idee für die größte Beachtung, sondern der schrillste Ton.

Das gilt auch für manche schrillen Töne Kubickis – die dieser aber selbst mit wohlgesetzten abwechselt. Nicht nur im Parlament, sondern auch in einer seiner Funktionen, bei denen Sachlichkeit und Genauigkeit gefragt sind. Kubicki ist Chef der Baukommission des Ältestenrates, er überwacht zum Beispiel die Errichtung eines nachhaltigen Holzbaus für den Bundestag. Bei Sätzen wie diesen schalten manche Kubicki-Fans schon ab, nicht aber Kubicki selbst, der solche Sätze mitunter sogar spricht, zum Beispiel, wenn es um die Schwierigkeiten beim Bau geht. Das verschafft ihm Anerkennung in Kreisen, die mit brachialem Klartext nicht zu erreichen sind. Dazu zählen wichtige Grüne.

Manchen in der FDP geht diese Methode auf die Nerven. Vor allem, weil ihre moderaten Töne im Kubicki-Forte untergehen. In der FDP gebe es nur Kubicki und Nichtkubicki, scherzte im Februar ein Kabarettist, während im Saal Christian Lindner saß, der an jenem Abend zum Grünkohlkönig gekürt werden sollte. Das Verhältnis von Kubicki zu Nichtkubicki in der FDP sei 1 zu 76.000 – „also gleich stark“. In der FDP-Parteizentrale betonen sie gern, dass Kubicki der FDP nutze, solange klar sei, dass die Mehrheit in der Parteiführung und der Bundestagsfraktion anders diskutiere. Soll heißen: Koalitionsvertrag statt Klartext.

Kubicki selbst ist damit einverstanden. Wenn alle so reden würden wie er, würde schließlich niemand mehr auf ihn hören. Außerdem weiß er auch: „Ich kann so reden, weil ich nichts mehr werden will.“ Er ist schon, was er sein möchte. Dass er noch Politik macht, sieht er als seinen „Beitrag dazu, dass die Gesellschaft vernünftig bleibt, dass sie nicht abdriftet in totalitäre oder willkürliche Entscheidungsprozesse und dass vielleicht darüber nachgedacht werden kann, wie man den Frieden mit Russland wieder herstellt, ohne dass wir uns alle die Köpfe einschlagen“.

Damit meint Kubicki nicht, dass er die Antwort in der Schublade habe. Ihm geht es darum, dass nicht vorschnell Menschen von der Debatte ausgeschlossen werden. Zum Beispiel jene, die jetzt für Frieden auf die Straße gehen. Sicher führten die Mittel, die ihnen vorschwebten, gar nicht zum ersehnten Frieden. Aber darum dürfe man die Menschen doch noch nicht verdammen. Auf dem Parteitag der FDP im April wird Wolfgang Kubicki noch einmal antreten als Vizevorsitzender. Seine Wahl gilt als sicher.

Source: faz.net

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