Hannover, wir haben noch ein Problem
Gerhard Schröder kämpft mal wieder. Heute geht es nicht um ein neuerliches Parteiausschlussverfahren, sondern um seine Büroräume in den Liegenschaften des Bundestags. Die hatte ihm der Haushaltsausschuss vor einem Jahr entzogen, oder besser: Er hat Schröders diesbezügliche Sonderrechte ruhend gestellt. Es geht um rund 400.000 Euro für Räumlichkeiten und Mitarbeiter.
Altkanzler Schröder (2017)
Foto: TRUEBA/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock
Schröder will sein Büro zurück, deshalb ist er vors Berliner Verwaltungsgericht gezogen. Womöglich gibt es bereits an diesem Donnerstag, dem ersten Tag der Verhandlung, direkt eine Entscheidung. Schröder selbst wird nicht anreisen, heißt es.
Nun ist die Sache nicht ganz simpel: Schröder steht seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine massiv in der Kritik wegen seiner Nähe zu und Freundschaft mit Kriegstreiber Putin sowie entsprechender geschäftlicher Verbindungen. Diese Nähe aber war – offiziell – nicht der Grund für den Entzug eines Teils seiner Sonderrechte als Altkanzler.
Der Haushaltsausschuss erwähnte Russland und Wladimir Putin gar nicht in seiner Begründung. Sondern: Schröder nehme keine Pflichten mehr wahr, die aus seinem früheren Amt als Bundeskanzler herrührten. Also benötigt er auch kein Büro mit Mitarbeitern mehr.
Kanzler Olaf Scholz, der mal Schröders SPD-Generalsekretär war, nannte die Entscheidung damals »folgerichtig«.
Schröders Anwalt reichte im August Klage ein und erklärte, dem ganzen Vorgang stehe »auf die Stirn geschrieben, dass andere Gründe, als die anhand der ›neuen Regeln‹ vorgegebenen, für die Entscheidung des Haushaltsausschusses maßgeblich waren«. Solche Entscheidungen erinnerten »im Hinblick auf die Art und Weise ihrer Entstehung eher an einen absolutistischen Fürstenstaat«.
Und so heißt es nun: Altbundeskanzler gegen Bundesrepublik.
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Was in den vergangenen Stunden geschah: Der ukrainische Präsident hat einen Termin in Den Haag. Joachim Gauck hadert mit Altkanzler Gerhard Schröder. Und: Eine finnische Zeitung versteckt Nachrichten in Computerspiel. Der Überblick.
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Feuerball über dem Kreml: Der Kreml behauptet, Ziel eines ukrainischen Drohnenanschlags geworden zu sein – und droht mit Vergeltung. Kiew dementiert, doch die Ukrainer jubeln.
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Dieses Video soll den angeblichen Drohnenangriff auf den Kreml zeigen: Im Netz kursieren Aufnahmen, die eine Attacke auf Moskaus Machtzentrum zeigen sollen. Russland wirft der Ukraine einen versuchten Anschlag auf Kremlchef Wladimir Putin vor – und droht mit Gegenmaßnahmen.
Rote Renaissance? Passé
Es ist noch gar nicht so lange her, da standen in der norwegischen Hauptstadt Oslo fünf sozialdemokratische Regierungschefinnen und -chefs auf der Bühne und feierten die rote Renaissance in Europa. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz als Gast bei diesem Nordisch-Deutschen Treffen stand im Zentrum.
Nordisch-Deutsches Treffen im August 2022: Andersson, Støre, Frederiksen, Scholz, Jakobsdóttir, Marin
Foto: Kay Nietfeld / dpa
Nur Sozialdemokraten hier, bemerkte die Schwedin Magdalena Andersson beim Blick auf die rote Riege von der Finnin Sanna Marin über den Kanzler, den Norweger Jonas Gahr Støre, die Isländerin Katrín Jakobsdóttir und die Dänin Mette Frederiksen. (Wobei, damals widersprach Jakobsdóttir: Sie sei ja aber Grüne).
Das war im August. Und nun, acht Monate später, haben zwei der Frauen ihre Wahlen verloren: Andersson wurde in Schweden von Ulf Kristersson und seiner Mitte-Rechts-Koalition unter Duldung der Rechtspopulisten abgelöst. Und in Finnland hat Sanna Marin, zeitweise die jüngste Regierungschefin der Welt, gegen den Konservativen Petteri Orpo verloren, der nun ebenfalls mithilfe von Rechtspopulisten eine Regierung in Helsinki bildet. Die rote Renaissance – schon wieder passé.
Heute kommt die abgewählte Sanna Marin nach Hamburg und erhält den Helmut-Schmidt-Zukunftspreis. Sie ist erst die zweite Trägerin dieses von der »Zeit«, der Kanzler-Schmidt-Stiftung und einem Hamburger Thinktank verliehenen Preises. Begründung der Jury: Marin habe einen neuen Politikstil geprägt, klare Kante gegen den russischen Aggressor gezeigt und den Klimaschutz vorangebracht.
Sozialdemokratin Marin
Foto:
JONATHAN NACKSTRAND / AFP
Vor allem hat Marin Finnland in ihrer Amtszeit in die Nato geführt. Schon damals beim Auftritt mit Scholz in Oslo fiel auf, wie entschieden sie, deren Land eine 1340-Kilometer-Grenze mit Russland teilt, in Sachen Russland auftritt.
Es ging in Oslo um Visa für Russen: Sollten Bürgerinnen und Bürger des Aggressorstaats noch in die EU reisen dürfen? Insbesondere Scholz wollte daran festhalten, manche schienen anderer Meinung, folgten ihm aber. Nur Sanna Marin sagte sinngemäß, sie wolle keine Besucher in der EU, deren Staat ein anderes Volk mit Gewalt und Tod überzieht. Respekt.
Diesseits und jenseits der Mauer
Haben Sie schon mal die Berliner Mauer besichtigt – oder das, was von ihr übrig geblieben ist? Haben Sie wahrscheinlich. Aber waren Sie mal in »Little Berlin« und haben die dortige Mauer betrachtet?
Mödlareuth heißt der Ort, Hälfte in Franken (pardon: Bayern), Hälfte in Thüringen. Und weil die DDR hier wie in der Hauptstadt auf Beton statt auf Zäune setzte, wurde das geteilte Dorf zu »Little Berlin«.
Mauer in Mödlareuth
Foto: Strihavka Jakub/ AP
Teile der Mauer und Sperranlagen sind erhalten geblieben, das zugehörige Museum soll nun modernisiert werden. Heute ist die Grundsteinlegung für einen Neubau, Politprominenz hat sich angekündigt. Aus Berlin kommt die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, aus Erfurt der Ministerpräsident Bodo Ramelow und aus München nicht Markus Söder, sondern die Staatsministerin Melanie Huml.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen ein soeben erschienenes Interview meiner Kollegin Katja Thimm mit der Historikerin Katja Hoyer empfehlen. Hoyer ist 1985 in der DDR geboren, lebt seit fast zwölf Jahren in Großbritannien und forscht mittlerweile am angesehenen King’s College London. Sie wuchs in einem Plattenbau in Strausberg bei Berlin auf, ihr Vater arbeitete für die NVA. In ihrem jüngst erschienenen Buch »Diesseits der Mauer« will sie die Geschichte der DDR aus Sicht der Menschen neu erzählen, die dort lebten.
Die Prägungen aus der DDR-Zeit, sagt Hoyer, wirkten bis heute nach, »aber wir scheuen uns zu ergründen, woher sie kommen«.
Ihr komme es oft so vor, »als sei die Alltagsgeschichte der DDR ein ungeliebtes Nebengleis, auf das man sich lieber nicht begibt. Wir wissen viel über die Stasi, über das Unrecht, die Diktatur. Aber das Wissen darüber, wie die Leute dort Tag für Tag gelebt haben, ist weniger verbreitet. Manche hatten es nie, andere haben es verloren.«
Für sie stehe außer Frage, dass die DDR eine Diktatur war, sagt Hoyer im Interview, trotzdem finde sie es falsch, »das Leben dort ausschließlich unter dem Blickwinkel des Unrechtsstaates zu betrachten. Es war vielschichtiger. Es gab auch bunte, unbeschwerte Seiten der DDR. Daran zu erinnern, bedeutet nicht, das SED-Regime zu verherrlichen. Aber wenn man nicht daran erinnert, nimmt man vielen Menschen einen wichtigen Teil ihrer Geschichte.«
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Die Startfrage heute: Bei seiner Heirat war Xi Jinpings Frau Peng Liyuan noch die national bekanntere Person in der Familie. Was war sie von Beruf?
Gewinner des Tages…
Foto:
Michael Kappeler / dpa
… ist Armin Laschet. Sie erinnern sich? Der Mann war einst Kanzlerkandidat der Unionsparteien, vergeigte dann aber seinen Wahlkampf. Und weil es ihm seine Konkurrentin Annalena Baerbock von den Grünen gleichtat, fiel das Kanzleramt an einen Sozialdemokraten, den kaum jemand auf der Rechnung hatte. Aber zurück zu Laschet.
Der Rheinländer war einige Jahre als NRW-Ministerpräsident auch deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter und damit im Range eines Bundesministers plus Briefkasten im Auswärtigen Amt. Mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron kann Laschet gut, die beiden duzen sich.
Nun erhält Laschet die höchste Auszeichnung Frankreichs: Macron ernennt ihn zum Kommandeur im Nationalen Orden der französischen Ehrenlegion. Der CDU-Politiker soll den Orden am kommenden Dienstag vom französischen Botschafter François Delattre in Berlin überreicht bekommen.
Und ein bisschen Geld gibt es dafür auch: Laschet im Range eines Kommandeurs stehen künftig rund zwölf Euro zu. Pro Jahr.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros