Exhibition “Radical Playgrounds” within the Gropius Building in Berlin | EUROtoday

An der Frage der Parkplätze entscheiden sich zurzeit Wahlen und die Schicksale ganzer Parteien. Dass die Grünen in Berlin nicht mehr mitregieren, liegt auch daran, dass die den Wahlkampf zu einer Abstimmung darüber machten, wer in Berlin wo und wie Auto fahren kann. Ergebnis: Die Innenstädter, die sich Wohnungen leisten können, von denen sie alles mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können, fanden weniger Autoverkehr in der Innenstadt sehr gut, die mit attraktiven öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen eher unterversorgte Mehrheit der Bewohner der Außenbezirke und der Vorstädte aber gar nicht.

Während die Politik noch darüber grübelt, wie die zum Reizwort verkommene Verkehrswende doch noch umgesetzt werden könnte, zeigen die Kuratoren Joanna Warsza und Benjamin Foerster-Baldenius vom Berliner Architektenkollektiv Raumlabor vor dem Berliner Gropius-Bau schon einmal, was man mit einem Parkplatz alles machen könnte, wenn dort nicht mehr geparkt würde oder die Autos wenigstens etwas kleiner wären. Angeblich schaffen es die zum Kleinwagen und nicht wie die Deutschen zum adipösen SUV neigenden Italiener, auf einer gleich großen Fläche doppelt so viele Autos abzustellen wie hierzulande.

Einige Bauten sollen bleiben

Was jetzt neben dem Gropius-Bau, den die neue Kuratorin Jenny Schlenzka gerade in einen der interessantesten Orte für Gegenwartskunst in Berlin verwandelt, mit Mitteln der Stiftung Fußball und Kultur von den Berliner Festspielen aufgebaut wurde, ist eine Mischung aus Kunstausstellung und Abenteuerspielplatz – und eine Anleitung dazu, wie man aus einem Parkplatz die beiden urbanen Bestandteile macht, aus denen der Begriff „Parkplatz“ besteht, nämlich einen Park und einen städtischen Platz. Es ist aber auch eine Ausstellung, in der zumindest einige Antworten gefunden werden sollen auf die drängende Frage, was man in Zukunft in einer Stadt tun will, wenn dort wegen des Siegeszugs des ­Homeoffice nicht mehr in Bürotürmen gearbeitet und wegen des Siegeszugs des Onlinehandels auch kaum noch eingekauft wird, wenn also zwei wesentliche, seit Jahrtausenden unveränderte Gründe, eine Stadt aufzusuchen, infolge der digitalen Revolution wegfallen.

Exploring the art of play: “Radical Playgrounds”Camille Blake

Betritt man die ehemalige Leerfläche, sieht man dort mehrere von Raumlabor zusammen mit diversen Künstlern entworfene Holzarchitekturen. Einige Bauten dieses „künstlerischen Vergnügungsparks“ sind temporär, andere, darunter ein Gemeinschaftspavillon mit Sitzgelegenheiten und Küche, dessen äußere Form an ein Boot erinnert, sollen auch nach dem Ende der Ausstellung bleiben. Ein hellrot angestrichenes Rundtheater mit labyrinthischem Umlauf und einem bunten Aussichtsturm beherbergt eine Grabungsstätte der School of Mutants, das Pflaster ist aufgerissen, hier dürfen urbane Archäologen aus dem Sand holen, was der geschichtsträchtige Berliner Boden an dieser Stelle verbirgt. Ansonsten kann man im Kreis flanieren und die Aussicht auf einen riesigen Planschpool mit Wasserfontänen genießen, die ökologisch vorbildlich per Muskelkraft auf Trimm-dich-Fahrrädern angetrieben werden.

Wie in der Vision des „New Babylon“ des Architektur-Utopikers Constant, der in den Fünfzigerjahren für den Idealzustand einer Welt, in der Maschinen die Arbeit erledigen, ein endloses Flanierlabyrinth entwarf, kann der postindustrielle Homo ludens hier seine Zeit mit Herumwandern und Schauen, Gesprächen und Spiel verbringen: Die ganze Stadt wird Spielplatz für Erwachsene, aber natürlich auch für Kinder, die hier durch bunte Röhren kriechen und auf einer aus Strohballen aufgetürmten Pyramide von Edgar Calel herumturnen dürfen. Die Wracks zweier umgestürzter Opel-Kleinwagen, wie sie die Berliner Polizei zur großen Erheiterung aller PS-Gangster fährt, halten eine Halfpipe für Skater; auf einem Kunstsportplatz kann man Basketball spielen oder aber die Informationen lesen, die diesem Werk von Céline Condorelli beigefügt sind: Das verwirrende Dickicht von Linien, gekurvten Wänden und Hinweisen erzählt auch, wann Frauen für welche Sportarten überhaupt zugelassen wurden. So ist alles hier gleichzeitig Spielstätte und kritischer Kommentar auf das, was Körper im öffentlichen Raum dürfen und was nicht – und ob sie, beides ist im „Spiel“ ja angelegt, gegeneinander antreten oder miteinander spielen sollen.

Zwischen Schützengräben und Klettergerüsten

Ein Herzstück dieser Show von Abenteuerbauten ist eine kluge Ausstellung zur Geschichte des Spielplatzes seit 1890, die genau dieser Frage nachgeht. Sie zeigt, wie um 1900 im Berliner Tiergarten in einer Sandgrube erstmals gespielt und gebuddelt werden darf; in ärmeren Gegenden der Stadt sind die öffentlichen Sandkästen bald so überfüllt, dass die Kinder sich kaum umdrehen können. Der Schillerpark wird zur „Verbesserung der Volksgesundheit“ mit einem Planschbecken nach dem Vorbild von Spielplätzen in Chicago ausgestattet. Die Kletterstangen und Sportgeräte dort dienen aber nicht nur dem Spaß, sondern auch der körperlichen Ertüchtigung zukünftiger Soldaten. Einige wild zerwühlte Sandgruben auf den frühen Spielplätzen des Kaiserreichs sehen den Schützengräben, in die die hier noch ahnungslos spielenden Kinder wenige Jahre später geschickt werden sollten, erschreckend ähnlich. So ist der Spielplatz von Anfang an ein paradoxer Ort zwischen Exerzierplatz und Emanzipationsraum.

A mix of art exhibition and adventure playground: “Radical Playgrounds” in Berlin Camille Blake

Nach 1945 wird er immer mehr zur Gegenwelt, in der die Dinge anders laufen: Urban Deadline, ein New Yorker Studentenkollektiv, besetzt 1967 eine Abbruchparzelle in Harlem und verwandelt sie in den „6th Street Park“, in dem sich Kinder wie Erwachsene treffen und spielen können. Ein Jahr später eröffnete die Aktion Samtal im Moderna Museet in Stockholm eine riesige Holzkonstruktion, von der die Kinder in ein Meer aus Schaumstoffkissen springen konnten. Der Spielplatz wird zum Utopieraum, und je schrecklicher die Architektur, desto schöner die Spielplätze davor: Auf diese Regel kann man das Verhältnis von Stadt und Kind bringen, wenn man in dieser Ausstellung etwa die 1974 zwischen DDR-Plattenbauten aufgestellten bunten „Spielhäuser aus Plaste“ von Ursula Wünsch anschaut oder die „Spielskulptur Mondstation“ von Baldur Schönfelder, die ein Jahrzehnt zuvor den Weltraumträumen seiner Jahre einen Ort gibt.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Auch im Fall des ersten deutschen „Abenteuerspielplatzes“ im abenteuerlich trostlosen Märkischen Viertel in West-Berlin bewahrt der Spielplatz das, was die rational entzauberte Welt der Neubauviertel zwischen ihren Bürotürmen und Shoppingmalls verloren hatte. Heute, da die Digitalisierung beiden ein Ende macht, stellt die Berliner Schau eine grundlegende Frage: Könnte es sein – und wäre es wünschenswert –, dass mit dem digitalen Strukturwandel die Stadt, die sich durch die Abwanderung von Büros und Läden in den virtuellen Raum des Internets entleert, immer mehr einem Spielplatz ähneln wird und immer weniger einem Ort für den sogenannten Ernst des Lebens?

Wie im Kampf um die innerstädtische Einfahrtsberechtigung stehen sich auch hier diejenigen, die es nicht erwarten können, den schwarzen Teer der Straßen aufzubrechen oder zu bemalen, denen gegenüber, die solche Ansinnen als Infantilisierung und Behinderung des öffentlichen Raums beklagen. Es wird interessant zu sehen sein, ob die Ausstellung zur Annäherung beider Lager führt.

Radical Playgrounds. Vor dem Gropius-Bau Berlin, bis 14. Juli.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/ausstellung-radical-playgrounds-im-berliner-gropius-bau-19680503.html