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Die neun Angeklagten, die einen rechtsextremistischen Staatsstreich gegen die Bundesrepublik mitgeplant haben sollen, werden am Montag um 10.30 Uhr einzeln in den Saal 1 des Stammheimer Gerichtsgebäudes geführt. Es sind unscheinbar wirkende Männer im Alter zwischen 42 und 60 Jahren – eher vom Typ Tischler oder Ingenieur von nebenan. Alle werden dem „militärischen Arm“ der Reichsbürgergruppe um den mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß zugerechnet, sie sollen nach Darstellung der Anklage des Generalbundesanwalts den militärischen Umsturz konkret vorbereitet haben. Sie verfügten über 500.000 Euro, mehr als 300 Schusswaffen, etwa 148.000 Munitionsteile sowie militärisch-logistisches Wissen ehemaliger Soldaten und bauten ein eigenes Kommunikationssystem mit Servern und Telefonen auf.

Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung von Hochverrat. Einem der Angeklagten, einem Arbeiter aus Reutlingen, wirft die Bundesanwaltschaft auch versuchten Mord vor. Der Mann wurde erst am 22. März 2023 festgenommen, nachdem es in einer Siedlung in Reutlingen zu einem heftigen Schusswechsel gekommen war. Es handelte sich um eine Art Nachhutgefecht bei den Ermittlungen gegen die Verschwörergruppe. Die mutmaßlichen Führungspersonen waren schon im Zuge einer bundesweiten Razzia am 7. Dezember 2022 enttarnt und dem Haftrichter vorgeführt worden. Der Angeklagte soll daraufhin beschlossen haben, sich im Falle einer Hausdurchsuchung zu verteidigen.

Größtes Staatsschutzverfahren seit 1949

„Die Angeklagten klage ich an, sich in verschiedenen Orten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an einer terroristischen Vereinigung beteiligt und ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben“, sagt der Vertreter der Bundesanwaltschaft. Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen macht mit seinem Vorschlag, die Beweisanträge strukturiert zu sammeln, deutlich, dass er sich eine effiziente und stringent geführte Beweisaufnahme wünscht. Gemessen an der Schwere der Vorwürfe, der Zahl der Angeklagten – insgesamt sind es an den drei Oberlandesgerichten Frankfurt, München und Stuttgart 26 – und dem Umfang der Ermittlungsakten handelt es sich um eines der größten Staatsschutzverfahren seit Gründung der Bundesrepublik.

Der Vertreter der Bundesanwaltschaft schildert die Gedankenwelt der Angeklagten: Sie organisierten sich demnach über Telegram und glaubten an „altbekannte Reichsbürgernarrative“ und Verschwörungsmythen. „Sie glauben, dass die Welt von pädophilen Eliten dominiert wird, es ein unterirdisches Tunnelsystem gibt, dass es einen Missbrauch von Kindern zur Gewinnung eines Gerinnungsmittels gibt.“ Die Pläne der mutmaßlichen Terroristen schilderte er so: Eine „Allianz der Guten“ werde an einem „Tag X“ gegen die Repräsentanten des „tiefen Staats“ aufbegehren, dann werde man den Bundestag stürmen, die alte politische Klasse beseitigen.

Zwei „Heimatschutzkompanien“ gegründet

„Die Reichsbürger waren fest davon überzeugt, dass die deutsche Bevölkerung nach der Veröffentlichung von Dokumenten aufwachen und den Staatsstreich unterstützen würde“, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft. Zur Vorbereitung des Staatsstreichs organisierten die mutmaßlichen Terroristen Schießübungen und machten Pläne für einen Übergangsstaat. 136 Personen unterzeichneten eine Urkunde, mit der sie Mitglied der Verschwörergruppe wurden, „Hochverrat“ gegen den zu gründenden „reaktivierten deutschen Staat“ sollte mit der Todesstrafe geahndet werden. Durch die Vorbereitungen innerhalb der Verschwörergruppe sei ein „interner Handlungsdruck“ erzeugt worden.

Immer wieder, so der Vertreter der Bundesanwaltschaft, sei darüber diskutiert worden, wann die „Allianz“ gegen den „tiefen Staat“ eingreifen werde. Für den „Tag X“ sollten 281 Heimatschutzkompanien aufgebaut werden. In zwei Fällen geschah das tatsächlich: in Jena in Thüringen sowie in der Region zwischen Freudenstadt und Tübingen in Baden-Württemberg. „Sie wollten Bürgerwehren gründen und machten dort Pläne, das Gelände der Hohenberg-Kaserne in Horb mit einem Schießstand zu erweitern.“

Reichsbürger-Szene im Südwesten besonders groß

Zumindest die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung konnten Vertreter des Generalbundesanwalts in der Anklage nachweisen, weil viele Angeklagte die Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet haben. Über einen der Männer und seine Vorbereitungshandlungen für den Staatsstreich sagt eine Vertreterin der Bundesanwaltschaft am ersten Verhandlungstag: „Er stellte seine Wohnung für Treffen zur Verfügung – auch als Gefechtsstand für weitere Koordinierungstreffen. Er war maßgeblich damit befasst, den militärischen Stab materiell und personell aufzubauen.“ Ferner habe der Mann Wohnmobile beschafft und an einheitlichen Handlungsanweisungen für die Chefs der Heimatschutzkompanien gearbeitet. Es sei dem Angeklagten darum gegangen, die „logistischen Voraussetzungen für die Machtübernahme am Tag X“ zu schaffen.

Bis auf einen Angeklagten, der aus der Nähe von Wetzlar in Hessen stammt, haben alle Angeklagten des militärischen Arms ihren Wohnsitz in Baden-Württemberg: Ettlingen, Pfinztal, Oberharmersbach, Horb am Neckar, Rottenburg, Neustetten und Reutlingen. Welche politisch-kulturellen Traditionen dafür verantwortlich sind, dass die Bewegung der Reichsbürger und Selbstverwalter einen ihrer Schwerpunkte im Südwesten hat, wird vor Gericht wohl keine Rolle spielen. In jedem Fall war die Querdenker-Bewegung der Corona-Leugner zwischen Mannheim und Konstanz stärker als in Norddeutschland. Auch ehemalige Soldaten des „Kommandos Spezialkräfte“ aus Calw spielten bei der Gründung der Gruppierung einer Rolle.

Die Verteidiger monieren mit einer Reihe von Beweisanträgen die Aufspaltung der Anklagen auf drei Oberlandesgerichte. Die Abtrennung der Verfahren sei „ermessensmissbräuchlich“ und beschneide das Frage- und Erklärungsrecht der Angeklagten. Es liegt im Ermessen des Generalbundesanwalts, wie die Verfahren auf verschiedene Oberlandesgerichte verteilt werden. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft sagte, acht von neun Angeklagten stammten nun mal aus Baden-Württemberg und dort hätten sie auch den mutmaßlichen Staatsstreich vorbereitet. Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen lehnte eine Aussetzung der Hauptverhandlung ab und stellte einige Beweisanträge zur Beratung zurück. In einer Woche werden sich die Angeklagten wieder in Saal 1 in Stammheim einfinden.

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