Es ist Wahlkampf in Thüringen. Auf dem Weg zum Museum sieht man einen Slogan an einer Laterne hängen, „unser Land zuerst“ steht da in Großbuchstaben, es ist ein Wahlplakat der AfD. Auf anderen Plakaten sind die Behauptung „Abschieben schafft Wohnraum“ und die Forderung „Frauen und Mädchen schützen“ zu lesen. „Helft mit, die Drückeberger und Faulenzer auszumerzen, es ist für uns selbst von Vorteil“, steht ein paar Meter von diesen Plakaten entfernt in großen Buchstaben auf einer Stellwand am Rand des ehemaligen Weimarer Gauforums. Dieser Satz ist aber kein Wahlplakat, sondern ein Zitat aus einer deutschen Betriebszeitung des Jahres 1942, mit dem das vergangene Woche eröffnete „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ auf seine Dauerausstellung aufmerksam machen möchte.
Man fragt sich trotzdem, ob das im rauen aktuellen Klima in Weimar wirklich von allen Passanten, die hier zum Saturn-Markt bummeln, überhaupt als erschreckend wahrgenommen wird. Wer allerdings in das neue Museum geht, wird ihn nicht mehr anders lesen können – und die dort gezeigten Bilder zur Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus nicht mehr vergessen.
Das Instrument der öffentlichen Beschämung
Das neue Museum will mit seiner Ausstellung zwei Ziele erreichen: Zum einen ruft es die Geschichte der rund zwanzig Millionen Zwangs- und „Fremdarbeiter“ ins Gedächtnis, darunter Männer, Frauen und sogar Kinder, die vor allem im Zweiten Weltkrieg verschleppt, in Deutschland oder in den besetzten Ländern unter oft unmenschlichen Bedingungen zu schwerster Arbeit gezwungen und in vielen Fällen am Ende ermordet wurden.
In der Ausstellung werden ihre Schicksale anhand von Fotografien, Briefen und Objekten eindringlich vergegenwärtigt. Darüber hinaus zeichnet die Ausstellung aber auch ein sehr präzises Bild der Strategien und kollektiven Rituale, mit denen sich im Dritten Reich eine neue, nationalsozialistische Gesellschaft formierte: Über das Instrument der Arbeit wurde eine „Volksgemeinschaft“ gebildet, gleichzeitig wurden ganze Bevölkerungsgruppen über erzwungene Arbeitseinsätze ausgegrenzt und schließlich vernichtet. Schon kurz nach der Machtergreifung wurden politisch unliebsame Bürger öffentlich gedemütigt und zu Fronarbeit gezwungen.
Der kommunistische Politiker Heinrich Weschke und der jüdische Abgeordnete Kurt Glaser mussten, wie Fotografien belegen, vor der johlenden Menge Zäune schrubben. Schon damals, in den ersten Monaten des Dritten Reichs, wird der Zwang der angeblich „arbeitsscheuen Elemente“ zu mehr Disziplin als Topos etabliert, der am Ende zum Zynismus des Mottos „Arbeit macht frei“ am Vernichtungslager führt.
Die Verleumdung und öffentliche Beschämung ist eins der Instrumente, mit denen die Nationalsozialisten – unter begeisterter Beteiligung von verleumdungsfreudigen Bürgern – die Gesellschaft auseinandertreiben und kommende Morde legitimieren: Ein Brief von 1935 dokumentiert, wie der SS-Scharführer Kurt Grün erklärt, er habe mit Kameraden den „Ostjuden Rosenberg mit dem Frl. Makowiack, einem Christmädel“ beobachtet; man habe zwar nicht feststellen können, ob es „zwischen beiden zu geschlechtlichem Verkehr“ gekommen sei, aber beide hätten „ein zärtliches Benehmen“ gehabt, außerdem sei „der Jude Rosenberg in Gelsenkirchen als Schürzenjäger“ bekannt. Wenig später wurde Elisabeth Makowiack mit einem Schild um den Hals durch die Stadt getrieben, auf dem „Ich blonder Engel schlief mit einem Judenbengel“ stand, und Juden, die sich der behaupteten „Rassenschande“ schuldig gemacht hatten, wurden in Arbeits- und Konzentrationslager verschleppt – in der offiziellen Diktion war von „Erziehung durch Arbeit“ die Rede.
Die arische Volksgemeinschaft formiert sich beim „Reichsarbeitsdienst“
Während erzwungene Arbeit dort dazu diente, Menschen zu demütigen, zu brechen oder umzubringen, wird gleichzeitig das gemeinsame Arbeiten von den neuen Herrschern als wesentlicher Teil der Bildung eines gesunden und am Ende unbesiegbaren „Volkskörpers“ inszeniert: Die arische Volksgemeinschaft formiert sich beim „Reichsarbeitsdienst“, Tausende halb nackter junger deutscher Männer mit freien Oberkörpern treten 1937 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg zum Massenornament zusammen. Hier lautete der Slogan „Arbeit adelt“. Die verpflichtenden sechs Monate Arbeitsdienst waren ein Instrument, um das Bild massenhafter Arbeitslosigkeit, das die Weimarer Republik geprägt hatte, verschwinden zu lassen und ein neues zu erzeugen, bei dem Zigtausende von deutschen Arbeitern Autobahnen aus dem Boden stampfen und sich dabei körperlich fit machen für die Eroberungsfeldzüge, die auf den neuen Autobahnen bald stattfinden sollten.
Als in den ersten Kriegsjahren immer mehr Männer an die Front eingezogen werden, fehlen in der heimischen Industrie und auf den Bauernhöfen Arbeiter. Gleichzeitig war die deutsche Kriegsmaschine auf Erz und Kohle aus Frankreich angewiesen. Nachdem zunächst Insassen von Gefängnissen und Strafgefangenenlagern in der Rüstungsproduktion arbeiten mussten, stieg die Zahl der Kriegsgefangenen in Rüstungsindustrie und Landwirtschaft bald auf 4,6 Millionen Menschen. Fritz Sauckel – der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“, der für die Verschleppung von Millionen von Zwangsarbeitern zuständig war und später als Gauleiter von Thüringen in ebenjenem Gauforum residieren sollte, in dessen Südflügel sich heute das neue Museum befindet – versuchte zunächst, in den besetzten Ländern Werbung für freiwillige Arbeit im Kriegsdeutschland zu machen. Als das nicht auf das erhoffte Echo stieß, wurden Tausende von Männern und jungen Frauen, vor allem Ukrainerinnen, aus den besetzten Gebieten als Zwangsarbeiterinnen in die Fabriken und auf die Höfe des deutschen Reichs verschleppt. Eine erschütternde Audiodokumentation hält fest, wie sich ein ukrainischer Vater sich 1942 von seiner 17-jährigen Tochter verabschieden muss.
Ab 1943 wurden auch KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene in großen Maßstab eingesetzt, um den Zusammenbruch der Kriegsproduktion und der Infrastruktur zu verhindern. Die Organisation Todt betrieb allein im Gebiet bei Cherbourg an der französischen Westküste 39 Lager für französische und sowjetische Zwangsarbeiter, die das Wahnsinnsprojekt eines Tausende Kilometer langen Atlantikwalls aus Beton zur Abwehr einer alliierten Invasion umsetzen mussten. In Weimar wird auch der Brief eines Arztes ausgestellt, der den Gesundheitszustand der Arbeiter an der Westfront als „erschütternd und jeder menschlichen Gesittung hohnsprechend“ bezeichnet: „Die Männer, die ein Durchschnittsalter von 20–25 Jahren hatten“, schreibt er, „sahen aus wie Greise.“
In „Ausländerbordellen“ wurden Frauen zwangsprostituiert
Die massenhafte Verschleppung von Zwangsarbeitern nach Deutschland führte zu neuen Problemen: Tausende polnische und russische Gefangene waren auf deutschen Höfen und in den Fabriken tätig. Der Krieg war nur zu gewinnen, wenn man den Feind als Arbeitskraft ins eigene Land holte und dort aber unter Kontrolle behielt. 1943 sind die Hälfe aller Arbeiter in der Landwirtschaft Ausländer. Kontakte mit den Bauernfamilien und deutschen Arbeiterinnen waren nicht zu vermeiden. Ein Förster klagt in einem in Weimar ausgestellten Brief, dass die im Wald eingesetzten polnischen Landarbeiter „nicht nur für den Wald, sondern auch für deutsche Volksgenossen, insbesonderheit das weibliche Geschlecht“ eine Gefahr darstellten. Um die Fremdarbeiter vom eigenen Volkskörper fernzuhalten, wurden drakonische Strafen für Kontaktaufnahmen verhängt und sechzig „Ausländerbordelle“ errichtet, in denen Frauen aus den besetzten Ländern zwangsprostituiert wurden.
Im Flugmotorenwerk von BMW sind bei Kriegsende neunzig Prozent der Arbeiter Ausländer, darunter Tausende von KZ-Häftlingen. Zweieinhalb Millionen Menschen überlebten die Zwangsarbeit nicht; Kinder von Zwangsarbeiterinnen werden in „fremdvölkische Kinderheime“ gebracht, wo viele sterben. 1945, kurz vor Kriegsende, bringt eine SS-Einheit aus Mordlust 81 Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder bestialisch um. Die Fotos, die dieses Verbrechen dokumentieren – eines zeigt einen elegant gekleideten Zivilisten, der die Überreste eines ermordeten Säuglings in den Armen hält – sind nur schwer auszuhalten. Es sind Bilder vom Ende einer Entmenschlichung, die 1933 mit öffentlichen Demütigungen begann. Dass erst sechzig Jahre nach Kriegsende eine Verantwortung für die Opfer dieser Verbrechen an Zwangsarbeitern anerkannt wurden, kommt in der Ausstellung fast zu kurz – ebenso wie die Weigerung vieler deutscher Firmen, die von der Zwangsarbeit profitierten, ihre Arbeiter und deren Nachkommen zu entschädigen. Dabei könnte dieses Thema ein weiteres Museum füllen.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/museum-zwangsarbeit-im-nationalsozialismus-in-weimar-eroeffnet-19724237.html