Das georgische Parlament hat am Dienstag das Veto von Präsidentin Salome Surabischwili gegen das Gesetz über „ausländischen Einfluss“ überstimmt. Während der Sitzung demonstrierten vor dem Parlament mehrere Tausend Menschen mit Flaggen Georgiens und der EU gegen das Gesetz. Die Massenproteste halten mit wenigen kurzen Unterbrechungen an, seit die Regierungspartei Georgischer Traum das Gesetz Anfang April eingebracht hat. Das Gesetz sieht vor, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien, die mehr als ein Fünftel ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten, sich als „Träger ausländischen Einflusses“ registrieren lassen müssen und einer besonderen Überwachung durch das Justizministerium unterliegen. Vorbild ist das russische Gesetz über „ausländische Agenten“, das vom Regime als Instrument zur Unterdrückung von Kritikern eingesetzt wird. Die georgische Opposition nennt das Gesetz deshalb „russisches Gesetz“. Es tritt nun in sechzig Tagen in Kraft.
Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili warf der Opposition am Dienstag vor, sie handle im Interesse ausländischer Mächte, wenn sie gegen das Gesetz stimme. Die Opposition und die Demonstranten hingegen halten der Regierung vor, sie breche mit der Westorientierung Georgiens und bringe das Land damit wieder in Russlands Einflussbereich. In den Kundgebungen der Regierungsgegner am Nationalfeiertag am Sonntag, dem Jahrestag der Unabhängigkeit von Russland im Jahr 1918, wurde an den ersten international anerkannten georgischen Staat und dessen Besetzung durch die Sowjetunion drei Jahre später erinnert.
„Referendum“ über Georgiens europäische Zukunft
Präsidentin Surabischwili sprach den Demonstranten in ihrer Rede zum Unabhängigkeitstag ihre Unterstützung aus: „Unsere Unabhängigkeit und unser europäischer Weg sind untrennbar und müssen gemeinsam verteidigt werden.“ Sie rief die georgische Gesellschaft auf, ihre Mobilisierung bis zur Parlamentswahl am 26. Oktober aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber Frieden und Stabilität im Land zu bewahren. Die Wahl werde keine normale Parlamentswahl, sondern ein „Referendum“ über Georgiens europäische Zukunft.
Surabischwili, die 2018 als Kandidatin der Regierungspartei Georgischer Traum gewählt worden war, stellte eine „Georgische Charta“ vor, die von den proeuropäischen Parteien unterzeichnet werden soll. Darin sollen sie sich verpflichten, sofort nach der Wahl alle Gesetze zurückzunehmen, die im Widerspruch zu EU-Regeln stünden; zudem sollen sie konkrete Maßnahmen zur Schaffung einer unabhängigen Justiz, gegen den Machtmissbrauch durch die Sicherheitskräfte und für die Korruptionsbekämpfung beschließen. Mehrere Oppositionsparteien haben schon signalisiert, sich der Initiative der Präsidentin anzuschließen.
Am Dienstag stellte sich eine Gruppe georgischer Richter mit der Begründung gegen das Einfluss-Gesetz, es verstoße gegen Artikel 78 der Verfassung Georgiens. Darin werden die Staatsorgane verpflichtet, alles in ihrer Kompetenz Stehende zu tun, „um die volle Integration Georgiens in die EU und die NATO sicherzustellen“. EU und NATO haben bereits voriges Jahr deutlich gemacht, dass ein solches Gesetz ein Hindernis bei einer Annäherung Georgiens an beide Organisationen wäre; im März 2023 hat Georgiens Regierung ein fast gleichlautendes Gesetz nach Massenprotesten zurückgezogen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte am Dienstag auf X an, die EU werde im Juni über eine Reaktion auf das Gesetz entscheiden. US-Vizepräsidentin Kamala Harris hatte in einem am Montag bekannt gewordenen Schreiben an Präsidentin Surabischwili deren Veto gegen die „antidemokratische Maßnahme“ begrüßt. Bereits vorige Woche hatte US-Außenminister Antony Blinken mit Sanktionen gegen Personen gedroht, die an der Durchsetzung des Gesetzes mitwirken.
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