Louis Klamroth in der TV-Kritik | EUROtoday

Wenn man die Sache mit der Frau aus dem Volk, die es in die Talkshow verschlägt, weil wir uns gern auch mal demokratisch und bürgernah geben, systemisch betrachten wollte, müsste man wohl sagen: Alle erniedrigen sich vor ihr, die in diesem Fall Doreen Lorsch heißt, Fleischereifachverkäuferin aus Dahme in Brandenburg. Alle sind lieb, ob im Reden oder im Schweigen, vor allem die Politiker. Man will nicht von oben herab mit ihr reden, weil es peinlich wäre, mit der Metzgerin aus Dahme nicht klarzukommen beziehungsweise die Sprache des Volkes nicht drauf zu haben, wo es heute doch genau darauf ankommt: endlich zu kapieren, was das Volk so will, besonders im Osten Deutschlands, besonders, wenn es so einen Mist wählt.

Die Frage ist allerdings, ob man auf die Dauer wirklich über jene sprechen kann, die früher einmal „die Menschen draußen im Lande“ (H. Kohl) genannt wurden, ohne hinzufahren und zuzuhören und etwas zu lernen, nicht so sehr über ihre Wahlentscheidung, sondern über Befindlichkeit, Mentalität, politische Prägungen und Lebensgeschichten. Danach wäre man entweder klüger oder aber noch viel dümmer als vorher – dann nämlich, wenn sich herausstellte, dass man als westlich sozialisiertes Wesen die Menschen dort wirklich für so komisch, befremdlich oder schlicht unverständlich hält, wie man es in seinen pauschalsten Vorurteilen schon immer dachte. Wer weiß das schon? Es gibt einfach Leute, die man nicht mag, und es gibt Leute, die man nie verstehen wird. Nur im künstlichen Universum deutscher Talkshows dürfen das ausschließlich AfD-Wähler sein; in der wirklichen Welt der sechzehn deutschen Bundesländer ist die Auswahl deutlich breiter.

Da oben in der Politik

Doreen Lorsch war nun sehr nett. Man spürte, dass sie sich Mühe gab, die Sache richtig auszudrücken, doch sie dachte nicht daran, die bittere Pille zu versüßen: Doreen Lorsch findet einfach, die „Altparteien“ (bei diesem Wort lächelte sie entschuldigend, aber warum sollte sie ihre Sprache verbiegen, nur weil sie im Westfernsehen ist?) hätten versagt. Dort, wo sie wohne, in Dahme, seien die Menschen schlicht „vergessen worden“. Das Problem, sagte sie, bestehe schon länger. In einer Nachbargemeinde, da habe es mal Läden und eine kleine Infrastruktur gegeben, aber alle hätten zugemacht. Und so sei das nun mal. „Da oben in der Politik werden Sachen diskutiert, die mit unseren Themen wenig zu tun haben.“ Wozu die ehemalige CDU-Wählerin auch die Zuwanderung zählte und die, nun ja, Sorge um den Frieden.

Der Moderator von „Hart aber fair“, Louis Klamroth, der Doreen Lorsch dort in Brandenburg besucht hat und mit dem Kameramann einfach in die Fleischerei marschiert ist, spielt in diesem Zusammenhang eine Doppelrolle, die benannt sein will. Einerseits vollzieht er gegenüber der Fleischereifachverkäuferin die Mega-Anbiederung („Ich bin der Louis“) und gibt den Ahnungslosen, wenn es ans Schnitzelschneiden geht, bei welcher Tätigkeit er sich jovial und scheindevot darüber belehren lässt, dass man das Messer im Schwein richtig durchzieht und nicht auf dem rohen Fleisch herumsägen darf. Was man im TV-Journalismus nicht alles lernt.

Selten so geheuchelt

Andererseits lässt er Doreen Lorsch später in der Talkshow auf seine Gäste los beziehungsweise benutzt Lorschs Geschichte, um, nachdem er sich schon beim Fleischschneiden pseudoerniedrigt hat, auch die versammelten Politiker zu entsprechend lachhaften Demutsgesten zu zwingen. Sieht aus wie Demokratie am lebenden Objekt, ist aber die pure Heuchelei. Am Ende fabeln Kevin Kühnert (SPD) und Philipp Amthor (CDU) tatsächlich davon, sie wollten Doreen Lorsch dort in Brandenburg auch mal besuchen, um mit den Menschen zu reden (echt!), fast wartet man darauf, dass einer sagt, wie toll es sei, dass man sich endlich mal näher kennengelernt habe, und dann sagt Louis Klamroth allen Ernstes (er sagt es, aber er meint es natürlich nicht, so bescheuert ist er auch wieder nicht), sie könnten ja alle zusammen zu Doreen Lorsch fahren, er könne auch noch Sahra Wagenknecht mitnehmen (die sich zwei Meter neben ihm befindet), und das Einzige, was fehlte, war, dass Louis Klamroth den Politikern on camera erklärt, wie man Schweineschnitzel schneidet, weil er es eben neulich bei Doreen Lorsch gelernt hat. Es war surreal.

Zu diesem Zeitpunkt war die Sendung schon fast vorbei, und man hatte gesehen: die Schriftstellerin Juli Zeh, die sich mehr Pragmatismus, Problembewusstsein und Nähe in der Politik wünschte, auf jeden Fall weniger „AfD-Verhinderungspolitik“. (Das Alles-oder-nichts-Manöver von Ministerpräsident Woidke nannte sie „rabaukig“, was endlich mal eine originelle Formulierung war: Es hätte ja auch schief gehen können, und dann?) Ferner sahen wir die Soziologin Katharina Warda, die zwei bis drei Mal zu oft von dem „rassistischen Narrativ“ der deutschen Gesellschaft sprach und von wenig sonst. Und dann ein paar lautstarke Kabbelszenen, einmal zwischen Wagenknecht und Kühnert, dann zwischen Wagenknecht und Amthor, aber alles ohne größeren Erkenntnisgewinn, denn die Positionen sind ja zum Gähnen bekannt, so dass man sich fragt, wie solche Abonnementsgäste überhaupt die eigene Talkshow-Dauerpräsenz überleben, ohne an sich selbst und der Welt gaga zu werden.

Ein Wort noch zum Benehmen, nämlich des Moderators. In der ARD-Mediathek ist hinterlegt, wie oft sich Klamroth gegenüber Sahra Wagenknecht schon in unfassbarer Weise danebenbenommen hat, etwa in „Hart aber fair“ am 27. Februar 2023 oder auch am 29. April 2024: eitel, grob unhöflich und deutlich mehr als rabaukig. Klamroth fiel auch diesmal aus der Rolle. Niemandem außer Wagenknecht hätte er mit seinem trotzigen „Jetzt rede ich gerade!“ das Wort verboten, vor niemandem sonst hätte er sich so angeberisch maskulin aufgebaut, dass ein ängstlicherer Mensch als Sahra Wagenknecht zurückgewichen wäre. Merkt der Mann das nicht? Sagt es ihm keiner? Vielleicht macht sich mal jemand in diesem öffentlich-rechtlichen Sender die Mühe, „Hart aber fair“ zu gucken.

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