Andere umarmen Bäume, Matthias Hartmann aber streichelt Theateraußenmauern. Oder eher „streichelte“, denn seit er als Intendant des Wiener Burgtheaters in den Finanzskandal des Hauses am Ring 2013/2014 verstrickt und schließlich Anfang März 2014 seines Postens enthoben wurde, hält er sich von Sprechtheaterbühnen lieber fern. Musiktheater, Opern, das geht freilich noch. In etwa so fasst er diesen Abschnitt seines Lebens in seinem soeben erschienenen Buch „Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt“ zusammen. Eine Mischung aus Autobiographie, Liebeserklärung an die Theaterwelt und Abrechnung mit der österreichischen Kulturpolitik.
Sogenannter Creative Director
Die Buchpräsentation fand nun nicht etwa im Burgtheater statt, sondern in den Sträußelsälen, der noblen Pausengalerie des Theaters in der Josefstadt. Dort saß er zusammen mit ServusTV-Moderator Michael Fleischhacker, plauderte mit diesem und las dann zahlreiche Passagen aus seinem Buch vor. Zu ServusTV, einer Tochtergesellschaft der Red Bull Media House GmbH im Firmengeflecht des 2022 verstorbenen Unternehmers und Multimilliardärs Dietrich Mateschitz, hat Hartmann seit 2014 als sogenannter Creative Director eine gute Beziehung. So gehört auch der Verlag Ecowing, in dem „Warum eine Pistole . . .“ erscheint, zu dieser Unternehmensgruppe.
Nichts Strafbares zu Schulden
Die Affäre um das Finanzdebakel am Burgtheater war dann zwar nicht das einzige Thema an jenem lauen Sonntagvormittag, nahm aber doch eine dominierende Stellung ein. Sicherheitshalber hat Hartmann auch einige Namen der übrigen Beteiligten im Buch geändert, um weiteren Scherereien mit der Justiz zu entgehen. So nennt er etwa die damalige kaufmännische Geschäftsführerin, welcher der Großteil der Malversationen letztendlich zugeschrieben werden konnte, nur die „liebe Silvia“. Fairerweise sei hier noch einmal festgehalten: Die finanzstrafrechtlichen Ermittlungen gegen Matthias Hartmann wurden eingestellt. Er hat sich nichts Strafbares zuschulden kommen lassen. Sein Fehler besteht darin, dass er mit der Unterzeichnung des Vertrages zur Ernennung als Burgtheaterdirektor davon ausgegangen war, er sei nur für den künstlerischen Teil des Postens verantwortlich. Dass ihm, so erfährt man aus seinem Buch, die verwirrenden finanziellen Vorgänge in Österreichs Staatstheater zwar spät, aber dann doch selbst aufgefallen sind, er jedoch nicht rechtzeitig eine verantwortliche Ansprechperson in der Bundesverwaltung aufspüren konnte, wurde ihm damals zum Verhängnis.
(Sprech-)Theater wird, laut Hartmann, heutzutage als eine Art Kryptowährung definiert. Kryptotaler fließen dabei hauptsächlich zwischen den Theatermachern und der Kritikerkaste hin und her. Auf das Publikum, so scheint es ihm zumindest, wird gar keine Rücksicht mehr genommen. „Phantasie ist ein ziemlich schwacher Muskel unseres Wesens geworden“, so Hartmann. Und liest ein weiteres Kapitel vor, in dem es um seine Vorliebe für Luxusautos und die Konkurrenz zu anderen Regisseuren geht. Eine Frage blieb aber aus: Würde Matthias Hartmann, falls man ihn fragte, doch wieder am Burgtheater inszenieren? Man weiß so wenig!
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