Die niederländische Börse ist in den vergangenen Wochen im Griff aktueller Quartalszahlen gewesen – und eine Saison wie diese bekommt sie nicht alle Quartale zu sehen. Zwei Werte im Leitindex AEX wiesen mit ihren Kursen einen Tagesverlust aus wie seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht. Generell wird sichtbar, wie heftig Investoren auf Abweichungen von Geschäftserwartungen reagieren, welche Bürgern abseits des Kapitalmarkts vergleichsweise glimpflich erscheinen mögen.
Eindrücklich illustrierte das Philips. Der frühere Mischkonzern ist inzwischen ein beinahe reines Medizintechnikunternehmen und musste einen Kurssturz seiner Aktie um ein Sechstel anschauen. So steil war es binnen Tagesfrist seit 1998 nicht bergab gegangen, wie der Finanzdatendienstleister Bloomberg vorrechnete. Was war passiert? Hatte der Philips-Vorstand etwa die Gewinnprognose gesenkt?
Im Gegenteil, mit Blick auf den Ertrag zeigte er sich sogar eine Spur zuversichtlicher als bisher, denn die operative Marge sieht das Management zum Jahresende am oberen Ende der bisher schon genannten Spanne. Vielmehr ging es um den Umsatz: Der wird den aktualisierten Erwartungen zufolge 2024 nur um 0,5 bis 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen – statt um drei bis fünf Prozent. Einige Prozentpunkte weniger Erlös bei einer gleichzeitig leicht günstigeren Margenprognose: Dafür ein Kurssturz um ein Sechstel?
Sorgen wegen China
Vermutlich gehen die Befürchtungen der Investoren über die aktualisierte Zahl und über das laufende Jahr hinaus. Vorstandsvorsitzender Roy Jakobs nannte als Grund für die Entwicklung eine Nachfrageschwäche aus China, während in anderen Regionen alles nach Plan verlaufe. Zum einen kaufen chinesische Bürger weniger elektrische Zahnbürsten und Rasierer aus dem Hause Philips, zum anderen halten sich Krankenhäuser mit Bestellungen für großes medizinisches Gerät zurück, weil die Regierung in Peking eine Kampagne gegen Korruption im Gesundheitssektor initiiert hat. Entscheidende Frage: Wie lange werden diese beiden Faktoren das Geschäft beeinträchtigen?
Wenige Tage zuvor hatte ASML über sein aktuelles Geschäft berichtet, und die Konsequenz zeigte zwei Parallelen: Auch der ASML-Aktienkurs sackte um etwa ein Sechstel ab, und auch hier muss man bis ins Jahr 1998 zurückblicken, um ein höheres Tagesminus zu finden. Der Chipmaschinenhersteller ist als Abspaltung aus einer Sparte von Philips entstanden; anders als die längst nach Amsterdam umgezogene Muttergesellschaft sitzt das Unternehmen noch nahe seinen Wurzeln im Süden des Landes, bei Eindhoven. Das Unternehmen, das große Teile der Halbleiterindustrie mit seinen Geräten versorgt, übertraf mit dem Umsatz und Nettogewinn im dritten Quartal die Erwartungen der Analysten – aber die Bestellungen halbierten sich im Gesamtvolumen. Und der Umsatz wird nach aktualisierter Prognose zwischen 30 und 35 Milliarden Euro liegen – und damit in der unteren Hälfte der bisherigen Prognose. Das widerspricht nicht der alten Vorhersage – aber der Kapitalmarkt liest solche Konkretisierungen als Prognosesenkung.
Drastische Auswirkungen auf den Kurs
Die Auswirkungen für den Kurs: wieder ziemlich drastisch. Die Künstliche Intelligenz (KI) gibt nach Aussage des Managements zwar die erwarteten Impulse für die globale Chipnachfrage, aber das klassische Geschäft läuft schwächer als erwartet. Zum Beispiel verkaufen sich elektrische Autos, die viel mehr Chips brauchen als Verbrenner, schleppender als gedacht. ASML verlor infolge der Quartalsveröffentlichung 60 Milliarden Euro an Wert. 1998 hatte sich die Aktie an einem Tag im Juni um knapp ein Viertel verbilligt, der Börsenwert sank um 2,4 Milliarden Gulden, entsprechend gut einer Milliarde Euro – was zeigt, mit welchem Tempo das Unternehmen gewachsen ist. ASML ist heute in der Eurozone in etwa gleichauf mit SAP der zweitteuerste Wert mit 250 Milliarden Euro Marktwert, hinter LVMH aus Frankreich.
Die scharfen Kursbewegungen zeigen, wie wichtig das Erwartungsmanagement von Vorständen gegenüber Investoren ist. Auch der umgekehrte Fall ist in der aktuellen Quartalssaison schon vorgekommen: Als eines der ersten größeren Unternehmen veröffentlichte der Navigationshersteller Tomtom seine Quartalszahlen: Er leidet unter der Schwäche der Automobilindustrie, die für ihre eingebauten Navigationssysteme Lizenzen für Tomtom-Software erwirbt. Der Konzernumsatz schrumpfte um zwei Prozent, und unterm Strich fiel schon wieder ein Verlust an, wenn auch ein geringerer als im Vorjahresquartal. Und der Kurs? Stieg am Tag der Veröffentlichung um sechs Prozent. „Nach Ansicht von Anlegern fiel der Schaden offenbar nicht so schlimm aus wie erwartet“, resümierte der Kleinanlegerbund VEB.
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