Und ewig grüßt das Murmeltier? Die Niedrigzinsen sind zurück. Von einem „Comeback der Niedrigzinsen“ spricht die Vergleichsplattform Verivox und findet damit einen recht freundlichen Ausdruck für einen Trend, der die Sparer in Deutschland sicherlich keineswegs freut. Die Plattform hat pünktlich zur vierten diesjährigen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank am vergangenen Donnerstag 780 Banken und Sparkassen unter die Lupe genommen. Und stellte fest, dass der Anteil derjenigen Institute, die ihren Kunden kaum Zinsen fürs Tagesgeld zahlen, wieder deutlich zugenommen hat. 185 Institute, also fast ein Viertel, zahlten den Sparern nur noch 0 bis 0,25 Prozent Zinsen im Jahr. Diese Größenordnung nennt die Plattform „Niedrigzinsen“.
Dazu gibt es ein zweites bemerkenswertes Phänomen. In der Schweiz wurde am Donnerstag der Leitzins mal eben halbiert, von 1,0 auf 0,5 Prozent. Er ist also nicht mehr sehr weit von der Nullgrenze entfernt. Wenn die Schweizerische Nationalbank im nächsten Jahr, wie man es von der EZB erwartet, noch ein paarmal die Zinsen senkt, kann sie schnell in negatives Terrain geraten. Der neue Präsident der Notenbank, Martin Schlegel, schloss in seinen Ausführungen künftige Negativzinsen sogar ausdrücklich nicht aus. Auch wenn er im selben Atemzug auf deren Unbeliebtheit bei der Notenbank und in der Bevölkerung hinwies.
Vor zehn Jahren begann historische Niedrigzins-Ära
Da werden Erinnerungen wach: Vor rund zehn Jahren begann in Europa die große Negativzins-Ära. Im Euroraum wird sie besonders mit der Amtszeit des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi verbunden. Anfangs hieß es, die Negativzinsen der Notenbanken seien nur für Banken gedacht, nicht für die Leute. Dabei blieb es aber nicht. Schon damals spielte die Schweiz eine nicht unwichtige Rolle: Zu den Banken, die relativ früh Negativzinsen auch an ihre Kunden weitergaben, gehörte die Alternative Bank im Schweizerischen Olten. Später folgten in Deutschland unter anderem die Raiffeisenbank Gmund am Tegernsee und die Skatbank in Thüringen. Die Commerzbank fiel damals dadurch auf, dass sie sogar für Einlagen auf dem Sparbuch Negativzinsen haben wollte. Bis heute wird vor Gerichten um die Rechtmäßigkeit dieser „Verwahrentgelte“ und „Guthabengebühren“ der Banken aus jener Zeit gestritten. Im neuen Jahr soll es am 4. Februar beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einen „Showdown“ geben, so ist zu hören. Bei dem würden gleich vier Klagen verhandelt.
Droht das alles womöglich wieder? Nein, meint Volker Wieland, Professor für monetäre Ökonomie in Frankfurt. „Bisher ist der Zinsrückgang vor allem eine gewisse Normalisierung im Zuge der sinkenden Inflation“, sagt der Ökonom. Eine Wirtschaft wie die in der Schweiz sei so etwas wie ein Frühwarnsystem, da sie tendenziell unter Aufwertungsdruck gegenüber dem Euro stehe und so niedrigere Zinsen habe. „Völlig ausschließen kann man die Möglichkeit einer zukünftigen Niedrigzinsphase nicht – aber ich halte das derzeit für ein geringeres Risiko.“ Es gebe verschiedene Faktoren, die für die Zinshöhe verantwortlich seien: Die Inflation sei zwar gesunken, aber doch höher als damals. Und auch der reale Zins, also der um den Kaufkraftverlust bereinigte Zins, liege heute höher.
Was können Sparer machen? Für Tagesgeld zahlen die besten Anbieter in den Internetvergleichstabellen derzeit noch rund 3,5 Prozent Zinsen, aber meistens nur für Neukunden auf ein paar Monate. Die ING nennt diesen Zinssatz im Augenblick noch, die schwedische Ikano Bank, das frühere Ikea-Institut, und die französische Consorsbank. Der Neobroker Trade Republic orientiert sich nach Unternehmensangaben immer am Einlagensatz der EZB – und senkt seine Zinsen dementsprechend jetzt wie die Notenbank um einen Viertelprozentpunkt, von 3,25 auf 3,0 Prozent.
Im Durchschnitt zahlen die Banken auf Tagesgeld nach Zahlen der FMH Finanzberatung noch 1,84 Prozent, die Tendenz ist aber klar abwärts. Für Festgeld auf ein Jahr gibt es im Schnitt noch 2,22 Prozent. Diverse Banken haben nach Angaben der Verbraucherplattform Biallo zuletzt ihre Sparzinsen gesenkt – im „Biallo-Zinsradar“ finden sich beispielsweise die Grenke Bank, die Opel Direktbank, die Hypovereinsbank und die Deniz Bank.
Mit weiter sinkenden Zinsen ist zu rechnen
„Sparer müssen in den kommenden Monaten mit weiteren Zinssenkungen bei Tagesgeld und Festgeld rechnen“, schreibt Andreas Jalsovec von Biallo. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen rechneten damit, dass die EZB-Zinsen im kommenden Jahr um einen weiteren Prozentpunkt gesenkt würden. Der Einlagensatz läge dann um die zwei Prozent. Einige Analysten rechneten sogar mit einem Rückgang auf 1,5 Prozent.
Wer sich mit einer Anlage in Festgeld vor solchen Entwicklungen schützen wolle, solle vorher prüfen, wann er das angelegte Geld wieder brauche, etwa für größere Anschaffungen, erinnert Jalsovec. Entsprechend solle man die Laufzeit wählen. Je nach Anlagedauer seien dann bei den besten Anbietern derzeit noch um die drei Prozent drin. Biallo nennt beispielsweise die SBI Frankfurt mit 3,05 Prozent für Festgeld auf zwei Jahre. Dahinter steckt die State Bank of India – und das Anlegen soll etwas umständlich sein. Die Bigbank zahle 3,0 Prozent, allerdings ist es dort die Einlagensicherung von Estland zuständig. Und die Renault Bank Direkt mit französischer Einlagensicherung zahle für zweijähriges Festgeld immerhin noch 2,75 Prozent Zinsen je Jahr.
Bei manchen ausländischen Instituten gibt es noch höhere Zinssätze. Aber das ist bisweilen auch so eine Sache. So wirbt der Onlinebroker Freedom 24 mit bis zu 5,18 Prozent Zinsen auf Einlagen in Euro. Er gehört zur Freedom Finance Europe Ltd. mit Sitz auf Zypern. Dort hat sie eine Lizenz der Cyprus Securities and Exchange Commission und fällt unter deren Regulierung. Damit kann sie in der EU im Zuge des sogenannten Passporting mit geringem Regulierungsaufwand auch in anderen Ländern tätig werden. Die Europagesellschaft wiederum ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der amerikanischen Freedom Holding Corp., die an der Technologiebörse Nasdaq notiert ist; die eigentliche Schaltzentrale aber befindet sich in Almaty, einer Millionenstadt in Kasachstan.
Ansonsten aber gilt: Kaum haben Sparer sich daran gewöhnt, dass es wieder vier Prozent Zinsen aufs Ersparte gab, da ist der ganze Spuk schon vorbei. Wer sein Geld nicht rechtzeitig angelegt hatte, muss zumindest mit deutlich niedrigeren Zinssätzen vorliebnehmen.
Übrigens gab es noch eine Angelegenheit, die zuletzt an die Zeiten des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi erinnerte. Im Finanzstabilitätsbericht der EZB, den sie regelmäßig zur Krisenfestigkeit des europäischen Bankensystems vorlegt, äußerte die Notenbank unlängst Sorgen zum Thema „Tragfähigkeit der Staatsschulden“ in manchen Euroländern. Zumindest die Zeitung „Financial Times“ las daraus eine Warnung vor einer neuen Eurokrise heraus.
Einige Tage später dann, in der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid in Frankfurt, wurde EZB-Präsidentin Christine Lagarde gefragt, was sie denn als Hüterin des Euro eigentlich dazu sage, dass in Deutschland im Wahlkampf jetzt wieder eine Partei für einen Euroaustritt plädiere. Lagarde erinnerte mit ernsten Worten an die Bedeutung des europäischen Friedensprojekts. Ohne allerdings jenen Satz zu sagen, für den Mario Draghi bis heute berühmt ist: Dass sie den Euro retten werde, „whatever it takes“.
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/die-rueckkehr-der-niedrigzinsen-110173317.html