Dieses Börsenjahr hatte man sich in Paris irgendwie anders vorgestellt. Bis weit in den Frühling hinein hielt die Entwicklung des französischen Leitindex CAC 40 mit der des Dax und des Nasdaq Schritt. Die Geschäfte der Zugpferde LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy), Hermès und L’Oréal florierten und versprachen weiter kräftig zu wachsen. Ihre Kurse notierten in Rekordsphären und zogen den CAC 40, in dem die drei Luxus- und Kosmetikgütergiganten zusammen auf mehr als 30 Prozent der Gewichtung kommen, nach oben.
Doch auf das frühlingshafte Frohlocken folgte eine monatelange Malaise, die bis heute andauert. Während der Dax seit Jahresbeginn mehr als 20 Prozent und der Nasdaq gar mehr als 30 Prozent an Wert gewonnen haben, hat der CAC 40 rund zwei Prozent verloren. Ein wesentlicher Grund ist das unerwartet schwache Chinageschäft der Produzenten von Taschen, Parfüm und Körperpflege „Made in France“.
Luxus weiter in Asien gefragt
Ultraluxus von Hermès ist in Fernost weiter gefragt, Massenluxus dagegen verkauft sich schlecht. Ein Umsatzminus von 16 Prozent vermeldete LVMH im dritten Quartal in seiner wichtigsten Geschäftsregion Asien, exklusive Japan. Anleger straften den Konzern ab, der Börsenwert ist auf kaum mehr als 300 Milliarden Euro gesunken. Im März betrug er noch knapp 450 Milliarden Euro.
Belastend hinzu kommt die latente politische Unsicherheit in Frankreich. Auch sie hält bis heute an und dürfte erst verschwinden, wenn neue Parlamentswahlen klarere Mehrheitsverhältnisse hervorbringen, die wiederum laut Verfassung aber frühestens im kommenden Frühsommer stattfinden können. Ende vergangener Woche ernannte Präsident Emmanuel Macron mit François Bayrou den schon vierten Premierminister in diesem Jahr. Ob ihm gelingt, woran sein über ein Misstrauensvotum gestürzter Vorgänger Michel Barnier scheiterte – gegen Widerstände von allen möglichen Seiten die zerrütteten Staatsfinanzen in den Griff bekommen – ist ungewiss.
An Handlungsdruck mangelt es nicht, denn die zweitgrößte EU-Volkswirtschaft steht unter immer schärferer Beobachtung durch die Finanzmärkte. Wenige Stunden nach Bayrous Ernennung senkte die Ratingagentur Moody’s Frankreichs Kreditwürdigkeit von „Aa2“ auf „Aa3“. „Es ist die Quittung für das politische Theater der letzten Wochen“, kommentierte der an der Pariser Wirtschaftshochschule HEC lehrende Ökonom Armin Steinbach. Der Risikoaufschlag auf französische Staatsanleihen stieg am Montag leicht auf 80 Basispunkte. Vor der Parlamentsauflösung im Juni notierte er noch bei weniger als 50 Punkte.
Politische Instabilität
Die französische Wirtschaft belastet, dass durch die politische Instabilität vor allem die Steuergesetzgebung unkalkulierbar bleibt. Zwar ist das Geschäft der Konzerne im CAC 40 mit einem Auslandsanteil von rund 75 Prozent in hohem Maße internationalisiert. Für die 120 größten börsennotierten französischen Unternehmen beziffern die Analysten von Edmond de Rothschild Asset Management den Auslandsanteil sogar auf 83 Prozent. Doch allein wegen ihres französischen Steuersitzes können sich auch die internationalisiertesten Großkonzerne nicht völlig abkoppeln von dem, was in ihrer Heimat passiert.
So sah der gescheiterte Sparhaushalt der Barnier-Regierung unter anderem eine milliardenschwere Sonderabgabe auf Großkonzerne vor, die LVMH etwa kommendes Jahr 700 bis 800 Millionen Euro gekostet hätte. Ob Mehrbelastungen wie diese nun dauerhaft vom Tisch sind, bleibt offen. Möglicherweise werden sie bei den neuen Haushaltsberatungen im Januar auf Druck der linken Parteien sogar nochmals verschärft; diese Woche wird im französischen Parlament nur über einen temporären Haushalt beraten, der die Einnahmen und Ausgaben dieses Jahres zunächst fortschriebe.
Wirtschaftsverbände schlagen ob dieser Unwägbarkeiten immer lauter Alarm. Zumal nicht nur die Luxusgüterindustrie mit konjunkturellem Gegenwind aus China zu kämpfen hat, sondern die Wirtschaft auf breiter Front. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Medef, Patrick Martin, sah diese nach Barniers Sturz Anfang Dezember schon in einer „leichten Rezession“. Besonders besorgniserregend sei dabei zweierlei: Die rekordhohe Zahl von 66.000 Konkursanmeldungen in diesem Jahr, und dass laut einer Umfrage des Beratungsinstituts EY 49 Prozent der ausländischen Investoren ihre Investitionspläne in Frankreich infolge der Parlamentsauflösung reduziert oder verschoben hätten. Zudem schreite die Deindustrialisierung voran, erkennbar an der auf 75 Prozent gesunkenen Auslastung der industriellen Produktionskapazitäten. „Die Chemie, die Stahlerzeugung und die Automobilindustrie laufen auf Sparflamme“, mahnte Martin.
So schlecht wie in Deutschland war die Wirtschaftslage zuletzt zwar nicht. Im dritten Quartal betrug das Wachstum dynamische 0,4 Prozent, auf Ganzjahressicht sind 1,1 Prozent laut der jüngsten OECD-Prognose immer noch möglich. Doch im laufenden vierten Quartal dürfte das Wachstum zum Erliegen kommen, erwartet die französische Notenbank, und wegen der fortgesetzten Unsicherheit werden mehr und mehr Prognosen nach unten revidiert. Die Sorge der Franzosen über die Wirtschaftslage ist aktuell so hoch wie zuletzt während der Corona-Pandemie, haben die Demoskopen von Elabe vor wenigen Tagen ermittelt.
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