Was passiert an diesem Montag?
Damit die Bundestagswahl früher stattfinden kann als geplant, wie es der Wunsch ist von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), sind mehrere Schritte notwendig, die das Grundgesetz genau festlegt. Am vergangenen Mittwoch hat Scholz einen knappen Brief an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) geschickt, in dem er die Vertrauensfrage beantragt. Sie wird an diesem Montag beantwortet.
Die Bundestagssitzungen beginnen daher ungewöhnlicherweise schon zum Anfang der Woche. Gegen 13 Uhr wird Scholz ans Rednerpult treten und seinen Antrag auf Vertrauensfrage noch einmal begründen. Dafür sind etwa 25 Minuten eingeplant. Anschließend wird anderthalb Stunden über den Antrag diskutiert, ähnlich wie bei Gesetzeslesungen oder Haushaltsberatungen kommen Politiker aller Fraktionen zu Wort. Dann wird namentlich über die Vertrauensfrage abgestimmt.
Wieso will Olaf Scholz die Vertrauensfrage verlieren?
Eigentlich stellt Bundeskanzler Olaf Scholz die Misstrauensfrage. Zwar hat er ordnungsgemäß nach Artikel 68 des Grundgesetzes den Antrag gestellt, dass ihm das Vertrauen ausgesprochen werden soll. Doch tatsächlich will er das Gegenteil erreichen. Da die FDP nicht mehr zur Koalition gehört und die Grünen sich enthalten wollen, wird ihm das gelingen. Nur mit einer verlorenen Vertrauensabstimmung besteht die Möglichkeit, dass es vor der Zeit zu einer Bundestagswahl kommt.
Mit einem solchen Schritt will Scholz versuchen, noch einmal die Zustimmung der Wähler zu bekommen, die es ihm ermöglichen würde, abermals als Kanzler an der Spitze einer Regierung zu stehen. Sein sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder hat auf diese Weise im Jahr 2005 aus einer Position der Schwäche heraus ebenfalls versucht, durch ein überraschendes Manöver noch einmal zum Kanzler gewählt zu werden. Scholz dürfte hoffen, dass ihm ebenso wie Schröder eine spektakuläre Aufholjagd in der Wählergunst gelingt. Allerdings verlor Schröder am Ende knapp gegen Angela Merkel (CDU).
Ist die Vertrauensfrage verloren, wird Scholz dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der hat 21 Tage Zeit, das zu entscheiden. Steinmeier hat aber schon signalisiert, einverstanden zu sein mit dem Neuwahlfahrplan, wie ihn die Fraktionen ausgehandelt haben. Es ist also zu erwarten, dass Steinmeier nicht 21 Tage warten wird, bis er den Bundestag auflöst.
Anschließend muss innerhalb von 60 Tagen die Bundestagswahl stattfinden. Der Termin dafür ist aus logistischen Gründen auch schon festgelegt, es ist der 23. Februar. Die Wahlprogramme der Parteien sind in der Schlussredaktion, Parteitage sind schon geplant, Wahlkampfauftritte werden vorbereitet. Am Heiligedreikönigstag, dem 6. Januar, dürfte der Winterwahlkampf dann in die heiße Phase gehen.
Wann wurde die Vertrauensfrage bisher gestellt?
In der Geschichte der Bundesrepublik ist es die Ausnahme, dass ein Kanzler die Vertrauensfrage stellt. Bisher geschah es seit 1949 fünfmal. Erstmals nutzte der sozialdemokratische Regierungschef Willy Brandt das Instrument im Jahr 1972. Er wollte sie verlieren. Es hatte Streit über seine Ostpolitik gegeben, und er suchte eine Bestätigung durch die Wähler. Das gelang auf spektakuläre Art und Weise. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 91 Prozent, die SPD erhielt fast 46 Prozent der Stimmen.
Zehn Jahre später wollte Brandts Parteifreund Helmut Schmidt eine Bestätigung für seine Regierung, nachdem der NATO-Doppelbeschluss zu Streit geführt hatte. Schmidt erhielt sie.
Christdemokrat Helmut Kohl, der durch einen Wechsel der FDP von der SPD zur CDU Kanzler geworden war, wollte sich 1982 die Bestätigung der Wähler holen und stellte die Vertrauensfrage in der Absicht, sie zu verlieren. So kam es, Kohl gewann die anschließende Bundestagswahl.
Gerhard Schröder ist der einzige Kanzler, der gleich zweimal nach Artikel 68 des Grundgesetzes nach dem Vertrauen fragte. 2001 wollte er es nach kontroverser Debatte über die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan bekommen, was er auch schaffte. 2005 zielte er dann wie Kohl 1982 auf eine Niederlage in der Vertrauensabstimmung, um die vorzeitige Wahl einzuleiten, die er knapp gegen Merkel verlor.
Was passiert jetzt noch im Bundestag?
Auch wenn die Regierung keine Mehrheit mehr hat und selbst wenn der Bundestag aufgelöst ist – das oberste deutsche Parlament bleibt handlungsfähig. Das muss es auch, etwa für den Fall, dass unerwartet ein Einsatz der Bundeswehr beschlossen werden müsste.
Nach der verlorenen Vertrauensfrage dürfte es sogar zu einer Dynamik im Bundestag kommen, wie sie seit dem Ampelbruch nicht mehr zu beobachten war. Denn die Union hat jegliche Zusammenarbeit mit SPD und Grünen auf die Zeit nach der Vertrauensfrage verschoben.
Eingeplant sind noch mehrere Sitzungstage, an denen einige große Gesetzesbrocken beschlossen werden sollen: das Gesetz zum besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts, steuerliche Entlastungen und Erhöhung des Kindergeldes (SPD und Grüne gemeinsam mit der FDP), die Verlängerung des Deutschlandtickets. Weitere Initiativen sind denkbar – aber auch, dass mancher Entwurf im Ausschuss einen leisen Tod stirbt.
Regulär arbeiten wird der Bundestag erst wieder, wenn es eine Regierung mit Mehrheit gibt. Je nachdem wie mühsam die Koalitionsverhandlungen nach der Wahl werden, könnte das im Mai oder Juni sein.
https://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/was-sie-heute-zur-vertrauensfrage-im-bundestag-wissen-muessen-110176725.html