Dem Land fehlen Kinderärzte – und Lauterbach bietet nur Pflaster an

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Zwei Fälle aus dieser Woche: Das Kind eines Berliner Kollegen hat 40 Grad Fieber. Beim Kinderarzt ist das Telefon stundenlang dauerbesetzt, also fährt er in die Praxis, um einen Termin zu vereinbaren – und wird ohne Termin wieder weggeschickt.

Eine Bekannte in Köln muss 15 verschiedene Kinderarztpraxen anrufen, bis sie schließlich am anderen Ende der Stadt eine Zusage bekommt, ihr Neugeborenes in den Patientenstamm aufzunehmen. Und die Nachrichten sind dieser Tage voll von deutlich dramatischeren Fällen: Babys mit Atemwegserkrankungen etwa, die schließlich schwerkrank in die Klinik müssen, weil vorher kein Kinderarzt Zeit für sie hatte.

Die Kindermedizin ist völlig überlastet, seit Wochen schon – weil derzeit viele Kinder krank sind und ebenso Kinderärzte und deren Personal. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Notstand so lindern: Ein Teil der vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sollen verschoben werden, damit mehr Zeit für Notfälle bleibt. Der Gemeinsame Bundesausschuss aus Krankenkassen und Ärzten hat Lauterbachs Vorschlag zugestimmt.

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Was der Minister versucht, ist in etwa so, als wolle man ein Pflaster auf ein abgerissenes Bein kleben und hoffen, die Wunde werde so schon zuwachsen. Die Politik – auch Lauterbachs Vorgänger im Amt – hat seit Jahren eine dringend notwendige Reform bei den niedergelassenen Kinderärzten versäumt.

Denn seit den 90er-Jahren sind deren Aufgaben ständig mehr geworden: Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, Bescheinigungen – und dazu all die Kinder, die komplexe psychologische Betreuung benötigen. Die Zahl der niedergelassenen Kinderärzte ist aber nicht mitgewachsen, sodass man sich in den bestehenden Praxen seit langem abstrampeln muss, um selbst den Alltag ohne Infektionswelle bewältigen zu können.

Dass es zu wenige Kinderärzte gibt, hat wiederum zwei Gründe. Zum einen die sogenannte Bedarfsplanung von Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen. Sie haben vor Jahrzehnten festgelegt, wie viele Kinderärzte es im Land „brauche“ – und seither wurde dieser angebliche Bedarf nie wieder angepasst. Mit dem Ergebnis, dass es heute zwar auf dem Papier genügend Ärzte gibt, in Wahrheit aber viel zu wenige.

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Zum anderen liegt es an der Vergütung. Wie viel Geld ein Kinderarzt von der gesetzlichen Krankenkasse für seine Arbeit bekommt, ist gedeckelt – was bedeutet, dass er oder sie umsonst arbeitet, wenn er oder sie Überstunden schiebt. Das macht den Beruf so unattraktiv, dass viel zu wenige ihn noch ergreifen wollen – so erfüllend und wichtig er auch ist.

Die Gesundheitsminister hätten längst durchkämpfen müssen, dass Kinderärzten mehr gezahlt wird. Und auch, dass die bürokratischen Hürden sinken, um neue Praxen eröffnen zu können. Es muss eine grundlegende Reform her, um die Versorgung der Jüngsten und Verwundbarsten im Land zu gewährleisten. Das Pflaster mit den verschobenen Vorsorgeuntersuchungen bringt dem System dagegen nichts. Die liegengebliebene Arbeit wird sich einfach in den Praxen weiter auftürmen.

Source: welt.de