Für viele Menschen wird der Dispokredit zur Schuldenfalle

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Stand: 03.02.2023 05:02 Uhr

Millionen Menschen in Deutschland können die hohen Lebenshaltungskosten offenbar nicht schultern – und sind deshalb mit dem Konto ins Minus gerutscht. Das zeigt eine Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands.

Von Christopher Jähnert, ARD-Hauptstadtstudio

Jeder Siebte in Deutschland hat innerhalb von drei Monaten das Konto überzogen oder seinen Dispokredit in Anspruch genommen. Das ist das Ergebnis einer Studie für die Verbraucherzentralen, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Rund die Hälfte der Betroffenen gibt an, dass der Grund dafür hohe Kosten sind, zum Beispiel durch die Inflation oder die hohen Energiepreise.

Christopher Jähnert ARD-Hauptstadtstudio

Dispo nicht zur Finanzierung des Alltags gedacht

Neun Prozent gehen außerdem davon aus, dass sie die gestiegenen Lebenshaltungskosten auf Dauer nicht tragen können und sich verschulden müssen. Für die repräsentative Studie hat der Verbraucherzentrale-Bundesverband rund 1000 Menschen befragen lassen.

Die Verbraucherzentralen sehen die Entwicklung kritisch. Genau wie die übrigen Verbraucherkredite sei der Dispo eigentlich nicht dazu gedacht, das Leben zu finanzieren, sondern für kurzfristige Anschaffungen, sagt die Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Ramona Pop, im SWR-Interview: “Insofern sehen wir mit Sorge, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten von Energie- bis Lebensmittelpreisen Menschen in die Kredite treiben, weil das normale Einkommen nicht mehr ausreicht.”

“Diese Dispozinsen sind sittenwidrig”

Ein Dispokredit bei der Bank scheint zunächst praktisch: Er ist bei den meisten Bankkunden automatisch verfügbar und muss nicht erst beantragt werden. Man geht – einfach gesagt – lediglich ins Minus bei seinem Girokonto. Das Problem dabei: Die Zinsen für diese Dispokredite sind in der Regel sehr hoch. Die teuerste Bank verlangt aufs Jahr gerechnet mehr als 14 Prozent. Im Schnitt sind Kunden mit rund zehn Prozent dabei.

Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken sieht darin kein Problem: “Dank eines großen Angebotes haben es Bankkunden selbst in der Hand, wo und zu welchen Konditionen sie einen Dispokredit nutzen wollen”, heißt es auf Anfrage.

“Diese Dispozinsen sind sittenwidrig und in keiner Weise begründbar”, sagt dagegen Christian Görke, früher Finanzminister in Brandenburg und jetzt finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Er fordert gemeinsam mit seiner Fraktion, die Dispozinsen zu begrenzen. Die Abgeordneten schlagen in ihrem Antrag an die Bundesregierung vor, den Zinssatz so festzulegen, dass er nie mehr als fünf Prozent über dem Leitzins der Europäischen Zentralbank liegt. Das wären nach der neuesten Erhöhung also maximal acht Prozent. “Das ist eine ganze Menge, aber das sind nicht zehn, elf, zwölf Prozent”, so Finanzexperte Görke.

Verbraucherzentralen: Kein Dispo-Deckel nötig

Die Verbraucherzentralen sehen in dieser Forderung offenbar eher ein Bekämpfen der Symptome statt der Ursachen – und verlangen deshalb keinen solchen Dispo-Deckel: “Weil wir glauben, dass die Maßnahme viel wichtiger ist, den Disporahmen selber zu beschränken, damit die Menschen nicht lange in diesem Dispokredit bleiben”, sagt Verbraucherschützerin Pop im SWR-Interview.

Bedeutet also: Ohne eine entsprechende Prüfung der Kreditwürdigkeit soll es nach der Forderung der Verbraucherzentralen nicht möglich sein, so weit in den Dispo zu rutschen. “Bei vielen ist der (Dispo-Rahmen) das zwei- oder dreifache Monatseinkommen. Wenn man da einmal reingerät, ist die Wahrscheinlichkeit leider sehr hoch, dass man da nicht wieder rauskommt”, so Verbraucherschützerin Pop. Zudem schlage irgendwann der Zinseszins-Effekt zu. Hier fordern die Verbraucherzentralen ein Verbot, sodass sich die Zinsen, die Schuldner bezahlen müssen, nicht immer weiter auftürmen können.

Kommen Änderungen?

Wie realistisch ist es, dass die Vorschläge umgesetzt werden? Dass der Antrag der Linken dazu eine Mehrheit im Bundestag findet, ist äußerst unwahrscheinlich. Und trotzdem könnte etwas passieren: Das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz verweist auf den Koalitionsvertrag, in dem vereinbart wurde, grundsätzlich mehr gegen Überschuldung zu tun.

Die Europäische Union ist ebenfalls an diesem Thema dran. In der Diskussion ist unter anderem, dass Verbraucherkredite, unter die auch der Dispo fällt, nur noch dann vergeben werden dürfen, wenn Betroffene auch eine entsprechende Bonität haben – sprich: Wenn sie den Kredit auch zurückzahlen können. Eine Obergrenze für Dispozinsen ist nicht geplant.

Insgesamt dürfte vzbv-Chefin Pop damit zufrieden sein. Allerdings rät sie Menschen, die Probleme mit den momentan hohen Preisen haben, Beratungsangebote wahrzunehmen – zum Beispiel die der Verbraucherzentralen vor Ort. Und sie setzt Hoffnung in die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung: “Die Preisbremsen kommen jetzt – und sie wirken hoffentlich auch. Und die ein oder andere Tarifrunde steht ja auch noch aus, was das Einkommen angeht”.

Source: tagesschau.de