Baerbocks Neuausrichtung: Deutschland bekommt eine feministische Außenpolitik: Was bedeutet das?
Annalena Baerbock will eine feministische Außenpolitik in Deutschland etablieren. Am 1. März soll ein erstes Leitlinien-Papier erklären, wie diese aussehen soll. Was ist bislang bekannt und was heißt eigentlich “feministische Außenpolitik”?
Inhaltsverzeichnis
“Was halten sie von feministischer Außenpolitik?” wird Reza Pahlavi, Sohn des letzten iranischen Schahs am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gefragt. Seine Antwort ist eine Frage: “… Was für eine Außenpolitik meinen Sie?”
In Deutschland ist “feministische Außenpolitik” spätestens seit dem Bundestags-Wahlkampf 2021 und Annalena Baerbocks Ernennung zur Außenministerin ein bekanntes Schlagwort. Dabei geht es mutmaßlich vielen so, wie dem Sohn des Schas: Was feministische Außenpolitik genau leisten will, kann in Deutschland kaum jemand in Worte fassen. Am 1. März wird nun ein Papier vorgestellt, dass die “Leitlinien feministischer Außenpolitik” umreißt. Was also ist feministische Außenpolitik und wie stellt man sich das im Außenministerium konkret vor?
Feministische Außenpolitik
Feministische Außenpolitik umfasst im Kern fünf zentrale Werte: Intersektionalität, Friedensengagement, Rechenschaftspflicht, Reflexivität und Repräsentation.
1. Intersektionale Ausrichtung
Schon allein die Annahme, eine feministische Außenpolitik setze sich in erster Linie für die Belange von Frauen ein, ist nicht ganz richtig. Denn das Engagement einer feministischen Außenpolitik kennzeichnet in erster Linie eine intersektionale Ausrichtung. Das Konzept der Intersektionalität entwickelte einst Kimberlé Crenshaw. In Anlehnung an das englische Wort Straßenkreuzung (intersection) beschrieb sie damit die diskriminierenden Mechanismen der US-amerikanischen Rechtsprechung, welche die doppelte Möglichkeit der Diskriminierung schwarzen Frauen aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts lange Zeit verkannte.
Annalena Baerbocks Leitlinien-Papier für feministische Außenpolitik schließt an genau diesen intersektionalen Gedanken an. So wolle sich die zukünftige deutsche Außenpolitik für alle stark machen, “die aufgrund von Geschlechtsidentität, Herkunft, Religion, Alter, Behinderung, sexueller Orientierung oder aus anderen Gründen an den Rand von Gesellschaften gedrängt werden”. Soweit so Phrase.
In der konkreten Anwendung hieße eine intersektionale Perspektive folglich, die Auswirkungen außenpolitischer Entscheidungen für alle beteiligten Gruppen zu verstehen. Das EU-Türkei-Abkommen von 2016 könnte beispielsweise darauf geprüft werden, inwiefern es die Menschenrechte aller Gruppen von Menschen berücksichtige. Besonders in Hinblick auf den betroffenen Migrantinnen wäre diese Frage zu stellen. Zugleich kann eine intersektional gedachte Außenpolitik auch Fragen des Klimaschutzes vermehrt auf die am stärksten betroffenen Personengruppen ausweiten und Indigene Interessenvertretungsgruppen etwa an der Bestimmung von Naturschutzgebieten teilhaben lassen.
2. Friedensengagement
Im Gegensatz zu klassischen außenpolitischen Ansätzen – die internationale Sicherheit auch durch Einsatz von Streitkräften und Militarisierung aufrechterhalten – will sich eine feministische Außenpolitik auf ein aktives Engagement für “Frieden durch friedliche Mittel” konzentrieren. Vor dem Hintergrund des Russland-Krieges mag dies zunächst, wie Rückenwind für Russlandversteher und Friedensbemühte Menschen wie Sarah Wagenknecht und Alice-Schwarzer klingen. Dem ist aber nicht so. Ganz im Gegenteil zeige der Krieg in der Ukraine, dass feministische Außenpolitik “nicht gleichbedeutend mit Pazifismus” sei, so der Standpunkt von Baerbocks Ministerium. Menschenleben müssten auch durch militärische Mittel geschützt werden.
Handelspolitisch gedacht bedeutet ein aktives Friedensengagement aber auch den Einsatz für wirtschaftliche Strukturen, die Menschenrechte und Umweltschutz in den Vordergrund stellen. Feministische Außenpolitik beleuchte dadurch etwa die Auswirkungen von Handelsabkommen auf marginalisierte Gruppen.
3. Empathische Reflexivität
Bei der politischen Entscheidungsfindung setzt feministische Außenpolitik auf eine besonders hohe Sensibilität in folgenden Fragen: Gibt es eine Abhängigkeit oder Hierarchie zwischen Verhandlungs-Parteien? Herrscht eine asymmetrische Machthierarchie vor? Und verstärkt das politische Vorgehen eventuell vergangene oder aktuelle Traumata?
Konkret in der Anwendung bedeutet dies den Abbau von Vorurteilen durch politisches Agieren. Die Stereotypisierungen verschiedener Weltregionen sollen dadurch beispielsweise verhindert werden. Das Sprechen von Westasien als “Naher Osten” oder von Menschen als “Araber”, die keineswegs eine homogene Gruppe sind, soll vermieden werden.
Baerbocks Leitlinien-Papier will diese empathische Reflexivität im Außenministerium schulen. Durch Pflichtfortbildungen und “eine Anti-Bias-Schulung” wolle man im Außenministerium ein Bewusstsein für “Vorurteilen und Privilegien” schaffen, wie der Spiegel berichtet. Auch die “Genderkompetenz” des diplomatischen Personals soll gestärkt und grundsätzlich sogar “Einstellungskriterium” werden. Das alles zielt auf einen “feministischen Reflex” ab, der zukünftig die Außenpolitik Deutschlands bereichern soll.
4. Repräsentation
Die feministische Zielsetzungen in der Vorgehensweise setzt auch auf Repräsentation. Denn gerade auf der Ebene der Repräsentation sei die eingangs vorgestellte Intersektionalität wichtig. Hier gibt es Nachholbedarf, wie das Auswärtige Amt selbst einräumt. Aktuell werden gerade einmal 27 Prozent der Auslandsvertretungen von Frauen geleitet – weniger als jede dritte Botschaft ist mit einer Frau besetzt.
Baerbocks Amt will dies ändern und nicht nur die feministische Grundhaltung angehen, sondern konkret in Zahlen umsetzen. Durch “Gender Budgeting” solle etwa der gesamte Projekthaushalt überarbeitet werden. Gemeint ist damit, dass künftig mehr Geld in frauenpolitische Projekte fließen soll. Ein Projekt für Opfer von sexueller Gewalt in Nepal und ein anderes zur Unterstützung von irakischen Jouralistinnen werden etwa genannt.
5. Rechenschaftspflicht
Auch eine gewisse Rechenschaft für die Auswirkungen und die Berichterstattung des eigenen Handelns will eine feministische Außenpolitik übernehmen. Zentrale Fragen sind dabei: Was ist das eigentliche Ziel der Politik und wer profitiert am Ende davon? Welche strukturellen Möglichkeiten und Hindernisse gibt es für Menschen, darüber zu berichten oder zu bewerten, ob die Außenpolitik in ihrem Interesse gestaltet wurde? Wie stelle ich sicher, dass meine Maßnahmen im Interesse der Empfänger umgesetzt werden und dass meine Politik über bloße Rhetorik hinausgeht?
Ein Konkretes Beispiel wäre die Fußball-WM in Qatar. Hier wurde auffallend spät die Frage nach dem Nutzen des Protests ausländischer Fußball-Nationalmannschaften für die einheimischen Mitglieder der LGBTQI-Community (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer, Intersex) gestellt. Denn ein Land wie Qatar könnte sein diskriminierendes Vorgehen gegen Minderheiten etwa erst recht verschärfen, wenn es dieses als Zeichen der Ablehnung gegen Bevormundung aus dem Ausland versteht. Eine feministische Außenpolitik will die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen für einheimischen Gruppierungen gewichten und darüber Rechenschaft ablegen.
Was besagt das neue Papier von Annalena Baerbock nun konkret?
Der wohl kurzfristig konkreteste Plan des Papiers für feministische Außenpolitik kündigt eine neue Botschafterin für feministische Außenpolitik an. Denn schließlich sei “Feministische Außenpolitik Chef*innensache” und solle sich in einem Amt widerspiegeln. Vorbild ist Schweden, denn das Lands verfügt bereits seit 2015 über eine “Botschafter*in für Geschlechtergerechtigkeit”. In Deutschland soll die neue Botschafterin schon bald dem Arbeitsstab “Feministische Außenpolitik” zugeordnet werden und dort für “das Mainstreaming feministischer Außenpolitik” Sorge tragen.
Wie der Spiegel berichtete, sollen in dem Leitlinien-Papier die folgenden Maßnahmen ergriffen werden:
- Eine große Konferenz mit Fokus auf die Rechte von LSBTIQ*-Personen 2024
- Eine Millionen Euro für queere Kulturveranstaltungen der Auslandsvertretungen
- Neue Stellen im Amt, um die Diversität zu erhöhen
- Schutz von Frauen in Konfliktgebieten und ihre Beteiligung an Friedensprozessen für eine Kandidatur im Uno-Sicherheitsrat 2027/28
- Einführung des “Best-Feminist-Practise-Preis” als Anreiz für Engagement im Rahmen der feministischen Außenpolitik
Feministische Außenpolitik kann als ein Ansatz in der internationalen Politik verstanden werden, der global wachsen soll. Im Außenministerium will man nun einen Anstoß für eine feministische Politik geben – gelingt dieses Vorhaben, könnten bald andere Ministerien folgen. Schon jetzt sind eine “feministische Energieaußenpolitik” sowie eine “feministische Außenwirtschaftspolitik” geplante Vorhaben. Auf Twitter schrieb Annalena Baerbock kürzlich: “We´re getting there!”. Der erste Schritt steht also kurz bevor.
Quellen: Heinrich Böll Stiftung, Spiegel Online
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Source: stern.de