H.C. McEntires drittes Soloalbum: Ihr langer Weg nach Nashville
Gefragt nach ihrer liebsten Konzerterinnerung, gab Heather McEntire neulich zur Antwort: „Probably playing on stage at the Ryman Auditorium in Nashville, and getting to open for and perform with the Indigo Girls there.“ Hinterher und hinter der Bühne habe sie sogar geweint und ihre Mitspieler länger in den Arm genommen als sonst. Sie sei einfach dankbar, stolz und glücklich gewesen, und auf dem Heimweg nach North Carolina habe sie sich, als sie so über die Blue Ridge Mountains bretterte, grinsend gesagt: „Jetzt muss ich nichts mehr beweisen.“
Das musste sie vorher schon nicht. Heather McEntire hat auf ihrem Weg nach Nashville keine Abkürzung genommen, aber sich auch nicht groß verfahren. Gleichwohl ist ihre Einkehr ins Heiligst-Innerste der Country Music, die natürlich jederfrau von Herzen zu gönnen ist, keine Frage künstlerischer Folgerichtigkeit, eher überraschend. Mit einer Erdkunde-Metapher könnte man sagen, dass sie von Südosten aus Kurs Nordwest nahm, nach Olympia nämlich im Staate Washington, Heimstatt des Riot Grrrl Movement. Die eine Platte, die sie mit ihrer ersten Band Bellafea herausbrachte („Cavalcade“, 2008), brauchte, um ihre feministische Militanz unter die an so etwas dann doch noch nicht so recht gewöhnten Leute zu bringen, nur das Nötigste, Gitarre, Schlagzeug und Bass, aber mit voller Geschwindigkeit und voller Lautstärke, recht punkig, John-Updike-Anspielung merkwürdigerweise inbegriffen, aber die wird ironisch gemeint gewesen sein.
Die Sensibilität in Person
Deutlich anders klang dann ihr nächstes, ebenfalls in North Carolina angesiedeltes Projekt, Mount Moriah, deren drei sehr gut produzierte, besonders das Schlagzeug zur Geltung kommen lassende Alben (2011 bis 2016) nun schon strikt Richtung Americana gingen – Tempo raus, ein würziger, verhalten-akzentuierter Musizierstil, mit immer noch genügend Independent-Einschlag, aber durchaus auch mit dem Mut zum porch song, erhaben-empfindsam, aber nicht selbstgenügsam, insgesamt eher Allman Brothers/Lynyrd Skynyrd als, sagen wir, Sleater-Kinney – Nashville, bald komme ich!
In dieser Zeit wob sie ein feines Netz aus Bekanntschaften, in dem sich verfing, was in der alternativen, aber der Tradition verpflichteten Szene Rang und Namen hat, von Amy Ray (Indigo Girls) über Brandi Carlile bis hin zu der gleichfalls famosen S.G. Goodman. Und aus Heather ward H.C. McEntire, die Sensibilität in Person, die in der Zwischenzeit ihre Mitmusiker und ihren Produzenten ausgewechselt hatte und ohne Banjo- oder Pedal-Steel-Mann kein Studio und keine Bühne mehr betritt. Auf ihrem Debüt „Lionheart“ (2016) sangen Singer-Songwriter-Hochkaräter wie Angel Olsen und Tift Merritt mit, eine in diesem hochproduktiven Biotop übliche kollegiale Gegenseitigkeit, auf die sie künstlerisch aber gar nicht angewiesen war, wie dann „Eno Axis“ (2020) bewies.
Verhaltene Trauer
„Every Acre“, das gerade erschienene, dritte Album, ist eindeutig ihr undeftigstes. Klavierballaden haben nun doch die Oberhand gewonnen über die paar knarzig-rockigen, gleichwohl vorzüglich intonierten Ausreißer („Soft Crook“). Die neun Lieder verströmen eine verhaltene Trauer, lyrisch findet eine alte Naturverbundenheit Ausdruck. Obwohl keines davon sperrig ist, braucht man eine Weile, um damit warm zu werden. Dann aber entdeckt man Melodien, die man in dieser Subtilität noch nicht von ihr kannte und die das Album auf verblüffende Weise dem zweiten und bisher letzten von Sarabeth Tucek ähneln lassen („Get Well Soon“, 2011), nur dass deren Stimme etwas tiefergelegt ist. „Things Left Behind“ war hier der Höhepunkt, voller innehaltender Delikatesse, bisweilen nah an der Hörgrenze. Dergleichen hat H.C. McEntire jetzt auch auf Lager. Nimmt einen schon „Rose of Clover“ mit einem wunderbar timbrierten Refrain gefangen, so ist man „Wild for the King“ vollends ausgeliefert. Eine nicht mehr zu überbietende, recht eigentlich schon schmerzliche Zartheit umfängt wohl auch den ungeneigten Hörer, der vielleicht auf der Hillbilly-Plattform „The Bluesgrass Situation“ über sie gestolpert ist und daraufhin irgend etwas Nashville-Kompatibles erwartet.
Nun, darum handelt es sich am Ende doch. Das Ryman Auditorium, jahrzehntelang die gute Stube der Grand Ole Opry, hatte schon immer ein Plätzchen frei für alle möglichen Sensibelchen. H.C. McEntire machte sich als angry young woman auf den weiten Weg in diese besondere, keineswegs bloß reaktionäre Metropole und damit eine Entwicklung durch, die in diesem inzwischen recht hybriden, sich aus Punk, Folk und Country speisenden Segment keineswegs unüblich ist. Man kann nicht sein Leben lang Krach machen; irgendwann richtet man sich in der Beschaulichkeit ein.
H.C. McEntire:„Every Acre“. Merge 11087167 (Cargo)
Source: faz.net