Warum die Zahl der Einbürgerungen steigt

Get real time updates directly on you device, subscribe now.


Erst vor wenigen Tagen hatte sich die Ampel-Regierung auf eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts verständigt, die die Fristen für Einbürgerungen verkürzen soll. An diesem Dienstag dann meldete das Statistische Bundesamt, dass 2022 rund 168.545 Ausländer Deutsche geworden sind, das ist ein Höchststand innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre. In den neunziger Jahren waren es allerdings schon mal mehr als 300.000 Einbürgerungen. Solche Entwicklungen sind nie monokausal. Sogar die rechtlichen Rahmenbedingungen spielen nur eine Rolle unter mehreren.

In der Ära Kohl etwa, in der der stärkste Anstieg bisher zu verzeichnen ist, war das Einbürgerungsrecht restriktiv. Gastarbeiter sollten Gäste bleiben, das war das Selbstverständnis. Trotzdem wurden allein im Jahr 1995 31.500 Türken eingebürgert. „Offiziell war Deutschland kein Einwanderungsland, aber in juristischen Hinterzimmern haben die Behörden pragmatische Lösungen gefunden“, sagt Daniel Thym, Migrationsforscher an der Universität Konstanz. Rechtlich war das durchaus möglich, die Einbürgerung nach Ermessen gab es ohnehin schon, seit dem Asylkompromiss 1993 gab es unter bestimmten Voraussetzungen auch einen Anspruch auf Einbürgerung.

Viele EU-Bürger machen von ihrem Recht keinen Gebrauch

Für die hohen Zahlen in den neunziger Jahren macht Rechtslehrer Thym noch einen zweiten Grund aus: Die Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten machten von ihrem Recht auf Einbürgerung in Deutschland Gebrauch. Nach 1999 war für sie keine Einbürgerung mehr erforderlich, die deutsche Staatsangehörigkeit wurde mit der Anerkennung als Spätaussiedler automatisch verliehen. Seither tauchen sie in den Einbürgerungsstatistiken nicht mehr auf.


Das führte zu einem immensen Rückgang der Zahlen, die den Anstieg der Einbürgerungen durch die Liberalisierung in der rot-grünen Regierungszeit überkompensierte. Mit anderen Worten: Würde man die Spätaussiedler rausrechnen, ginge die Kurve nach dem Jahr 2000 etwas hoch. Damals wurde die Frist für Einbürgerungen von 15 auf acht Jahre reduziert. Andere Rechtsänderungen führten dazu, dass Einbürgerungen nicht mehr nötig waren. So wurde damals das Geburtsortprinzip (ius soli) eingeführt: Nach der Änderung konnten auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Damit war zunächst die Verpflichtung verbunden, sich mit Vollendung des 18. Lebensjahres zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit der Eltern zu entscheiden. Diese Optionspflicht für Ius-Soli-Kinder fiel 2014 weg.


Die Zahl der Einbürgerungen pendelte sich in den Folgejahren bei rund 100.000 Einbürgerungen pro Jahr ein, obwohl deutlich mehr Menschen einen Anspruch hätten. Thym spricht von einem „nicht ausgeschöpften Potenzial“. Das betrifft unter anderem EU-Bürger, die von ihrem Recht, Deutsche zu werden, keinen Gebrauch machen, obwohl sie die bisherige Staatsangehörigkeit behalten könnten. „Der Hauptmehrwert ist das Wahlrecht, das ist vielen nicht wichtig genug“, sagt Thym. Ein Sonderfall seien die Briten in Deutschland: Nach dem Brexit 2016 hätten sich viele für die Einbürgerung entschieden. Einen Anstieg gibt es bei den Ukrainern nach Kriegsbeginn, 2022 hat sich die Zahl der Einbürgerungen von Ukrainern auf 5600 verdreifacht.

Der jüngsten Anstieg liegt aber zum größeren Teil an der Einbürgerung von Flüchtlingen. Rund 48.300 Syrer wurden 2022 eingebürgert, sie machen ein knappes Drittel der Gesamtzahl aus. Viele Flüchtlinge, die nach 2014 eingereist sind, erfüllen mittlerweile die Voraussetzungen für eine Einbürgerung. Im Schnitt hielten die Syrer sich 6,4 Jahre in Deutschland auf, bis sie den deutschen Pass erhielten. Derzeit gilt an sich eine Frist von acht Jahren, die bei guten Integrationsleistungen auf sechs Jahre reduziert werden kann. Ehegatten und minderjährige Kinder können aber ohne Mindestaufenthaltsdauer miteingebürgert werden. 2022 machten 15.400 Syrer von dieser Möglichkeit Gebrauch.



Source link