Gundula Schulze Eldowy in Galerie Johanna Breede Berlin

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Manchmal könnte man meinen, Gundula Schulze Eldowy sei die Figur eines Märchens, ein junges Mädchen, das, ausgesetzt in der großen Stadt, Aufgaben lösen muss, Menschen retten soll und nie den Mut verlieren darf angesichts der unheimlichen Welt, durch die es sich bewegt, und der seltsamen Gestalten, die darin leben. Manche so dick, dass sie kaum noch aus ihrem Sessel hochkommen, andere so dürr, dass sie umfielen, wenn man sie nur leicht berührte. Einige bucklig, anderen sind Gliedmaße amputiert.


Freddy Langer

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

Und viele von ihnen sind nackt, was ihre geisterhafte Erscheinung nur unterstreicht. Was sie tun, erfährt man nicht, aber was sie bewegt, wovon sie träumen, davon erzählen sie der jungen Frau mit dem bildhübschen Gesicht und den langen blonden Haaren, als sei sie deren Fee und nur gekommen, um sie herauszuholen aus der verqueren Welt, in der sie sich notdürftig eingerichtet haben. Und dann erinnert man sich plötzlich an den Namen dieses Mädchens und den Namen der Geschichte. Es ist Alice, „Alice im Wunderland“. Aber Gundula Schulze Eldowy hat ihr einen anderen Namen gegeben, sie nennt sie: „Berlin in einer Hundenacht“.

Gundula Schulze Eldowy war Anfang zwanzig, als sie Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre in den Hinterhöfen in Prenzlauer Berg eine Welt entdeckte und fotografierte, von der sie damals meinte, es habe sich darin etwas vom untergegangenen Berlin erhalten. In den Liedern, die in Künstlerkneipen gesungen wurden. In den Gesten, mit denen die Menschen sich grüßten. Auch in den Verhältnissen, in denen sie lebten: kleine Zimmer, Kohleöfen, die Toilette im Treppenhaus. Froh konnte niemand sein über diese Zustände. „Berlin“, schreibt Gundula Schulze Eldowy, „ist hart im Umgang mit seinen Bewohnern.“

Gundula Schulze Eldowy, „Briefträgerin“, 1982, aus der Serie „Berlin in einer Hundenacht“


Gundula Schulze Eldowy, „Briefträgerin“, 1982, aus der Serie „Berlin in einer Hundenacht“
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Bild: Gundula Schulze Eldowy / Johanna Breede


Sie aber, die zu der Zeit noch an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte, brachte etwas Weiches, Warmes in diese Umgebung und schildert sie nicht als Kabinett schräger Figuren, sondern als ein Stück Heimat, in der die Menschen ein Moment von Gemütlichkeit suchen. Das steht ganz in der Tradition der humanistisch geprägten Reportage, wie sie in der DDR noch unterrichtet wurde, als ihr anderswo längst der Ruch von Nostalgie anhing.

Eine Darstellung, die bisweilen ins Romantische abrutschte und sich nicht den geringsten Anflug von Ironie oder gar Häme leistete. Auch bei Gundula Schulze Eldowy ist davon nichts zu spüren, nicht gegenüber der halb blinden Briefträgerin, die selbst durch die dicksten Brillengläser die Adressen kaum noch entziffern konnte und die Post meist in die falschen Kästen schmiss. Nicht dem halb debilen Paar gegenüber, das sich für die Aufnahme chic gemacht hatte wie für ein verspätetes Hochzeitsbild, sie mit einem Strauß Rosen im Arm. Und nicht gegenüber dem klapperdürren Lothar, der sich nackt auf seine Schlafcouch setzte, hinter ihm gut ein Dutzend Schnapsflaschen im Regal.

Nicht erst seit heute zählen diese Aufnahmen zu den Ikonen der Fotografie der DDR. Kaum dass die Mauer gefallen war, waren sie in Florenz, Paris und New York zu sehen, dort im Museum of Modern Art, wo sie die Betrachter in die fremde, fast schon exotisch wirkende Welt entführten, die sich so lange hinter dem Eisernen Vorhang verborgen hatte. In verwahrlosten Hinterhöfen, der Tristesse zerbröselnder Fassaden und den Bergen von Schutt in zerschossenen Straßenschluchten offenbarte sich eine erschreckende Schäbigkeit. Der Kiez: ein Trümmerhaufen. Wer je den Geist des Sozialismus infrage gestellt hatte, musste diese Aufnahmen als Bestätigung seiner Zweifel verstehen.

Gundula Schulze Eldowy, „Berlin“, 1987, aus der Serie „Berlin in einer Hundenacht“


Gundula Schulze Eldowy, „Berlin“, 1987, aus der Serie „Berlin in einer Hundenacht“
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Bild: Gundula Schulze Eldowy / Johanna Breede


Natürlich sind sie bis heute ein Dokument sozialer Missstände im Milieu der Arbeiter und kleinen Angestellten. Und es ist sicher nicht verkehrt, sie in einem Atemzug mit den Zeichnungen von Heinrich Zille zu nennen. Aber weil es Asoziale in der DDR offiziell nicht gab, verbarg sich in den Bildern jede Menge Sprengstoff. Sie bedeuteten für die Fotografin keine geringe Gefahr. Jetzt aber, mit dem Abstand fast eines halben Jahrhunderts und an den Wänden einer Galerie, erleben sie eine überraschende Wandlung. Es ist, als verlören sie ihren Echtheitsanspruch. Nicht länger illustrieren sie das Leben der Menschen mit all ihren Nöten und Schrullen, von denen Gundula Schulze Eldowy in ihrem Erzählband „Am fortgewehten Ort“ so herzerweichend berichtet, vielmehr wirken sie wie inszeniert.

Wie Momente des Theaters oder des Kinos. Mit Darstellern aufgeführte Augenblicke vor den Kulissen einer sich auflösenden Welt, eher surreal und befremdend als brutal und beklemmend. So gehen die Momente, die schon damals aus der Zeit gefallen sein dürften, über in die Zeitlosigkeit der Fiktion. Aus der Sozialreportage wird Kunst, aus der Wirklichkeit Wahrheit. Im kleinen Format zeigt die Berliner Galerie Johanna Breede etwa zwei Dutzend Vintage-Abzüge der frühen Arbeiten aus Berlin, sie kosten jeweils 2995 Euro.

„Gundula Schulze Eldowy, Berlin in einer Hundenacht“, Johanna Breede Photokunst, Berlin, bis 17. Juni



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