Ricarda Lang: „Lüge!“, schleudert ein Zuschauer der Grünen-Chefin entgegen

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Die Altstadt des oberbayerischen Auto-Industriestandorts Ingolstadt. In welcher Bar Ricarda Lang gleich sprechen wird, ist schon aus der Entfernung zu erkennen: an den Polizeibeamten vorm Eingang und einer Mini-Demo daneben. Eine Handvoll Männer steht mit Plakaten auf der Straße, die sie der Grünen-Vorsitzenden entgegenhalten wollen. „Wir werden von Idioten regiert“, steht auf einem, „Grün Ende ist nah“, auf einem anderen. Sind sie unzufrieden mit der Bundesregierung? „Wir sind nicht unzufrieden, wir sind voll unzufrieden“, sagt einer der Männer und nennt als einen der Gründe das Heizungsgesetz.

Ricarda Lang ist derzeit auf Sommerreise quer durchs Land, sie beschäftigt sich dabei vor allem mit dem Thema Wirtschaft. Zum Auftakt am Montag besuchte sie das Energieunternehmen Leag in der Lausitz. An diesem Mittwoch in Ingolstadt will sie in Bayern die Grünen bei der anstehenden Landtagswahl unterstützen. „Ich werbe dafür, dass Sie Ihre Stimme den Grünen geben“, wird sie später sagen. Auch die Umfragewerte der bayerischen Grünen leiden unter der Unbeliebtheit der Ampel-Koalition.

Die Ingolstädter Bar ist mit etwa 80 Gästen bis auf den letzten Platz gefüllt, an der Theke stehen Interessenten in mehreren Reihen. Man habe mit vielleicht 30 Leuten gerechnet, erzählt ein Sprecher der Grünen. Dass nicht nur Anhänger kommen würden, darauf sei man vorbereitet.

„Wir sind nicht unzufrieden, wir sind voll unzufrieden“: Protest gegen Ricarda Lang

„Wir sind nicht unzufrieden, wir sind voll unzufrieden“: Protest gegen Ricarda Lang

Quelle: Dominik Kalus/WELT

Anfang August hatten Grünen-Gegner im bayerischen Chieming mobil gemacht, um mit Trillerpfeifen und Buhrufen eine Bierzelt-Veranstaltung zu stören; vor dem Zelt waren in einer angeblichen Scherz-Aktion Steine verkauft worden. Das Bundeskriminalamt, das bei Ricarda Langs Terminen für ihre Sicherheit sorgt, habe das Aufgebot vorsorglich erhöht, sagt der Sprecher.

Es ist heiß und stickig, der Raum nicht klimatisiert. Von der Decke hängen Glitzer-Girlanden und eine Discokugel, die Wände sind unverputzt – das Design des Raumes wirkt zusammengewürfelt, wie auch die Zuhörer darin: Mitglieder der Grünen, frustrierte Gegner, stumme Sympathisanten und unentschlossene Neugierige, so wirkt die Zusammensetzung während der 90-minütigen Veranstaltung.

Zunächst ist alles ruhig. Während sich die lokalen Landtagskandidaten vorstellen, wähnt man sich auf einer reinen Grünen-Veranstaltung. Dann, während Ricarda Langs 15-minütiger Rede, meldet sich der erste Störer: „Lüge!“, ruft er auf Langs Satz, dass es Wohlstand nur mit Klimaschutz gebe. Als Lang die Gefahr von rechts behandelt, verweist er via Zwischenruf auf Linksextremismus. Geht man nach dem Applaus, kommt Langs Rede bei der Mehrheit im Raum aber gut an, insbesondere die Spitzen in Richtung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder.

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Mit Beginn der Fragerunde wird dann neben der Luft auch die Stimmung im Raum hitzig. Gleich die erste Frage konfrontiert Lang mit den grünen Pädophilie-Aktivisten in der Frühphase der Partei, was einige Anwesende genervt aufstöhnen lässt. Sie verstehe nicht, wie das mit Kinderschutz zusammengehe, sagt die Fragestellerin, und es klingt dabei nicht, als wolle sie in erster Linie provozieren. Lang geht geduldig auf sie ein. „Für die Geschichte schämt man sich als Grüne, aber sie hat mit heute rein gar nichts zu tun. Jede Form der Pädophilie lehnen wir mit jeder Faser ab“, sagt sie und verweist auf die Aufarbeitungskommission der Sache.

Auch die zweite Frage dreht sich um die Vergangenheit, diesmal die jüngere. Ein Mann will wissen, wann man sich für die „unfassbare Diskriminierung“ der Ungeimpften entschuldige; er bekommt Applaus dafür. Lauteren Applaus erntet allerdings Ricarda Langs knappe Antwort: „Werden wir nicht.“ Warum nicht, das begründet sie minutenlang unter Verweis auf politische Entscheidungen und Prozesse, die sie im Großen und Ganzen für richtig halte, und Studien, die die Wirksamkeit der Impfungen belegt hätten. Manche Corona-Maßnahmen seien aber überzogen gewesen, räumt sie ein, das müsse aufgearbeitet werden und werde es auch.

Lang lässt sich nicht aus der Fassung bringen, wird nicht laut, giftet nie zurück, auch nicht, als der Mann zweimal wütend dazwischenschreit und die Grünen als „verlogenste Partei Deutschlands“ bezeichnet.

Mit rund 80 Gästen ist die Bar in Ingolstadt gut gefüllt

Mit rund 80 Gästen ist die Bar in Ingolstadt gut gefüllt

Quelle: Dominik Kalus/WELT

Ausführlich antwortet sie auch dem Mann, der den Grünen Untätigkeit und Manipulation vorwirft, und der Frau, die sich enttäuscht über umweltschädliche Energie-Entscheidungen (Fracking-Gas aus den USA, Gasförderungen in der Nordsee) und Waffenlieferungen äußert. Eine andere Frau erzählt, sich von der Bundesregierung „belogen und im Stich gelassen“ zu fühlen, da der Antrag auf Förderung ihrer Wärmepumpe abgelehnt worden sei. Dies könne nicht sein, antwortet Lang und verspricht, den Fall zu prüfen.

Erst die sechste Frage ist nicht kritisch: „Was kann ich machen um, die Grünen zu unterstützen und mich friedlich gegen rechtsextreme Parteien zu stellen?“, will eine junge Frau im Studentinnenalter wissen. Lang empfiehlt ihr, sich im Haustürwahlkampf einzusetzen, denn dort komme man anders als an diesem Abend mit vielen Leuten ins Gespräch, die sich noch keine Meinung gebildet hätten.

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Es bleibt noch Zeit für vier weitere Fragen – unter anderem von einer Transfrau, die wissen will, warum es mit dem Selbstbestimmungsgesetz so lange gedauert habe, und einem Mann, der das 49-Euro-Ticket als unsinnig bezeichnet, da es den mangelhaften ÖPNV auf dem Land nicht verbessere. Am Schluss bedankt sich eine Frau bei Ricarda Lang stellvertretend für ihre Partei: „Für mich seid ihr Zukunft und Hoffnungsschimmer.“ Der Störer vom Anfang wird nicht mehr aufgerufen. Lang dankt allen, die gekommen sind. „Sie haben mich mit Ihren Fragen sehr ins Schwitzen gebracht“, räumt sie ein, ein scherzhafter Verweis auf die Raumtemperatur.

Kurz bevor sie die Veranstaltung verlässt, sagt Lang noch zu WELT, es sei an diesem Abend hitziger gewesen als auf anderen Veranstaltungen. Aber es sei ihr weiterhin wichtig, dass man alle Fragen zulasse.

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