Fabian Hinrichs, Dörte Hansen and Jürgen Kaube | EUROtoday

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„Das Wichtigste: Man braucht eine unglückliche Kindheit.“ So lautet Fabian Hinrichs’ Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen, die angehende Schauspieler mitbringen sollten. Erheitertes Publikum. Mit geschmeidigem, fast cremigem Timbre legt er nach: „Das ist das Allerwichtigste, sonst hält man das nicht durch.“ Getuschel. Wieder Hinrichs: „Sonst hält man diesen Beruf nicht durch.“ Bevor er seine Ausführungen abermals bekräftigt, sagt Simon Strauß, Theaterkritiker des Feuilletons: „Das ist ’n Schlusswort, sag nicht viel mehr.“

Auch die vorangegangenen vierzig Minuten waren deshalb so einnehmend, weil das Witzige hier ernst, das Ernste oft mit Humor vorgetragen wurde. Immer wieder wechseln die Gesprächspartner das Register. Der Ton wird schon in der Begrüßung gesetzt. Strauß: „Herzlich willkommen beim bunten Teil dieser Veranstaltung.“ Hinrichs: „Ach so.“ Auf dem F.A.Z.-Kongress „Zwischen den Zeilen“ unterhalten sich die beiden vor allem darüber, was es heißt, Schauspieler zu sein, im Film und auf der Bühne. Für Hinrichs, in seinem Semester laut Selbstauskunft der beste Jurastudent, habe die Schauspielerei als „Notbehelf“ gedient. Lacher. Das Theater hat Hinrichs zufolge „kultischen Charakter“, es sei eine „Erschütterung des Alltags“. Was dient Hinrichs als Exempel für eine Alltagssituation? „Wenn man auf Klo sitzt, zum Beispiel.“ Lacher.

Während Hinrichs schon mit Mitte zwanzig zum Ensemble der Berliner Volksbühne gehörte, hat Dörte Hansen ihren ersten Roman „Altes Land“ (2015) mit einundfünfzig Jahren veröffentlicht. Warum eigentlich, möchte Feuilleton-Herausgeber Jürgen Kaube wissen. Antwort: „Ich brauche immer einen langen Anlauf für Dinge.“ Sie habe sich, dies kommt hinzu, über etliche Bücher geärgert, die auf dem Land spielen, weil die darin auftretenden Figuren oft von einem mangelnden Verständnis der tatsächlichen Verhältnisse zeugten. Dem habe sie mit ihren Romanen etwas entgegensetzen wollen – auch und gerade über eine rhythmische, ausgefeilte Sprache, denn sie trage die Autorin zu einem Ort, an den sie auf anderen Wegen nicht gelangt.

1949, 1962, 1968, 1989, 2001, 2008

Hansen wohnt in einem kleinen norddeutschen Örtchen und glaubt, dass zahlreiche Annahmen, die über das Landleben herumgereicht werden, falsch sind. Im Dorf kenne etwa nicht jeder jeden. Ob man denn behaupten dürfe, fragt Kaube, dass Hansens Figuren im Durchschnitt unglücklich seien. Replik: Zumindest glücklich seien sie nicht. Übrigens schreibe sie nicht gerne Dialoge, gesteht die Autorin, weswegen das Personal ziemlich konsequent vor sich hin schweigt. Hier zeigt sich, wie eine persönliche Abneigung der Ästhetik eines Werks auf die Sprünge hilft.

Während es im vergangenen Jahr beim F.A.Z.-Kongress um „Perspektiven in Krisenzeiten“ ging, lautet das diesjährige Motto „Zukunft gestalten“. Der Blick bleibt mithin nach vorn gerichtet, aber aus der eher konstatierenden Haltung von 2023 hat sich der Anspruch entwickelt, die kommenden Jahre sinnstiftend zu formen. Das schließt die Rückschau nicht aus, im Gegenteil, denn erst der Erfahrungsraum lädt dazu ein, sich Gedanken über den Erwartungshorizont zu machen.

Die Beschwerde über den gesellschaftlichen und politischen Stand der Dinge gehört untrennbar zu den Deutschen, wobei häufig vergessen wird, dass es schon zu anderen Zeiten anders schlimm gewesen ist. Das betont Jürgen Kaube in seiner Begrüßungsrede, und zwar nicht mithilfe von Modellen, Theorien oder Anekdoten, sondern mit Jahreszahlen. 1949, 1962, 1968, 1989, 2001, 2008. Fazit: „Kulturpessimismus ist Zeitverschwendung.“

„Die Demokratie ist furchtbar schlecht gut darstellbar“

Für die F.A.Z. folgt daraus etwa, so darf man Kaube verstehen, dass es vergebens wäre, fortwährend die Phrasendrescherei und das Empörungsgewitter aus der Social-Media- und News-Portal-Welt zu bedauern. Sinnvoll sei es hingegen, nach der Maxime „Alles kann interessant sein“ ans Werk zu gehen. Mit Witz, Geist und guten Ideen. Ein Grund dafür, dass es die F.A.Z. schon seit fünfundsiebzig Jahren gibt, fasst Kaube in zwei Sätzen zusammen: „Wir leben in einer Welt voller Merkwürdigkeiten. Die Zeitung ist für genau diese Welt erfunden worden.“

Keine schlechte Nachricht, denn man wird nicht mit einem abrupten Ende der Merkwürdigkeiten rechnen dürfen. Die F.A.Z. ist dabei übrigens längst nicht mehr in erster Linie die Überbringerin von Neuigkeiten, sondern die Interpretin des Geschehens. Sie deutet, gewichtet – und regt Gedanken an. Etwa über die viel beschworene Krise der Demokratie.

Wie ernst die Lage ist, diskutiert Matthias Alexander, stellvertretender Leiter des Feuilletons, mit Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien Globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt, und Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Letztere diagnostiziert: „Die Krise ist da, und das ist erst mal sehr stark ein Gefühl.“ Deutschland habe sich daran gewöhnt, seit 1945 eine Erfolgsgeschichte der Demokratie zu schreiben. Die Erwartung: „Es läuft praktisch von alleine.“

Einspruch Deitelhoff, die an jene Debatten über Fremdenfeindlichkeit und Flüchtlinge erinnert, die vor dreißig Jahren geführt wurden. Schon damals habe man sich erkundigt: „Was hält unsere Gesellschaft eigentlich noch zusammen?“ Deutschland sei durchaus krisenerprobt, aber trotzdem nicht vorbereitet auf die jetzigen Umstände, da „eine Krise in die andere übergeht“ – erst Corona, dann der russische Angriff auf die Ukraine. Ein weiteres Problem, dass Politik nämlich eine symbolisch-ästhetische Seite hat, die gezeigt werden will, hebt Schönberger hervor: „Die Demokratie ist furchtbar schlecht gut darstellbar.“ Anders die Monarchie. Sie hat Kutschen, Kleider und Krönchen, da könne das berüchtigte „Pathos der Nüchternheit“ nicht mithalten.

Was hilft? Mehr Austausch, und zwar über soziale Milieus hinweg, sagt Deitelhoff. Begegnungsräume sowie „mehr Inszenierungen und mehr Geschichten“, wünscht sich Schönberger. Die im Idealfall emotional zu beantwortende Frage formuliert sie so: „Was ist das Großartige an der Demokratie?“

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